NZ: Herr Wein, Sie kommen ursprünglich vom Hockey – wie hat es Sie dann zum Fußball „verschlagen“?
Horst Wein: Wie die Jungfrau zum Kind, durch puren Zufall! Das Hockeyleistungszentrum in Barcelona, wo ich immer die spanische Hockey-Nationalmannschaft trainierte, lag in unmittelbarer Nähe des FC Barcelona. Einige von ihren Trainern besuchten häufig unser gutes Restaurant und mussten zum Mittagessen am Hockeyplatz vorbeilaufen, wo sie mich oft die besten Spieler Spaniens trainieren sahen. Offenbar imponierte ihnen meine Art und Weise, das Training zu gestalten, denn eines Tages sprach mich Carles Rexach (Ex-Trainer und Nationalspieler, Anm. d.Red.) an, um ihnen meine „Geheimnisse“ mitzuteilen. Das geschah dann eine Woche später im Jahre 1985 – so fing alles an.
NZ: Wie kam es zur Entwicklung von Funiño, der Idee des kindgemäßen Trainings?
Wein: Willi Daume, der damalige NOK-Präsident, überredete mich, 1986 als rechte Hand des Sportministers in Chile den Südamerikanern deutsches Wissen und Know-how im Sport zu vermitteln. Meine Familie begleitete mich, und als mich eines Tages mein ältester Sohn kritisierte, weil ihm mein Vorschlag für das Training nicht passte, fing ich an, dem Leistungssport den Rücken zuzuwenden und mich um eine altersgerechte und kindgemäße Ausbildung zu kümmern, in der das Spiel der Meister ist und nicht der Trainer. Funiño wurde in Chile im deutschen Hockeyclub Manquehue geboren und seitdem von mir dauernd weiter verbessert. Von einem Spiel 1986 sind wir jetzt 29 Jahre später bei 50 Spielen und mindestens 80 Varianten angelangt. Javier Hernandez vom FC Barcelona wurde vier Jahre lang von seinem Trainer mit meinem Ausbildungsprogramm stimuliert. Einige Jahre später veröffentlichte es der spanische Fußball-Verband.
NZ: Sie sagen, das Spiel, der Fußball selbst ist der beste Trainer – wie meinen Sie das?
Wein: Erst dann, wenn ein Trainer, der viel weiß, wenig preisgibt, kommt es zu einem aktiven Lernen des jungen Spielers. Kinder und Jugendliche sollten das Spiel entdecken lernen, wobei ihnen der Trainer Probleme gibt, welche die Spieler mit oder ohne Hilfe des Trainers lösen können. Das Wort „Instruktor“ wird immer noch in vielen Ausbildungssystemen benutzt und ist nur ein Indiz dafür, wie rückständig wir noch in unserer Art und Weise sind, unsere Jüngsten im Sport auszubilden. Bis zum Alter von zwölf Jahren werden sehr viele wichtige Grundsätze der Trainingslehre und Sportpädagogik ignoriert, insbesondere in den Wettkämpfen und dadurch rückwirkend auch im Training.
NZ: Wie würden Sie die Idee und Praxis von Funiño kurz umreißen?
Wein: Der Begriff „Funiño“ ist nichts anderes als eine Zusammensetzung aus Fun (Spaß) und niño (Kind) oder eine Abkürzung meines weltbekannten spanischen Fußballentwicklungsmodells Fútbol a la medida del Niño. Heute gilt es als die gesündeste „Droge“, die wir unserer Jugend anbieten können, weil es nicht nur die Gesundheit, einen aktiven Lebensstil und die Kommunikationsfähigkeit der Kinder stimuliert, sondern besonders auch ihre Kreativität, Charakter und Intelligenz schult.
NZ: Kann man Funiño als „Graswurzelbewegung des Fußballs“ bezeichnen? Ist ein Erfolg nur von unten, von der Basis möglich? Sportorganisationen dürften erst einmal skeptisch reagieren, da bestehende Traditionen in Frage gestellt werden...
