2024-06-04T08:56:08.599Z

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Cherno Badije (hinten) steigt zum Kopfball hoch. Vergangene Saison erzielte der Gambier zwei Treffer für den SV Ennetach und stieg mit der Mannschaft in die Bezirksliga auf.  SZ-Archiv: Thomas Warnack
Cherno Badije (hinten) steigt zum Kopfball hoch. Vergangene Saison erzielte der Gambier zwei Treffer für den SV Ennetach und stieg mit der Mannschaft in die Bezirksliga auf. SZ-Archiv: Thomas Warnack

Ches Traum von Freiheit und Fußball

Seit etwas mehr als einem Jahr lebt der 19 Jahre alte Gambier Cherno Badije in Mengen

Bad Saulgau - Im vergangenen Jahr 2014 stellten 1912 Menschen aus Gambia (Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; BAMF) in Deutschland einen Antrag auf Asyl, 821 davon wurden in einer ersten Entscheidung positiv beschieden. Verglichen mit den aktuellen Zahlen der Flüchtlinge aus Syrien sind diese Zahlen eher gering. Aber: Auch immer mehr Menschen aus Afrika wagen die Flucht übers Mittelmeer nach Europa. Sie nehmen Risiken auf sich, um hier ein vermeintlich besseres Leben zu führen. Der 19 Jahre alte Cherno Badije ist einer von ihnen. Im vergangenen Jahr kam er aus Gambia nach Europa, nach Italien, dann führte ihn sein Weg nach Deutschland und schließlich nach Mengen.

Seit Juni 2014 ist Cherno Badije, von allen nur "Che" genannt, in Deutschland, seit dem 20. Juni 2014 in Mengen, wohin er nach einem einwöchigen Aufenthalt im Auffanglager in Karlsruhe kam. Damals endete eine mehrmonatige Odyssee. "Ich habe Gambia zu Beginn des Jahres 2014 verlassen", schildert Cherno Badije den Auftakt seiner Flucht. Er habe einfach ein besseres Leben führen wollen, frei, unabhängig, fern von allen Repressalien, die in Gambia jungen Männern wie ihm drohten, sagt er und erblickt das Bild des Präsidenten Yahya Jammeh auf dem Gambia-Dossier, das der Chronist mitgebracht hat. "Das ist er", sagt Badije und lächelt - gequält. "Ich habe sicher auch wegen der politischen Lage das Land verlassen. Aber: Es ist nicht das Problem, dass du Angst haben musst, zum Militär eingezogen zu werden, es ist eher die gesamte Situation", schildert der Teenager. Der seit 21 Jahren amtierende Jammeh hatte 1994 die Macht übernommen. Seither schränkt er die Freiheiten der Bürger immer weiter ein.

50 Mann in einem Schlauchboot

Cherno Badije verließ seine Heimat, ließ Eltern, Geschwister ("Inzwischen hatte ich wieder Kontakt zu ihnen") und die gewohnte Umgebung hinter sich und machte sich auf den Weg. Finanziert hat Badije die Flucht mit seinem geringen Erspartem und mit Hilfe seines Bruders. "Er hat mir etwas Geld gegeben", sagt Badije. So genau einschätzen kann er gar nicht, was er auf dem Weg nach Europa gebraucht hat - oder er will es nicht. "So um die 300 Euro", schätzt er. Das meiste sei an den Staatsgrenzen drauf gegangen, wenn die Grenzpolizisten die Hand aufhielten. Was er auf der Flucht erlebt hat, darüber spricht Badije nur zögerlich. "Das Boot, mit dem wir nach Europa kamen war um die fünf Meter lang. Und wir waren 100 Mann", schildert er. Dabei erzählen seine Augen weit mehr als die Worte, die seinen Mund verlassen. Es ist zu spüren, dass da im Ennetacher Vereinsheim ein Mensch sitzt, der immer noch Angst hat.

Derzeit lebt der 19-Jährige, der in seiner Heimat in der Jugend eines höherklassigen Fußballklubs nahe seiner Heimat im Großraum der Hauptstadt Banjul spielte, im Mengener Asylbewerberheim in der Lindenstraße. Er besucht täglich die Internationale Klasse VABO-2 der Bertha-Benz-Schule. Dort lernt er Deutsch, auch anhand eines Feinmechanikerkurses, den er zusammen mit anderen Asylbewerbern besucht. "Arbeiten darf ich leider nicht. Das ist mir nicht erlaubt. Ich gehe halt zur Schule und spiele Fußball."

Zum SV Ennetach kam er dank David Haubner, der mit den Alten Herren des Vereins und den Asylbewerbern Fußball spielte. "David hat mich angerufen und gesagt: Da ist einer, den solltest Du Dir mal anschauen", erinnert sich Ennetachs Trainer Andreas Gronbach an die erste Kontaktaufnahme. Gronbach tat wie ihm empfohlen und nahm Badije mit offenen Armen auf. "Che hat sehr gute Anlagen, er ist natürlich noch kein fertiger Spieler mit seinen 19 Jahren. Aber er ist einer meiner zuverlässigsten Spieler. Er ist bei jedem Training da, freut sich da richtig drauf. Außerdem trinkt er als Moslem keinen Alkohol", sagt Gronbach. Vor den eigentlichen Mannschaftssitzungen trifft er sich meist mit Badije, um ihm seine Taktik auf Englisch zu erklären. Dazu hält Gronbach viele Mannschaftsbesprechungen zweisprachig ab, um Badije ("Natürlich würde ich gerne mein Leben mit Fußball bestreiten...") einzubinden. Zwar hat Badije seit sieben Monaten Deutschunterricht, doch so richtig traut er sich - vor allem in der Öffentlichkeit - noch nicht.

Die größte Umstellung für Badije war die Kälte im Winter. "Das war vielleicht das Schwierigste", sagt er, lacht und taut mit Fortdauer des Gesprächs auf. "Natürlich haben wir auch eine kältere Jahreszeit in Gambia, aber so etwas wie Schnee habe ich noch nie gesehen." In der Lindenstraße lebt er derzeit mit drei weiteren Afrikanern in einem Zimmer auf etwa zwölf Quadratmetern, kocht selbst. Noch immer droht ihm die Abschiebung zurück nach Italien (Stichwort: sicheres Drittland). "Als ich hierher kam, kannte ich niemanden, ich war alleine. Jetzt gehen wir morgens alle zusammen zur Schule und lernen Deutsch." Schon einige Male haben ihn seine Mannschaftskameraden des SV Ennetach auf Ausflüge oder abends mitgenommen. Badije ist voll akzeptiert in der Mannschaft. Die Ennetacher leben die Integration ihres afrikanischen Mitspielers. "Es ist schön, dass ich hier Fußball spielen kann. Ich fühle mich sehr wohl hier, werde toll unterstützt", sagt Badije.

Aufrufe: 010.9.2015, 21:00 Uhr
Marc DittmannAutor