2024-06-14T14:12:32.331Z

Allgemeines

Die beste Entscheidung ihres Lebens

Sarah Dederscheck hieß früher Sven und spielt nun bei den Frauen des SV Ottensen

Sarah Dederscheck hieß bis vor einem Jahr Sven und war Torhüter in Männermannschaften. Jetzt sie als Innenverteidigerin bei den Frauen des SV Ottensen. Bis aber aus dem Wunsch, eine Frau werden zu wollen, ein Entschluss wurde, war es ein langwieriger Weg.

Zwischen ihrem letzten Spiel als Mann und dem ersten als Frau liegt ein Dreivierteljahr. Sarah Dederscheck (40) erinnert sich: "Wir haben zu Hause gespielt, es war eine Katastrophe." Dederscheck trägt damals den Vornamen Sven, steht im Tor des SV Ottensen und kassiert fünf Treffer gegen Kreisklassen-Konkurrent Agathenburg/Dollern. Das war im Mai 2017.

Neun Monate später, Dederscheck trägt inzwischen den Vornamen Sarah, gewinnt sie mit Ottensens Frauenmannschaft deutlich gegen Oste/Oldendorf, bei gefühlten Minusgraden. Dederscheck ist jetzt Innenverteidigerin, sichert den Zu-Null-Sieg ab. "Ich konnte nicht glauben, dass ich jetzt bei den Frauen spiele", sagt Dederscheck. Zwischen diesen beiden Spielen hatte sich ihr Leben verändert.

Dies ist die Geschichte von Sarah Dederschek, die das Gefühl hatte, im falschen Körper zu leben, und mit fast 40 Jahren den Entschluss fasste, eine Frau zu werden.An einem Montagabend im Dezember betritt Dederscheck die Sporthalle des Schulzentrums Süd in Buxtehude. Ihre Mitspielerinnen laufen sich warm, die Sohlen quietschen auf dem Hallenboden. Dederscheck entschuldigt sich für die Verspätung - Überstunden, die Arbeit - und wischt sich die langen Haare aus dem Gesicht. Als sie die Trainingsjacke ablegt, kommt ein Eintracht-Frankfurt-Trikot zum Vorschein. Rückennummer 16, Stefan Aigner.Anfang des Jahres war Dederscheck zur Frauenmannschaft des SV Ottensen gestoßen. Sie kam damals in die Kabine und stellte sich vor: "Ich bin Sarah und möchte bei euch spielen." Kapitänin Christina Prigge erinnert sich an diese Worte. Dederscheck erklärte, dass sie ein Mann war und zu einer Frau werden wird. Einige Spielerinnen wirkten verdutzt. Eine ungewohnte Situation für alle in der Kabine. Prigge durchbrach die Stille, sagte: "Herzlich Willkommen!"

Nach kurzer Zeit gab ihr die Mannschaft aufgrund ihrer Vorliebe für die Farbe Pink den Spitznamen: Prinzessin II."Ich war im ersten Moment verwundert", sagt Co-Trainer Carlos Follert, der Dederscheck noch bei Ottensens Männern in der Ü32 gecoacht hat. Er war einer der Ersten beim SV Ottensen, der von Dederschecks Entscheidung erfuhr. Das Outing, sagt Follert, sei im Verein durchweg positiv aufgenommen worden. Weil Dederscheck offen mit ihrer Geschichte umgegangen sei, gab es abgesehen von einigen Sprüchen und Witzen keine Probleme.

Follert und Trainerkollege Stephan Griebel teilen die Spielerinnen in drei Mannschaften ein. Vier gegen vier, die Trainer hüten die Tore. Dederscheck trägt ein orangenes Leibchen. Erobert den Ball an der Mittellinie. Lobt ihre Mitspielerinnen. Ärgert sich über vergebene Chancen. Lupft Eckbälle in den Strafraum. Überläuft eine Gegenspielerin, verliert den Ball an die nächste. Und trifft mit einem satten Schuss ins Tor.Dederscheck sticht mit ihrer Statur heraus. 1,84 Meter groß, über 90 Kilogramm schwer. "Sie ist nicht gerade schmächtig", sagt Follert. Sie habe ordentlich Kraft in den Beinen und eine tolle Ballführung. Jahrelang hütete sie das Tor beim Buxtehuder SV, spielte mit der ersten Mannschaft ein Jahr in der Landesliga. Bei den Frauen, sagt Follert, habe Dederscheck anfangs noch sehr vorsichtig agiert. Inzwischen setze die Verteidigerin ihre körperliche Präsenz ein, um den Gegnerinnen in der Kreisliga den Weg zum Tor zu versperren. "Sie wird dafür auch häufiger gefoult", sagt Follert.