Wein: Johann Wolfgang von Goethe sagte uns bereits: Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zurecht! Das Land der Weltmeister mit rund 6,8 Millionen Spielern hat noch immer nicht den Weg gefunden, die hohe „Drop-out“-Quote von etwa 70 Prozent bei jugendlichen Fußballspielern in den Griff zu bekommen. Alles orientiert sich am Profifußball, und unsere Kinder dürfen im Fußball leider nicht mehr Kinder sein wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als bedingt durch die Notlage der Straßenfußball aufblühte. Vielmehr werden sie heute im Fußball bereits wie Erwachsene behandelt. Funiño wird ein Umdenken im deutschen Kinderund Jugendfußball einleiten, dessen viele positive Konsequenzen für die Spieler, Trainer, Eltern, Vereine und Verbände nur von wenigen gesehen werden. Mit Prof. Lochmann habe ich endlich eine Persönlichkeit mit visionärem Denkvermögen in Deutschland gewonnen, die meinen seit 30 Jahren währenden Kampf, die Wettkampfstruktur im deutschen Fußball zum Wohle aller Beteiligten zu reformieren, voll unterstützt. Im spanischen Hockey haben wir dies bereits seit 1980 verwirklicht. Das Ergebnis: zwei olympische Silber- und eine Goldmedaille mit nur 10000 Spielern innerhalb von zwölf Jahren.
NZ: Sie haben zunächst die Siebenbis Neunjährigen im Blick – bis zu welcher Altersklasse sollten nach Ihrem Modell die Wettkämpfe mit Kindern beschritten werden?
Wein: Für Sieben- bis Zehnjährige gibt es im Funiño ein reichhaltiges Angebot von Spielen, in denen das Kind Hauptdarsteller ist und nicht mehr der Trainer. Funiño ist nicht nur ein Spiel, vielmehr eine Lehrmethode, in der kindgemäß und spielorientiert das motorische Lernen Hand in Hand mit dem kognitiven Lernen verbunden wird. Bald wird es, wie bereits in einigen Ländern geschehen, in den Schulunterricht integriert werden. Es gibt bereits drei Universitäten in drei verschiedenen Ländern, die Funiño in sportwissenschaftlichen Instituten lehren. In den letzten Jahren haben Funiño und seine Prinzipien auch das Training vieler Fußballprofis bereichert, weil es den Spielern optimale Lernerfolge ermöglicht, viele neue Kenntnisse und Erfahrungen vermittelt und sie gleichzeitig physisch optimal auf den Wettkampf vorbereitet.
NZ: Inwieweit ist Funiño so etwas wie ein „Ersatz“ des heute weithin ausgestorbenen Straßenfußballs?
Wein: Es ist der Straßenfußball des 21. Jahrhunderts bzw. eine Wiedergeburt des Straßenfußballs der Nachkriegsjahre, der uns unvergessene Fußballstars bescherte, ohne Trainer.
NZ: Unterscheiden Sie bei Funiño zwischen Breiten- und Leistungssport? Oder bedingt sich beides?
Wein: Funiño ist zunächst ein hervorragendes, effektives Werkzeug, um den Körper und den Geist vieler normaler Bürger zu bewegen sowie ihren Charakter durch das Spiel der vielen Varianten zu formen. Die letzten Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien zeigen uns aber auch seine Wirkung für eine Optimierung der Leistung eines Einzelnen, einer Gruppe oder einer Mannschaft.
NZ: Sie sind international aktiv – haben Sie Mentalitätsunterschiede bei der Akzeptanz von Funiño bzw. unterschiedliche Ausprägungen von Widerstands- bzw. Beharrungsvermögen festgestellt?
Wein: Bei den Kindern habe ich in über 30 Ländern dank der großen Vielseitigkeit der Spiele nur riesige Begeisterung erfahren, doch bei den Erwachsenen zunächst einmal viel Misstrauen. Denn für sie wird der Fußball immer noch mit den Füßen gespielt, während die Kinder in 32 Ländern bereits gelernt haben, dass der Fußball von morgen im Kopf beginnt und mit den Füßen endet!