2024-05-17T14:19:24.476Z

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Spielleiter: Kreisschiedsrichter-Obmann Florian Tesch (Mitte) ist selbst oft im Einsatz, pfeift Partien bis zur Hessenliga. Im Interview spricht der 28-Jährige unter anderem über den Schwund an Unparteiischen und wöchentliche Probleme. 	Foto: Jens Dörr
Spielleiter: Kreisschiedsrichter-Obmann Florian Tesch (Mitte) ist selbst oft im Einsatz, pfeift Partien bis zur Hessenliga. Im Interview spricht der 28-Jährige unter anderem über den Schwund an Unparteiischen und wöchentliche Probleme. Foto: Jens Dörr

"Aggressionen haben zugenommen"

100 Jahre Kreisschiedsrichter-Vereinigung Dieburg: Obmann Florian Tesch über Geschichte und aktuelle Probleme

DIEBURG. Ohne sie geht es nicht: Wie Fußball ohne neutrale, ausgebildete Schiedsrichter aussähe, lässt sich manchmal bestaunen, wenn zum Spiel kein Unparteiischer kommt – Absage oder Anarchie. In Hessen sind mehrere Tausend Referees in 34 Vereinigungen organisiert, darunter die Schiedsrichter-Vereinigung Dieburg. 2022 feiert sie ihr 100-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass haben wir mit Kreisschiedsrichterobmann Florian Tesch gesprochen. Ein Gespräch über Historie, Personalsorgen und ein finanzielles Zeichen zur nächsten Saison.

Herr Tesch, die Datenlage zur Geschichte der Schiedsrichter-Vereinigung Dieburg ist dünn. Was haben Sie dazu herausgefunden?

Fest steht, dass 1922 eine kleine Gruppe von Schiedsrichtern die Vereinigung gegründet hat. Damit wollte man den regelmäßigen Austausch untereinander gewährleisten. Damals haben die Vereine die Schiedsrichter noch selbst bestellt. Erst in den 30ern und 40ern ging man dazu über, dass ein neutraler Ansetzer die Schiedsrichter den Spielen zuteilt. Die Standardvergütung für die Leitung einer Partie waren übrigens drei Reichsmark.

Wie ging es nach dem Krieg weiter?

Der Fußball ist in Deutschland immer populärer geworden und hat durch den WM-Sieg 1954 einen Boom erlebt. Damit nahm auch die Zahl der Schiedsrichter zu. Spieler und Unparteiische wurden immer professioneller.

Welche Schiedsrichter der Dieburger Vereinigung waren am erfolgreichsten?

Wilfried Wick vom SC Hassia Dieburg und Dieter Storck vom TV Nieder-Klingen. Sie waren die Einzigen in der Geschichte unserer Vereinigung, die als Hauptschiedsrichter in der dritthöchsten Klasse, die damals Oberliga hieß, gepfiffen haben. Beide sind bis heute aktiv.

Zwei Männer von wie vielen in der Dieburger Vereinigung?

Von 106 – plus drei Frauen. Mit 109 Schiedsrichtern nähern wir uns leider der 100er-Grenze. Zur besten Zeit in der Saison 2008/2009 waren es 156. Derzeit zählen wir zu den mittelgroßen Vereinigungen in Hessen. Die Odenwälder Vereinigung hat zum Beispiel nur 60 Schiedsrichter. In der Frankfurter sind es – bei allerdings deutlich mehr Vereinen – fast 300.

Warum sinkt die Zahl im Fußball-Kreis Dieburg? Die jährlichen Neulingslehrgänge sind doch stets mit 35 Personen ausgebucht...

Da muss man genauer hinschauen. Von den 35 Angemeldeten kommen 32 oder 33. Darunter sind oft auch welche aus anderen Kreisen, in denen kein eigener Lehrgang zustande gekommen ist. Die meisten Neulinge sind sehr jung, oft erst zwölf oder 13. Die Hälfte von ihnen hört im ersten oder zweiten Jahr wieder auf. Oft spielen sie parallel noch selbst und merken, dass die Doppelbelastung doch zu hoch ist. Um ihrem Verein angerechnet zu werden, müssen sie mindestens zwölf Spiele pro Jahr leiten und fünf der elf Schiedsrichtersitzungen, bei denen Regelvorträge gehalten werden, besuchen. Hinzu kommt, dass viele wegen der teils heftigen Kritik der Erwachsenen gerade in der Einstiegszeit schnell wieder die Lust verlieren.

Was konkret bedeutet der Schwund für Sie, der pro Woche rund 40 Männerspiele besetzen muss?

Dass es eng wird und immer öfter nicht reicht. Von unseren 109 Schiedsrichtern kann ich 70 im Aktivenbereich ansetzen. Davon haben sich fürs Wochenende meist 30 abgemeldet, weil sie verletzt sind oder etwas anderes vorhaben. Sonntags kommen dann noch ein paar kurzfristige Absagen hinzu. Bis zur C-Liga schicken wir unsere Schiedsrichter zu Spielen in andere Kreise, von wo wiederum die Schiedsrichter für die hiesigen Ligen kommen. Die D-Liga Dieburg besetzen wir selbst, und dort ist der Mangel schon zu spüren: In der bisherigen Saison konnte ich für rund 30 Prozent der Spiele niemanden einteilen. Dann müssen die Teams einen Freiwilligen finden – oder das Spiel fällt aus.

Welchen Einfluss hat Corona?

Ein paar – meist ältere – Schiedsrichter pausieren wegen der Sorge vor einer Ansteckung zurzeit. Insgesamt haben seit Corona die Aggressionen nochmals zugenommen. Manche lassen sonntags auf dem Sportplatz ihren Alltagsfrust raus. In einigen Jahren werden wir wohl auch manches C-Liga-Spiel nicht mehr besetzen können.

Sehen Sie denn vielleicht auch etwas, das dem aktuellen Negativtrend entgegenwirken könnte?

Positiv ist, dass der Hessische Fußball-Verband zur nächsten Saison höhere Spesensätze für Schiedsrichter einführen wird. Die finanzielle Aufwandsentschädigung, das Kilometergeld nicht eingerechnet, steigt dann zum Beispiel für ein Kreisliga-Spiel der Männer von 22 auf 30 Euro. Für ein C-Jugendspiel gibt es derzeit zwölf Euro – auch da steigt der Spesensatz bald deutlich.

Das Interview führte Jens Dörr

Zur Person

Florian Tesch ist 28 Jahre alt- Der Lehrer aus Groß-Zimmern ist Schiedsrichter und pfeift für den SC Hassia Dieburg. Er leitet Partien bis zur Hessenliga, in der semiprofessionellen Regionalliga assistiert er. Als Obmann hat Tesch das höchste Amt der Schiedsrichter-Vereinigung Dieburg inne.

Aufrufe: 05.1.2022, 06:00 Uhr
Jens DörrAutor