2024-04-25T14:35:39.956Z

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– Foto: Thies Meyer

»Das ist ein komplett neues Feld für uns«

RL SÜDWEST: +++ Die Geschäftsführer des TSV Steinbach Haiger, Matthias Georg und Arne Wohlfarth, werden in der Corona-Krise zu „Maskenverkäufern“ +++

Haiger. Es ist Ende Januar 2020. Fußball-Regionalligist TSV Steinbach Haiger befindet sich im Trainingslager im türkischen Side. Mit dabei sind die beiden Geschäftsführer Matthias Georg und Arne Wohlfarth. Die Vorbereitung auf die anstehende Rückrunde läuft auf Hochtouren, der TSV ist dran an der Spitze der Liga, der Aufstieg noch möglich. Mitten hinein platzt die Nachricht, dass TSV-Hauptsponsor Sibre, eigentlich Hersteller von Industriebremsen, eine ungewöhnliche Anfrage vom Firmenableger in China erhalten hat: Rund 100 000 OP-Schutzmasken waren aufgrund der Corona-Epidemie aus China angefordert worden. „Ob wir die nicht auch irgendwann in Deutschland brauchen?“, sagen sich Wohlfarth und Georg damals scherzhaft. Das Virus weit weg, der Fußball das Kerngeschäft.

Seitdem hat sich vieles verändert. Der Spielbetrieb ist bis auf Weiteres ausgesetzt, Spieler, Trainerteam und die Mitarbeiter der TSV-Geschäftsstelle sind in Kurzarbeit. „Zunächst hatten wir noch viel Organisatorisches zu erledigen. Das wurde aber stetig weniger“, so Georg. Warum also nicht in der aktuellen Situation, in der die Masken in Deutschland dringend benötigt werden, den umgekehrten Weg gehen, und bei Sibre-China und dessen Geschäftsführer Jianwei Wu Schutzmasken ordern? „Dann ging alles brutal schnell“, resümiert Georg. Binnen weniger Tage wurde Anfang April aus den beiden Geschäftsführern eines Fußballclubs „Maskenverkäufer“.

Beide tasteten sich langsam auf dem neuen Arbeitsfeld vor, bestellten zunächst einige Probeexemplare der Einweg Mund-Nase-Schutzmasken sowie KN95-Atemschutzmasken mit Filter (diese entsprechen den europäischen FFP2-Masken), die maximal acht Stunden getragen werden können. „Erstens um zu sehen, ob sie überhaupt ankommen, und dann, um zu schauen, was die Masken für eine Qualität haben“, führt Georg aus. Doch wie die Qualität überprüfen, wenn man auf diesem Gebiet keine Expertise besitzt? „Ich hatte einen Kunden, der Altenheime beliefert, der sich die Masken angeschaut hat und uns sagte, dass sie eine super Qualität haben“, versichert Wohlfarth.

„Wie Staubsaugerverkäufer“ (Georg) zogen beide anschließend los, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wer überhaupt wie viel Bedarf hatte. Beide klapperten Apotheken, Pflegeheime, Zahnarztpraxen, Feuerwehren, Metzgereien, Supermärkte und Privatpersonen ab. „Wir haben ganz gezielt Institutionen in der Region angesprochen“, so Wohlfarth. Parallel dazu wurden auch die TSV-Sponsoren angeschrieben, um ihnen für ihre Unterstützung etwas zurückzugeben. „Durch den Fußball haben wir ein großes Netzwerk und darüber viele Leute angefragt, ob sie überhaupt Masken brauchen. Die Antwort war stets: am liebsten schon gestern und so viele wie möglich“, unterstreicht Georg. „Und hätte ich bei den Apotheken statt der 300 einen Lkw voller Masken dabeigehabt, wäre dieser sofort leer gewesen.“

Was aber deutlich wurde, war eine gewisse Skepsis. Schließlich boomt der Handel mit OP- und FFP2-Masken derzeit, seriös sind aber bei Weitem nicht alle Firmen und Angebote. „Wenn die Leute uns nicht kannten, war es schon manchmal mühsam, unsere Geschichte zu erzählen. Manche werden aktuell mit Angeboten überfrachtet und tun sich schwer, herauszufiltern, welchem Angebot sie vertrauen können, oder von wem sie über den Tisch gezogen werden. Einige waren zunächst sehr reserviert und wir mussten in langen Gesprächen beweisen, dass wir es ernst meinen, und die Masken seriös vertreiben wollen“, schildert Wohlfarth die Hürden.

Mittlerweile wurde ein Online-Shop (sibre-masken.de) eingerichtet, über den künftig die beiden Maskenarten verkauft werden sollen. „Für einen vernünftigen Preis, ich will jetzt nicht sagen für einen guten Preis, weil die Masken ja vor wenigen Monaten noch viel günstiger waren“, weiß Georg. Dieser gibt zu bedenken, dass sich aufgrund der hohen Nachfrage für Masken, die fast ausschließlich in China produziert werden, sich auch die Preise für den Transport in den vergangenen Wochen verdreifacht haben.

„Wir wollen in unserem Shop garantieren, dass die Masken auch drei Werktagen ankommen und wir nichts anbieten, was wir nicht auch auf Lager haben. Bis jetzt ist der Shop super angelaufen“, erläutert Georg. Die Lieferkette von China nach Deutschland ist durch Sibre bereits vorhanden. Sibre-Geschäftsführer und TSV-Vorstand Roland Kring kümmert sich mit seinen Kontakten um die Warenbeschaffung, Wohlfarth und Georg regeln den Vertrieb. Engpässe sind aktuell nicht zu befürchten. Erst vergangene Woche wurde eine große Lieferung mit 1, 4 Millionen – überwiegend einfache OP-Masken – aus China geliefert. Weitere, kleinere Lieferungen werden folgen.

Im Moment gibt es für Matthias Georg und Arne Wohlfarth abseits des ruhenden Fußballgeschäfts daher genug zu tun. „Das ist ein komplett neues Feld für uns. Das finde ich sehr spannend. Vor allem weil du merkst, dass du Leuten helfen kannst. Da sind manche in Not, die nicht wissen, woher sie die Masken überhaupt bekommen sollen. Das ist ein sehr schönes Gefühl“, so Wohlfarth. Matthias Georg ergänzt: „Das ist für uns die Möglichkeit, mit einem sinnvollen Produkt etwas Sinnvolles zu tun.“ Wie lange sie den neuen Job noch machen, können in der dynamischen Corona-Zeit beide nicht sagen. „Natürlich würden wir uns auch am liebsten wieder unserem Kerngeschäft Fußball widmen, aber aktuell ist die Zeit dafür noch nicht gekommen.“



Aufrufe: 019.4.2020, 19:04 Uhr
Tim Georg (Dill-Post / Dill Zeitung)Autor