2024-04-25T14:35:39.956Z

Ligabericht
Die Leidenszeit ist vorbei: Tino Bradara feiert gegen den FC Gießen sein Kurz-Comeback.	Foto: Björn Franz
Die Leidenszeit ist vorbei: Tino Bradara feiert gegen den FC Gießen sein Kurz-Comeback. Foto: Björn Franz

Das Ende einer Odyssee

RL SÜDWEST: +++ Tino Bradara muss acht Monate bis zu seinem ersten Auftritt für den TSV Steinbach warten +++

Haiger. Tino Bradara hat eine Odyssee quer durch die Bundesrepublik hinter sich und durfte so einige Arztpraxen unfreiwillig in- und auswendig kennen. Paderborn, Köln, Bonn, Berlin, Stuttgart – ehe er in München, genauer gesagt in Unterhaching, sein Glück fand. Dabei sollte der 22-Jährige doch eigentlich bei Fußball-Regionalligist TSV Steinbach Haiger auf der rechten Außenbahn mit viel Offensivdrang für Bewegung und Tempo sorgen. So zumindest der Plan Bradaras und der TSV-Verantwortlichen, als er am 21. Mai 2019 offiziell vom Ligakonkurrenten SSV Ulm an den Haarwasen gewechselt war.

„Ich hatte schon in den letzten zwei, drei Wochen in Ulm Probleme mit der Leiste. Damals sagten die Ärzte, dass nur ein Nerv eingeklemmt sei. Ich bin dann davon ausgegangen, dass ich zur neuen Saison in Haiger fit bin.“ Doch Bradaras Körper machte ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung. „Ich habe in Steinbach das erste Training mitgemacht und es auch danach immer wieder versucht. Aber beispielsweise bei Bauchübungen habe ich gespürt, dass es nicht geht und auch bei Sprints hat irgendetwas im Gesäß blockiert, sodass es ab einer gewissen Geschwindigkeit nicht mehr ging.“ Die Diagnose erhielt Bradara relativ schnell: Schambeinentzündung. Jene Verletzung, die schon Bundesliga-Profis wie Arjen Robben, Marco Reus und Mario Götze langfristig außer Gefecht setzte. Das Problem dabei: Es fehlt eine klare Behandlungsmethodik sowie ein klar absehbarer Heilungsverlauf. „Bei einem Kreuzbandriss weiß man zumindest, was man im Kraftraum zu tun hat und wann man ungefähr wieder spielen kann. Bei einer Schambeinentzündung gibt es das nicht“, so der 22-Jährige.

Es folgten acht Monate der quälenden Ungewissheit, fast ohne jegliches Training – zum Zuschauen verdammt. „Ich habe anfangs immer wieder Anläufe im Training genommen, aber die Symptome gingen einfach nicht weg. Ich war dann bei einem Spezialisten in Berlin, der ein dreimonatiges Sportverbot verhängt hat. Dann habe ich Tabletten eingenommen und gewartet.“

Und weiterhin Arztpraxen quer durch Deutschland aufgesucht, bevor ihm zu Hause vollends die Decke auf den Kopf fallen konnte. „Er hat viele Behandlungen auch selbst bezahlt, um einfach wieder fit zu werden. Leider war er sozusagen ein medizinisches Opfer, weil er immer wieder falsch beraten wurde. Hätte man den eigentlichen Verletzungsursprung früher herausgefunden, dann wäre er auch viel früher wieder im Mannschaftstraining drin gewesen“, so sein Trainer Adrian Alipour über Bradaras Leidenszeit, die erst kurz nach dem Jahreswechsel enden sollte: Sein Berater stellte den Kontakt zu Doktor Ralph Frank, der bereits die Knieprobleme von Bundesliga-Profi Kevin-Prince Boateng in dessen Zeit bei Schalke behandelte, her. In dessen Praxis „Moterium“ in Unterhaching folgte schließlich das Ende der Leidenszeit. „Der erste Besuch war noch nicht erfolgreich. Aber beim zweiten Mal hat er mich ausgerenkt, dann hat es einmal geknackt und dann waren die Schmerzen plötzlich verschwunden. Er hat mir dann auch direkt gesagt, dass ich wieder trainieren kann. Als ich das erste Mal im Trainingslager hundertprozentig alle Übungen mitmachen konnte und beschwerdefrei war, habe ich gemerkt, es geht und es ist endlich vorbei.“, berichtet Bradara sichtlich erleichtert. „Das war die schlimmste Verletzung, die ich je hatte und die ich mir überhaupt vorstellen kann, weil ich nicht wusste, wann ich wieder fit bin und wieder ins Training einsteigen kann. Diese Ungewissheit war auch für die Psyche belastend.“

