2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Die 0:6-Pleite gegen Spanien wird eine Eintagsfliege bleiben, davon ist Thomas Schneider überzeugt.
Die 0:6-Pleite gegen Spanien wird eine Eintagsfliege bleiben, davon ist Thomas Schneider überzeugt. – Foto: Imago Images

»Die Mannschaft wird bereit sein, wir schaffen das Halbfinale«

Zweiter Teil des Exportschlager-Interviews mit Thomas Schneider: Der DFB-Chefscout geht fest davon aus, dass die Nationalelf das aktuelle Tief schnell überwindet

Die Nationalelf ist des Deutschen liebstes Kind. Und genau deshalb wird die Auswahl unter die Lupe genommen wie kaum eine andere Fußballmannschaft. Wenn dann Kimmich & Co. eine Talsohle durchschreiten, sind über 80 Millionen Bundestrainer am Boden zerstört. Doch die aktuelle Schwächephase wird nur eine temporäre Erscheinung bleiben, davon ist Exportschlager und DFB-Chefscout Thomas Schneider, der in Straubing lebt, überzeugt: Bereits bei der EM im kommenden Sommer werden die Deutschen wieder stolz sein können auf ihr Team...

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Wie groß war der Kulturschock als Sie nach ihrer Profikarriere beim FC Dingolfing wieder zurück im Schose des Amateurfußballs waren?
Das war ehrlich gesagt überhaupt kein Problem, im Gegenteil. Das größte Problem war, dass ich am Anfang nicht gleich jeden niederbayrischen Satz auf Anhieb verstanden habe. (lacht) Ansonsten war die Zeit in Dingolfing klasse. Ich hatte wirklich tolle Jungs in meinen Teams, der Verein war in jeder Hinsicht, mit all den großen und kleinen Problemen, die es im Amateur-Sport gibt sehr gut aufgestellt, viele haben dort mit Herzblut für den Verein gearbeitet. Ich werde nie mein erstes Spiel in Augsburg vergessen, dass wir 2:0 verloren haben. Nachdem Spiel bin ich an den Eltern-Bus gelaufen und traute meine Augen nicht. Unser Busfahrer Bimbo, der leider schon verstorben ist, hatte vor dem Bus ein riesen Zelt aufgebaut, es wurde gegrillt, die Eltern haben das ein oder andere Weißbier getrunken und später haben alle beim zusammenräumen angepackt. Eine einzigartige Atmosphäre, die sicher auch dazu beigetragen hat, dass wir am Ende der Saison Zweiter in der Bayernliga wurden und nur knapp den Aufstieg in die Bundesliga verpasst haben.

Wie schon als Spieler ging es auch als Coach wieder schnell nach oben. Und wieder war der VfB Stuttgart ihr Verein. Wie bitter war dann die relativ schnelle Entlassung nach nur gut einem halben Jahr als Cheftrainer?
Mir war schon vorher klar, dass diese Aufgabe nicht einfach werden wird. Um die Mannschaft in der Liga zu halten durfte personell nicht viel passieren, zudem gab es im Winter kein Geld für Verstärkungen. In der Rückrunde hat uns dann leider das Quäntchen Glück gefehlt, um unsere Ziele zu erreichen. Sechs Spiele haben wir in den letzten drei Minuten abgegeben. Obwohl sich mein Aus also bereits angebahnt hatte, war ich trotzdem sehr enttäuscht.

WM-Debakel 2018: Die Mexiko-Pleite und ihre Folgen

War das die eine - leider verpasste - Chance, sich als Trainer in der Bundesliga zu etablieren?
Nein, Qualität setzt sich durch, auch wenn man einmal scheitert und vielleicht den ein oder anderen Umweg gehen muss, davon bin ich überzeugt. Ich hatte dann auch relativ schnell wieder Optionen als Cheftrainer zu arbeiten, mich aber bewusst dafür entschieden, als Co-Trainer für den DFB zu arbeiten.

Nur noch Assistent zu sein war kein Abstieg?
Überhaupt nicht. Ich konnte als junger Coach Erfahrung auf absolutem Topniveau sammeln und von einem der erfolgreichsten Trainern der Welt lernen. Zudem ist es etwas Besonderes, für sein Land mit in der Verantwortung zu stehen und mit den besten Spielern zusammenarbeiten zu dürfen.

Wir müssen es kurz anschneiden - die WM 2018. Was war los? Wie lässt sich mit etwas Abstand das infernale Scheitern begründen?
Wir haben es nicht geschafft, im ersten Spiel das Niveau zu erreichen, das man benötigt, um ein WM-Eröffnungsspiel zu gewinnen. Durch die Niederlage gegen Mexiko haben wir uns in eine Situation gebracht, die wir hinterher nicht mehr korrigieren konnten.

Just nach diesem sportliche Super-GAU sind Sie in die Scouting-Abteilung des DFB gewechselt. Besteht hier ein kausaler Zusammenhang?
Nach der WM wurde die Situation ausführlich analysiert. Zwei wesentliche Elemente der Neuausrichtung waren die Verkleinerung des Teams um die Mannschaft und eine Neubesetzung der Position des Chefscouts. Jogi sah mich in der Position am wertvollsten für das Team, deshalb habe ich die Aufgabe von Urs Siegenthaler übernommen.