Das Training ist vorbei. Sarah Dederscheck zieht ihre Jacke über das Frankfurt-Trikot und schultert die Sporttasche. Begleitet wird sie von Ehefrau Lisa, 31, die seit kurzem für den SV Ottensen stürmt und noch auf ihren ersten Treffer in der Liga wartet. Über Landstraßen steuern die beiden in ihrem Kleinwagen auf ihre Wohnung in Beckdorf zu. Hier leben sie mit ihren Katzen Penny und Leonie. Drei Zimmer, neunzig Quadratmeter.Auf dem Esstisch steht ein Adventskranz mit zwei brennenden Kerzen. Sarah Dederscheck sitzt davor und erzählt ihre Geschichte. Die gebürtige Buxtehuderin redet mit der gleichen Selbstverständlichkeit über die Entscheidung, eine Frau zu werden, als ob sie darüber redet, den Verein zu wechseln. "Ich hatte schon in der Pubertät erste Gedanken, dass ich mich nicht als Mann fühle", sagt sie. Nur outen wollte sie sich nicht, sie fürchtete die Reaktion der Mitmenschen.Transgender zu sein, also jemand, der sich nicht mit seinem biologischen Geschlecht identifizieren kann, gilt häufig als Tabuthema. Das merkt auch Dederscheck, die anfangs beim Spaziergang durch die Fußgängerzone in Buxtehude "abwertende Blicke" registrierte oder von Zuschauern auf den Fußballplätzen bepöbelt wurde. "Einerseits tut das weh", sagt sie, "andererseits nimmt man das irgendwann nicht mehr wahr.

"Wie viele Transgender in Deutschland leben, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Nach einer Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität sind hierzulande bis zu 80000 Menschen transsexuell. Die internationalen Schlagzeilen bestimmten jüngst ein Transgender-Boxer, der seinen ersten Profikampf gewann, und US-Präsident Donald Trump, der Transgender im Militär verbieten will. Sarah Dederscheck erzählt ihr Geschichte auch deshalb, es geht ihr um Toleranz und Transparenz.

Zurück am Esstisch. Dederscheck greift nach einem Zimtstern. Sie erzählt, dass sie als Mann Fußball spielte, im Tor stand und bei der Bundeswehr als Ausbilder arbeitete, weil es als männlich galt. Gerade beim Fußball konnte sie Aggressionen abbauen, und fiel nicht auf. Nur ihre Stiefmutter und ihre heutige Ehefrau wussten, dass sie sich als Frau fühlte. Das Haus verließ sie manchmal im Dunklen, mit Mini-Rock und hohen Schuhen.

Nach der Zeit bei der Bundeswehr sollte sich etwas ändern. Dederscheck begann eine Psychotherapie, um mit ihren Gefühlen zurechtzukommen. Doch körperlich und seelisch ging es ihr schlecht, dann auch ihrer Ehefrau. "Ich konnte nicht ich sein", sagt Dederscheck. Sie brach die Therapie ab. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Traum, eine Frau zu werden, niemals in Erfüllung gehen werde. "Ich war in dieser Zeit unausgeglichen, lustlos, schnell auf 180 oder wollte meine Ruhe haben", sagt Dederscheck. Ehefrau Lisa ermutigte sie: Mach es! Werde wieder glücklich!Sarah Dederscheck outete sich. Erzählte ihren Eltern, Geschwistern, engsten Freunden und Arbeitskollegen, dass sie eine Frau werden wolle. "Das Feedback war durchgehend positiv", sagt sie. Im Mai vergangenen Jahres, wenige Tage vor ihrem letzten Spiel bei den Männern, begann die Hormontherapie. Dederscheck schluckte Tabletten, welche die Wirkung des männlichen Sexualhormons Testosteron hemmen; außerdem bekam sie Östrogene verabreicht, weibliche Sexualhormone. Lust auf Fußball hatte Dederscheck in dieser Zeit nicht.

Ihr Körper veränderte sich. Die Muskelmasse baute ab, die Haut wurde weicher, die Taille runder, ihr wuchsen weniger Haare und mehr Brust. In der begleitenden Psychotherapie konnte sie über die Veränderungen sprechen: Ob sie sich das Leben als Frau so vorstelle; ob sie sich in ihrem Körper wohlfühle; wie sie von Außen wahrgenommen werde. Die geschlechtsangleichende Operation steht noch aus, genau wie die Brust-OP.Heute sagt Dederscheck: "Es war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe." Sie fühle sich als "komplette Frau".Lisa Dederscheck sitzt mit am Esstisch vor einem Glas Cola und lächelt. Vor vier Jahren hatte sie Sven, einen Mann, geheiratet und begleitete ihn auf seinem Weg.

Gab es jemals Zweifel? Sie schüttelt den Kopf. "Warum hätte ich den Weg nicht mitgehen sollen?" Sie waren drei Wochen zusammen, da hatte sich Sarah ihr bereits offenbart. Und jetzt? "Sarah hat etwas längere Haare, ansonsten ist sie immer noch die Person, die ich geheiratet habe." Dann verschwindet sie im Nebenzimmer. Ein Anruf. Sie hat heute Geburtstag.Sarah Dederscheck muss sich nicht mehr verstecken. Am 22. Dezember 2017 hatte das Amtsgericht auf Grundlage zweier Gutachten bestätigt, dass sie nun offiziell eine Frau sei. Damit konnten der Vorname und das Geschlecht im Personalausweis geändert werden, und dadurch wiederum war Dederscheck auch spielberechtigt für den Frauenfußball. Zwei Monate später sicherte sie bei gefühlten Minusgraden den klaren Zu-Null-Sieg gegen Oste/Oldendorf ab, in ihrem ersten Spiel bei den Damen."22.12.2017", schrieb Sarah Dederscheck auf ihrem Facebook-Profil. "Der Traum wird wahr."

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Aufrufe: 023.12.2018, 16:42 Uhr
Tageblatt / Von Tim ScholzAutor