Am vergangenen Samstag dann endlich die Befreiung auf dem Platz: In der 89. Minute im Duell des TSV gegen den FC Gießen feierte Bradara ein Kurz-Comeback. „Wir haben uns in diesem Moment für Tino entschieden, weil wir genau wussten, dass er den Haarwasen nochmal ordentlich umpflügen wird“, begründete Alipour die Einwechslung des „gefühlten Neuzugangs“, für den es ein „sehr, sehr gutes Gefühl war. Ich war stolz und dankbar, endlich wieder auf dem Platz zu stehen. Jetzt geht es für mich nur um eines: Ich will spielen, spielen, spielen“.

Bradara ist heiß und darf sich als i-Tüpfelchen nach seinem Comeback nun auf die Partie des TSV bei seinem Ex-Club Ulm (Samstag, 14 Uhr) freuen. Der flinke Rechtsverteidiger lief drei Jahre für die „Spatzen“ auf. „Ich hatte wunderschöne Jahre dort. Das Highlight war natürlich der DFB-Pokal. Auch wenn ich gegen Frankfurt nicht gespielt habe, konnte ich die Atmosphäre vor fast 19000 Zuschauern genießen und wurde in Runde zwei gegen Düsseldorf eingewechselt. Jetzt freue ich mich auf die Begegnung mit den Ex-Kollegen, zu denen ich noch viel Kontakt habe. Aber natürlich wollen wir in Ulm gewinnen.“ Ob mit oder ohne Bradara in der Startelf, ist dabei noch offen, wenngleich er bereit für Einsätze ist: „Spielpraxis sammeln, egal wie lange.“ Und die Ärzte-Odyssee und Leidenszeit vergessen machen.



Wieder mehr alternativen im Abwehrzentrum

Die erste Hürde ist genommen für den TSV Steinbach Haiger – die Erleichterung groß- „Das war vielleicht kein fußballerischer Leckerbissen, aber wir sind nach sechs Wochen Vorbereitung mit einem Erfolgserlebnis gestartet. Das ist das, was zählt“, so TSV-Coach Adrian Alipour im Rückblick. Doch der Trainer hält sich wie gewohnt nicht lange mit dem Vergangenen auf, sondern richtet den Blick nach vorne auf die weiteste Auswärtsfahrt der Saison ins Donaustadion des SSV Ulm (Samstag, 14 Uhr). Ein Spiel gegen einen Gegner, der ähnlich wie Steinbach auf Tempo und Pressing setzt, beim Restrundenauftakt aber nicht über ein torloses Remis gegen Kellerkind Pirmasens hinaus kam. „Wir werden einen guten Matchplan haben und schauen, dass wir unser Spiel durchdrücken, um mit drei Punkten im Gepäck nach Hause zurückzufahren“, so Alipour zuversichtlich.

Unterdessen hat sich die personelle Situation bei den Steinbachern vor allem in der Abwehr im Vergleich zum Spiel gegen den FCG wieder verbessert. „Es gibt in der Innenverteidigung nicht unbedingt einen Grund zu wechseln, weil Philipp Hanke und Sören Eismann das richtig gut gemacht haben. Aber wir sind natürlich froh, dass wir nun mit Benjamin Kirchhoff und David Al-Azzawe wieder zwei weitere Alternativen haben“, so Alipour, der jedoch auf Michael Schüler (Riss im Außenmeniskus) sowie Gian Maria Olizzo (Mittelfußbruch) verzichten muss. (tig)

Aufrufe: 027.2.2020, 23:00 Uhr
Tim Georg (Dill-Post / Dill Zeitung)Autor