Gewähren Sie uns doch bitte einen Einblick in ihrem jetzigen Alltag als Scout? Sie helfen praktisch bei der Sichtung von Nationalspielern?
Das Jobprofil untergliedert sich in zwei wesentliche Teilbereiche. Da ist zum einen die Gegneranalyse. Das heißt, ich bin verantwortlich für die Vorbereitung auf den nächsten Gegner. Neben der mannschaftstaktischen Analyse analysieren wir auch jeden Spieler des Gegners noch einmal einzeln nach Stärken und Schwächen, um unsere Jungs bestmöglich vorzubereiten. Der zweite Bereich ist die Beobachtung und Bewertung aktueller oder auch potenzieller Nationalspieler in ihren Mannschaften.

Wir hätten da drei Geheimtipps für Sie - Müller, Boateng, Hummels. Sagen Ihnen diese Namen etwas?
(lacht) Natürlich (lacht). Natürlich sind die Namen bekannt. Und so geheim sind diese Tipps dann auch wieder nicht (lacht). Ich will nur soviel dazu sagen: Nach der WM hat sich das Trainerteam dazu entschlossen, einen Umbruch einzuleiten, jungen Spielern Zeit und Raum zu geben um sich zu entwickeln. Jogi Löw hat aber auch immer betont, vor der EM die Situation zu bewerten und dementsprechend zu handeln. Deshalb glaube ich nicht, dass sich irgendjemand Sorgen machen muss, dass nicht die beste Mannschaft beim Turnier aufläuft.

Nervt es, dass über 80 Millionen Bundestrainer die Rückkehr dieses Trios fordern?
Nein, dass es in Deutschland mehr als einen Bundestrainer gibt, ist ja bekannt. Das zeigt einfach, wie groß das Interesse für die Nationalmannschaft ist.

Als Chefscout ist Schneider für die Gegneranalyse sowie die Beobachtung aktueller und potenzieller Nationalspieler verantwortlich.
Als Chefscout ist Schneider für die Gegneranalyse sowie die Beobachtung aktueller und potenzieller Nationalspieler verantwortlich. – Foto: DFB/Philipp Reinhard

Der Stellenwert, das Image von "Die Mannschaft" hat aber zuletzt gelitten.
Es gab immer mal wieder Phasen zwischen den Turnieren, in denen das Interesse an der Mannschaft nicht so groß war, oder es Kritik gab. Auch sportlich war das letzte Jahr sicher nicht das beste. Aber, abgesehen von den Abschlusstrainingseinheiten, die ja oft auch in fremden Stadien stattfinden, hatte die Mannschaft im ganzen letzten Jahr nur eine gemeinsame Trainingseinheit, das soll keine Entschuldigung sein, erklärt aber vielleicht, warum nicht alles rund lief. Ich bin mir sicher, dass die Mannschaft im Sommer, wenn sie zusammen trainieren kann, sehr viel besser spielen wird und darauf brennt, einige Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken und ich bin mir auch sicher, dass unsere Fans die Jungs dabei unterstützen werden.

Es ist immer wieder die Rede davon, dass die Auswahl an guten deutschen Spielern deutlich geschrumpft ist. Sie als Scout müssen einen guten Einblick haben. Ist dem tatsächlich so?
Es gibt nach wie vor Talente nach, die sehr sehr vielversprechend sind. Richtig ist aber auch, dass es in bestimmten Jahrgängen nicht mehr die Masse an Top-Spielern gibt wie noch vor einigen Jahren und das andere Nationen vorbeigezogen sind oder stark aufgeholt haben. So haben wir zum Beispiel von sieben möglichen U-Turnieren seit 2017 vier verpasst, was diese These noch einmal untermauert. Folgerichtig schaffen auch immer weniger Talente den Sprung in die ersten Mannschaften der Bundesliga. Der Verband hat sich im Projekt Zukunft viele Gedanken zu diesem Thema gemacht und bereits finalisiert. Momentan ist man im Austausch mit den Landesverbänden und Nachwuchsleistungszentren, man kann also davon ausgehen, dass es zeitnah Änderungen im Nachwuchsfußball geben wird, die aus meiner Sicht auch zwingend notwendig sind.

Abschließend ein Blick in die Glaskugel. Wie schneiden wir bei der EM 2021, sollte sie tatsächlich auch stattfinden, ab?
Mit Portugal und Frankreich haben wir in der Gruppe hochkarätige Gegner. Jeder weiß also, dass es ab der ersten Sekunde im Trainingslager gleich richtig los geht, um im ersten Spiel voll da zu sein. Die Mannschaft wird bereit sein, wir schaffen das Halbfinale. Und dann sehen wir weiter.

Vielen Dank für das Interview, alles Gute für die Zukunft - und ganz wichtig: Gesund bleiben

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Aufrufe: 031.3.2021, 07:00 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor