2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Starker Saisoneinstand: Innenverteidiger Lasse Jürgensen (l.) und der SC Verl blieben bislang ohne Gegentor.
Starker Saisoneinstand: Innenverteidiger Lasse Jürgensen (l.) und der SC Verl blieben bislang ohne Gegentor. – Foto: SC Verl

Ex-Gräfelfinger Jürgensen: Heimweh in Verl? „Probiere, dem Trainer freie Tage zu entlocken“

Interview über Geisterspiele, Profifußball und Gräfelfing

Lasse Jürgensen spielt mit dem SC Verl in der 3. Liga. Der Gräfelfinger hat es weit gebracht. Ist aber eben auch weit weg von zuhause. Ein Gespräch über Heimweh und Profifußball.

Gräfelfing/Verl – Vor zehn Jahren hat der damals 13-jährige Lasse Jürgensen seinen Heimatverein TSV Gräfelfing und das Würmtal verlassen – mit dem großen Ziel, Profifußballer zu werden. Vor einem Jahr ging der Traum in Erfüllung, als Jürgensen einen Profivertrag bei Drittligist SC Verl unterschrieb. Mit den Ostwestfalen mischte er lange im Aufstiegskampf zur 2. Bundesliga mit.

In dieser Saison wollen der 23-Jährige und sein Verein wieder angreifen, die ersten Spiele liefen verheißungsvoll. Im Interview mit dem Münchner Merkur spricht Lasse Jürgensen über sein erstes Jahr als Profi, seine Beziehungen ins Würmtal und nach Gräfelfing sowie seinen Traum von der Bundesliga.

Im Video-Interview: Lasse Jürgensen (l.) und Merkur-Mitarbeiter Tobias Empl.
Im Video-Interview: Lasse Jürgensen (l.) und Merkur-Mitarbeiter Tobias Empl. – Foto: Empl

Herr Jürgensen, nach zwei Drittliga-Spieltagen hat der SC Verl noch kein Gegentor kassiert. Da ist man als Innenverteidiger zufrieden, oder?
Auf jeden Fall. Für mich als Innenverteidiger ist das Ziel natürlich, in jedem Spiel zu null zu spielen. Es war unser Ziel vor dem Start, dass wir weniger Tore kassieren als letztes Jahr – auch wenn das bei unserem Spiel nicht immer einfach ist, weil wir einen sehr offensiven und aggressiven Fußball spielen. Umso besser, dass es jetzt zweimal geklappt hat.
Mit vier Punkten aus zwei Spielen ist der SC Verl gut in die Saison gestartet. Schon in der vergangenen Spielzeit hatte Verl als Aufsteiger nichts mit dem Abstieg zu tun, sondern hat lange oben mitgespielt und wurde am Ende Tabellensiebter. Was ist in dieser Saison möglich?
Das zweite Jahr soll ja immer das schwierigste sein, aber davon haben wir uns gar nicht beirren lassen. Unser Ziel ist es, im zweiten Jahr noch mal einen draufzusetzen und noch mehr Punkte zu holen.
Sie schafften es von Ihrem Heimatverein TSV Gräfelfing über den SC Unterpfaffenhofen bis in die Jugend des FC Augsburg. Nach drei Jahren im Regionalliga-Team des FCA unterschrieben Sie 2020 bei Verl in der 3. Liga einen Zweijahresvertrag. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer ersten Saison als Fußballprofi?
Ich bin mit großen Erwartungen in die Saison gegangen und habe mir viel erhofft. Ich wusste, dass es zur Regionalliga als höchster Amateurliga noch mal ein Unterschied sein würde und ich mich erst einmal reinfinden muss. So kam es auch. Bei den ersten Spielen habe ich noch nicht gespielt, aber nach und nach habe ich mich immer besser reingekämpft. Ich habe die Ziele, die ich mir vor der Saison gesetzt hatte, weitestgehend erreicht. Natürlich wäre ich lieber verletzungsfrei durch das Jahr gekommen, aber davon abgesehen, war ich mit meiner ersten Profi-Saison sehr zufrieden.
Sie kamen in 20 von 38 Spielen zum Einsatz. Am Anfang saßen Sie meist auf der Bank, sind dann auch mit einer Verletzung länger ausgefallen, haben sich aber nach der Pause einen Stammplatz erkämpft. Wie sind Sie mit den Rückschlägen umgegangen?
Ich habe von Anfang an viel Zuspruch vom Trainer bekommen. Er hat mir gesagt, dass die Verantwortlichen mit meiner Entwicklung sehr zufrieden sind und ich einfach dranbleiben soll. Meine Familie und meine Freunde haben mich sehr unterstützt, und auch mein Beraterteam hat mir riesig geholfen. Nach meinem ersten Spiel in der Startelf habe ich mich direkt verletzt, aber ich habe mich davon nicht unterkriegen lassen. Da ich noch recht jung bin, habe ich mir gesagt, ich sollte lieber etwas länger pausieren und die Verletzung so gut auskurieren, dass ich danach in einen Rhythmus kommen kann. Auch zwei Wochen Training in München im Dezember haben mich sehr weitergebracht, sodass ich dann in Dresden kurz vor der Winterpause mein Comeback feiern konnte.
Sie waren in der Jugend und auch bei der zweiten Mannschaft des FCA Kapitän. Möchten Sie in Ihrer zweiten Saison in Verl noch mehr Verantwortung übernehmen, oder halten Sie sich als junger Spieler noch zurück?
Wir haben einen sehr jungen Kader, und ich übernehme gerne Verantwortung auf dem Platz. Da spielt es keine Rolle, ob ich die Binde am Arm habe oder nicht. Ich bin einer, der auf dem Platz etwas mehr sagt. Und ich glaube, es ist auch gut fürs Team, wenn Stimmung auf dem Platz herrscht.
Trainer Guerino Capretti gilt als begehrt, auch der FC Bayern II soll an ihm dran gewesen sein. Was zeichnet ihn als Coach aus?
Er hat einen klaren Plan. Er weiß genau, was er von einem verlangt, und gibt einem das auch mit. Er will immer gewinnen, egal gegen welchen Gegner. Diese aggressive Art und dieser Power-Fußball zeichnen ihn und unsere Mannschaft aus.
In der 3. Liga spielen einige ehemalige Bundesligisten wie der 1.FC Kaiserslautern oder der TSV 1860 München. Der SC Verl findet deutschlandweit eher wenig Beachtung. Wie würden Sie den Verein, die Stadt und das Umfeld beschreiben?
Der SC Verl steht in Ostwestfalen ein wenig im Schatten des SC Paderborn und von Arminia Bielefeld. Aber ich denke, dass wir uns durch die erste Profi-Saison einen Namen gemacht haben. Natürlich ist Verl keine große Stadt (Anm.d.Red.: rund 25.000 Einwohner), aber es war mir von Anfang an bewusst, dass der SC Verl kein „Big City Club“ ist (lacht). Es ist ein sehr familiäres Umfeld, die Stadt steht voll hinter dem Verein, und jeder kämpft für jeden. Diese Einheit schätze ich sehr.
Sie kommen aus Germering und haben beim TSV Gräfelfing das Fußballspielen gelernt. Jetzt sind Sie gut 600 Kilometer von zu Hause weg. Wie oft sind Sie noch in der alten Heimat? Haben Sie manchmal Heimweh?
Ja, schon. Ich habe zwar davor schon ein paar Jahre in Augsburg gewohnt, aber jetzt ist die Distanz nach Hause einfach noch viel größer. Es hat am Anfang einige Zeit gedauert, bis meine Freundin nachziehen konnte, da war es noch ein bisschen extremer. Ich versuche, so oft wie möglich zu meiner Familie und meinen Freunden zu fahren. Nach einem Sieg probiere ich immer, dem Trainer zwei freie Tage zu entlocken, aber das geht leider nicht immer (lacht). Aber meine Freundin und ich haben uns hier inzwischen auch gut eingelebt und einige Leute kennengelernt.
Verfolgen Sie noch das Geschehen in Gräfelfing? Besteht noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern?
Ich verfolge es schon noch und bekomme über meinen Vater (Anm.d.Red.: Jugendtrainer beim TSV) auch immer mit, was hinter den Kulissen so passiert (schmunzelt). Viele von meinen alten Freunden sind inzwischen zu anderen Vereinen gewechselt. Aber wenn ich die Aufstellung der ersten oder zweiten Mannschaft anschaue, sehe ich immer noch ein paar Namen, die ich von früher kenne. Ab und zu schreiben wir uns auch über Instagram, aber engen Kontakt haben wir leider nicht mehr.
Während der Amateurfußball teilweise komplett stillstand, durften die Profis spielen, wenn auch ohne Zuschauer. Wie waren die Geisterspiele für Sie, und wie groß ist der Unterschied, jetzt wieder vor Publikum zu spielen?
Auch wenn das jetzt ein bisschen blöd klingt: Ich glaube, für meine Entwicklung war es genau das Richtige. Ich konnte mich erst mal an das Spiel, an das Tempo, an die Vereine und die Stadien gewöhnen. Aber natürlich ist es mit Zuschauern noch einmal etwas ganz anderes, und ich freue mich, dass in dieser Saison wieder Fans im Stadion sind.
Verl hat nur ein 5.000-Zuschauer-Stadion und muss bei den Heimspielen nach Lotte ausweichen. Wie groß ist der Wettbewerbsnachteil, und wie geht es in Zukunft weiter?
Wir haben zwar nicht übermäßig viele, aber dafür sehr gute Fans und würden unser Stadion in Verl bei Heimspielen fast immer vollkriegen. Dass die Zuschauer jetzt für ein Heimspiel eine Stunde fahren müssen, schmeckt dem einen oder anderen nicht, der früher mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß kommen konnte. Das ist schon etwas schade, aber die Verantwortlichen tun alles, um eine gute Lösung zu finden.
Sie haben beim SC Verl vor gut einem Jahr einen Zweijahresvertrag unterschrieben. Gibt es schon eine Tendenz, wie es bei Ihnen nach Saisonende weitergeht?
Anfang dieses Jahres habe ich eine Vereinbarung unterschrieben, dass sich mein Vertrag bei einer guten Saison um ein weiteres Jahr verlängert. Deshalb gehe ich davon aus, dass ich noch fast zwei Jahre Vertrag habe. Aber ich bin noch jung und versuche, mich immer weiterzuentwickeln. Mein Traum ist es, irgendwann einmal in der Bundesliga zu spielen. Wenn ich als Kind in der Allianz Arena stand, habe ich davon geträumt, eines Tages mal selbst dort auf dem Rasen zu stehen und vielleicht gegen den FC Bayern zu spielen. Aber ich gehe Schritt für Schritt. Erst einmal versuche ich, die Ziele, die ich mir für diese Saison gesteckt habe, zu erreichen. Wenn mir das gelingt, bin ich auf einem guten Weg.

Das Interview führte Tobias Empl.

Aufrufe: 013.8.2021, 10:00 Uhr
Tobias EmplAutor