2024-06-06T13:44:56.564Z

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Tastet sich langsam wieder zurück ins Fußballerdasein: Steffen Lauser (links, noch im Trikot der Spvgg. Holzgerlingen) Foto (Archiv): Eibner
Tastet sich langsam wieder zurück ins Fußballerdasein: Steffen Lauser (links, noch im Trikot der Spvgg. Holzgerlingen) Foto (Archiv): Eibner

Gehirnentzündung: Sechs Tage im Koma

SV Böblingen: Steffen Lauser hat eine schwere Krankheit hinter sich - Co-Trainer spielt wieder

Sechs Tage fehlen Steffen Lauser in seiner Erinnerung. Am 16. Februar dieses Jahres legt er sich abends nach einem Bad auf das Sofa – am Sonntag, 22. Februar, wacht er wieder auf. Sechs Tage fehlen. In den Tagen dazwischen liegt er im Koma. „Als ich im Krankenhaus auf der Intensivstation aufgewacht bin, konnte ich gar nichts realisieren. Ich sah dem Tropf, die Schläuche und die Apparate und konnte damit nichts anfangen“, sagt der 31-jährige spielende Co-Trainer der Böblinger Verbandsligafußballer.

Die Tage vor dem 16. Februar: Steffen Lauser fühlt sich platt, unwohl, empfindet Symptome wie bei einem grippalen Infekt. Lauser trinkt viel, nimmt Vitamine zu sich, schläft ausreichend – es wird nicht besser. „Ich habe das gemacht, was ich sonst auch mache in so einer Situation, das hat auch immer geholfen.“ Diesmal aber hilft nichts, am 16. Februar geht der Mittelfeldspieler dann zum Arzt. Lauser wird untersucht, Blut wird abgenommen. Am Dienstag sollen erste Ergebnisse vorliegen, der Arzt will sich sofort bei ihm melden. Mit dieser Information steigt Lauser am selben Tag zu Hause ins Bad, legt sich danach auf die Couch – und wacht nicht mehr auf.

Keine Reaktion aufs Klopfen

Dienstags, am 17. Februar, versucht der Arzt, ihn zu erreichen – vergebens. Der Mediziner ruft die Mutter von Steffen Lauser an, sie versucht ebenfalls, ihn zu kontaktieren – vergebens. Lausers Tante kommt an dessen Wohnung in Böblingen vorbei, sieht sein Auto auf der Straße stehen, klopft an der Tür – keine Reaktion. Was danach folgt, rettet ihm wohl das Leben. Der Notarzt wird gerufen, die Polizei eilt herbei, die Türe zu Lausers Wohnung wird gewaltsam geöffnet, besinnungslos liegt er auf dem Sofa. „Wäre ich später gefunden worden, wäre es wahrscheinlich zu spät gewesen“, sagt Steffen Lauser.

Hochgefährlicher Zustand

Er kommt nach Sindelfingen auf die Intensivstation, wird umfangreich untersucht, auch der Missbrauch von Alkohol oder Drogen wird abgeklärt, das Ergebnis ist negativ. Lauser bekommt einen Krampfanfall, er weiß davon nichts, nur aus Erzählungen. Sein Körper ist in Alarmzustand: Blinddarm, Schilddrüsen, Lunge und Gehirn sind entzündet, das Immunsystem heruntergefahren. Die Ursache für diesen hochgefährlichen Zustand wissen die Ärzte nicht.

"Sprechen Sie mit ihm"

Die Familie von Lauser und enge Freunde sind regelmäßig bei ihm. „Sprechen Sie mit ihm“, raten die Mediziner, obgleich Steffen Lauser scheinbar nichts mitbekommt, was um ihn herum passiert. Am Samstag, 21. Februar, bekommt er während eines Besuchs einen epileptischen Anfall. „Der Arzt hat gesagt, das sei in Ordnung, mein Körper würde reagieren“, erzählt Lauser, der sonntags zwar wach wird, aber kaum Orientierung hat und zudem mit verschiedenen Medikamenten behandelt wird. Ein Teil davon wird langsam abgesetzt, „montags war ich schon etwas klarer im Kopf“, sagt Lauser. „Ich wusste nicht, was los war und keiner konnte mir den Grund für meinen Zustand sagen. Ich hatte nichts in der Hand.“

"Ich hatte kein Zeitgefühl"

Die Symptome waren klar, deren Ursache nicht. Als problematisch erwies sich die Gehirnentzündung. Lauser: „Mir konnte niemand sagen, wie schwer sie ist und wie sie sich vielleicht entwickelt und auswirken wird.“ In den Tagen nach dem Aufwachen stellen die Mediziner dem Böblinger Fußballer Rechenaufgaben, die dieser wie selbstverständlich beantwortet, nur leider völlig falsch. „Ich hatte kein Zeitgefühl, wusste nicht mehr, welcher Tag gerade ist. Ich konnte mir nichts mehr dauerhaft merken. Ganz einfache Hirnfunktionen klappten anfangs nicht mehr“, erzählt Lauser, der regelmäßig geröntgt, dessen Gehirn regelmäßig untersucht wird, um die Entwicklung der Entzündung nachzuvollziehen.

Ein Virus im Gehirn?

Lausers Stimmung schwankt in diesen Tagen stark. Sie reicht von extrem aggressiv bis hin zu extrem depressiv. Lauser kann nicht mehr richtig schlafen, ist nachts zumeist wach. Er erhält keine detaillierte Diagnose. „Diese Phase war sehr hart für mich“, sagt Lauser, dessen Hirnentzündung Schritt für Schritt abklingt, der nach drei Wochen im Sindelfinger Krankenhaus und zehn Tagen in der Böblinger Klinik, in die er wegen seines Blinddarms eingeliefert wird, in eine Reha-Klinik kommt. „Ich habe mich anfangs dagegen gesträubt. Ich hatte keine Schmerzen, ich fühlte mich eigentlich fit“, sagt der Holzgerlinger Landesligakicker, der letztlich aber die Rehamaßnahmen absolviert und davon auch profitiert. Und der von einem Mediziner der Rehabilitationsklinik die Aussage erhält, dass wohl ein Virus ins Gehirn gewandert sei und dessen Entzündung auslöste.

Verdacht auf Autoimmunerkrankung

Nach der Reha gibt Lauser Bilder von Untersuchungen im Sindelfinger Krankenhaus ab. Er trifft einen der Ärzte, die ihn behandelten, erzählt ihm, dass er nun endlich wisse, woran er erkrankt sei, spricht von dem wandernden Virus. „Der Arzt sagte zu mir, dass er das komplett ausschließen könne“, sagt Lauser, „ich stand auf einmal wieder da und hatte nichts in der Hand.“ Inzwischen vermuten die Mediziner, dass Lauser an einer sogenannten Autoimmunerkrankung litt. Vereinfacht formuliert, hat das körpereigene Immunsystem gegen körpereigenes Gewebe gearbeitet, es fälschlicherweise als Fremdkörper verortet. Heftige Entzündungen sind die Folge davon. Ende Juni muss Lauser letztmals sein Gehirn untersuchen lassen, mit erfreulichem Ergebnis. Alles ist in Ordnung, Steffen Lauser ist wieder gesund.

Das Leben genießen

Wie viele Menschen in einer lebensbedrohlichen Situation hat auch er erfahren, wer seine tatsächlichen Freunde sind und welche nur angebliche. Lauser hat aus der Erkrankung mitgenommen, sich künftig „mehr Freiräume“ zu schaffen, weniger Druck aufzubauen, genussvoller zu leben. Und er hat sich einen Hund zugelegt, der ihm „Ruhe und viel Lebensfreude“ gibt. Längst ist der Co-Trainer von Bernd Gluiber in das Training der Böblinger Fußballer eingestiegen, er hat bereits einige Vorbereitungsspiele absolviert. Er muss aber erkennen, dass er weiterhin einen Trainingsrückstand aufweist und noch Zeit benötigt, um diesen aufzuholen.

Sechs Tage fehlen Steffen Lauser in seiner Erinnerung. Er denkt an die Woche in Ohnmacht Mitte Februar kaum noch zurück, vielmehr richtet sich sein Blick nach vorne. Der 31-Jährige hadert nicht mit seinem Schicksal: „Ich hatte ja keinen Einfluss darauf, dass es passiert ist. Es ist so gekommen, wie es gekommen ist, es lag nicht in meiner Hand.“

Aufrufe: 013.8.2015, 11:00 Uhr
Thomas Oberdorfer, GäuboteAutor