2024-06-04T08:56:08.599Z

Spielbericht
F: Foede
F: Foede

Beispielhaftes Fairplay nach Horror-Zusammenstoß

Zwei Wattenscheider stoßen im Regionalligaspiel beim SC Wiedenbrück mit den Köpfen gegeneinander. Nachdem beide erstversorgt und im Krankenhaus sind, stellen die geschockten Teams die Angriffe ein und schieben sich die Bälle zu.

Das Wichtigste vorab: Matthias Tietz geht es den Umständen entsprechend gut, und auch Steve Tunga Malanda ist wohlauf. Nach einer Nacht unter ärztlicher Kontrolle konnten die beiden 28 und 21 Jahre alten Fußballer der SG Wattenscheid das Wiedenbrücker Sankt-Vinzenz-Hospital gestern verlassen. Tietz sieht allerdings gezeichnet aus, wie Vorstandsmitglied Alexander Brentrup bei seinem Besuch im Krankenhaus feststellte. Die Platzwunde über dem Auge wurde genäht, der Verdacht auf Gesichtsfrakturen bestätigte sich bei den Untersuchungen zum Glück nicht. Die beiden Teamkollegen waren im Regionalligaspiel am Samstag beim SC Wiedenbrück in der 84. Minute fürchterlich mit den Köpfen zusammengeprallt, was Schlimmes befürchten ließ.

Trotz des glücklichen Ausgangs bleibt eine Frage offen: Wie konnte eine gar nicht mal so kleine Zahl von Zuschauern das Jahnstadion verlassen, während die Spieler beider Mannschaften in einer beispiellosen Geste die letzten Minuten der Partie zu einer regelkonformen Demonstration höherer Werte nutzten, auf eine Fortsetzung des Matches verzichteten und sich den Ball gegenseitig zuschoben? Wie konnten Zuschauer scheinbar unberührt von dieser Aktion einfach gehen, statt diesem beeindruckenden Zusammenspiel quasi Spalier zu stehen und ihm das zu spenden, was es verdient hatte, nämlich Standing Ovations bis zum Abpfiff? Wie konnten Zuschauer der Gänsehaut widerstehen, trotz aller Betroffenheit über den schlimmen Unfall eine Sternstunde des Fairplays zu erleben und zu würdigen?
Diese Fragen dürften auch dem Stadionsprecher durch den Kopf gegangen sein, als er die Besucher dem Ausgang entgegenstreben sah. „Liebe Zuschauer, nicht dass sie meinen, die Mannschaften wollen sie veräppeln“, erklärte Hans-Dieter Paschköwitz ins Mikrofon und nahm für alle, die es nicht ohnehin gespürt hatten, gleich die Bewertung vor: „Es ist eine großartige Geste der Fairness und des Respekts gegenüber den beiden verletzten Spielern.“
Und noch während der Ball auf dem Platz von Wattenscheider zu Wiedenbrücker Füßen wanderte, während die Spieler beider Teams mit erschrockenen Gesichtern dicht beieinander standen und Schiedsrichter Benjamin Schäfer dem verabredeten Pakt zustimmend zuschaute, fuhren Notarzt und Rettungswagen mit Blaulicht auf das Stadiongelände, um die beiden Wattenscheider Fußballer weiter zu versorgen.
Vorausgegangen war in der 84. Minute des 1:1 stehenden Spiels der Crash zwischen Tietz und Tunga, die beide im Mittelfeld mit Wucht in eine Kopfballsituation sprangen, aus der sich der Wiedenbrücker Stipe Batarilo-Cerdic herausgehalten hatte. Beide schepperten mit den Köpfen zusammen, blieben am Boden liegen und waren wohl kurzzeitig bewusstlos. Während sich Tunga bald wieder regte, hatte der blutüberströmte Tietz seine Zunge verschluckt und drohte zu ersticken. Dem beherzten Eingreifen des SGW-Physio- therapeuten und eines von der Tribüne herbeigeeilten fachkundigen Wattenscheiders ist es zu verdanken, dass die Zunge wieder befreit werden konnte. Während der neunminütigen Unterbrechung ergänzte auch der Wiedenbrücker Mannschaftsarzt Dr. Klaus Küppers die Versorgung der verletzten Spieler. Die Mitarbeiter des außerhalb des Platzes stationierten DRK-Teams, laut Sicherheitskonzept für die potenzielle Erstversorgung von Zuschauern zuständig, waren ebenfalls zugegen und transportierten Matthias Tietz auf der Trage in ihr Sanitätsfahrzeug. Dank Küppers, beruflich Chefarzt im nur 500 Meter entfernten Sankt-Vinzenz-Hospital, war die dortige Weiterversorgung beider Spieler unmittelbar gewährleistet.
Schon während der Unterbrechung hatten sich die geschockten Spieler und die Kapitäne beider Teams, Julian Wolff (SCW) und Nico Buckmaier (SGW) darauf verständigt, die Partie nicht normal zu Ende spielen zu wollen. Ein Abbruch der Partie durch Schiedsrichter Schäfer war indes keine Option. „Dann hätte womöglich das ganze Spiel wiederholt oder vielleicht auch nur die sechs Minuten nachgeholt werden müssen – das wollte niemand“, sagte Wolff. Also verständigte man sich auf den speziellen Nichtangriffspakt und ließ die Uhr herunterlaufen.
In einem spontanen Reflex spendete das Publikum auch kurzen Beifall, bevor die ersten Zuschauer vorzeitig gingen. Die finale Aufforderung von Stadionsprecher Paschköwitz an die Adresse von Benjamin Schäfer („So, pfeif ab“) bekamen die dann schon nicht mehr mit.

  • Julian Wolff (SCW-Kapitän): „Die Wattenscheider waren geschockt und wir waren schockiert. Wenn jemand kurzzeitig um sein Leben ringt, kann man nicht weiterspielen.“
  • Björn Mehnert (SCW-Trainer): „Es gibt deutlich wichtigere Sachen als Ergebnisse zu erzielen und Fußballspiele zu gewinnen. Ich ziehe den Hut vor allen Beteiligten – auch vor den Zuschauern, die Verständnis dafür gehabt haben, dass nicht mehr normal weitergespielt wurde.“
  • Farat Toku (SGW-Trainer): „Nach so einem Unfall fällt es mir schwer, die richtigen Worte zu finden. Man muss erstmal die Bilder verarbeiten, die man auf dem Platz gesehen hat. Zu dem, was danach passierte, kann man beiden Teams nur gratulieren. Es gibt noch andere Werte, als Sieg oder Niederlage – das zeugt von Größe.“
  • Oliver Zech (SCW-Spieler): „Ich habe so etwas noch nie erlebt – und ich möchte es auch nie wieder erleben.“
Aufrufe: 025.3.2018, 15:50 Uhr
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