2024-04-24T13:20:38.835Z

Allgemeines
– Foto: Anne Weimer

Alarmierende Entwicklung: "Der Frauenfußball im Saalekreis stirbt"

Regionalklasse 4 +++ Immer mehr Mannschaften melden sich aus dem Spielbetrieb ab

Mittwochabend, Old Trafford in Manchester. Über 68.000 Besucher verfolgen im „Theatre of Dreams“ das EM-Auftaktspiel England- Österreich. Der Frauenfußball erlebt auf der Insel seit Jahren einen Boom, immer mehr Vereine bauen professionelle Strukturen auf. Die Zuschauerzahlen steigen. Auch in Frankreich oder Spanien zeigen sich ähnliche Entwicklungen.

Kontrastprogramm Saalekreis. Maik Heinel ist Vorsitzender des SV Großgräfendorf. Der Verein war in den 2010ern noch Kreismeister bei den Frauen. Doch ab dem Sommer gibt es hier erstmals seit 17 Jahren keine eigene Damenmannschaft mehr: „Schon die letzten beiden Jahre war der Kader sehr begrenzt, wir mussten viele Spiele verlegen. Jetzt haben wir deshalb noch mal gesprochen und uns nun abgemeldet.“

Nur wenige Lebenszeichen im Saalekreis

Heinel blickt zurück: Noch 2008 habe es gut 20 Teams im Kreis gegeben, sogar eine eigene Kreisliga. Drei Mannschaften hätten gar Großfeld gespielt. Davon ist nichts mehr übrig. In den Großfeldligen findet sich kein Verein aus dem Saalekreis mehr. Da neben Großgräfendorf auch Bad Dürrenberg zur kommenden Saison seine Mannschaft zurückzieht, gibt es dann nur noch drei aktive Frauenteams aus dem Saalekreis. Die Diagnose von Heinel ist daher düster: „Der Frauenfußball im Saalekreis stirbt.“ Dem stimmt Stefan Kupski, Präsident des Kreisfußballverbandes, zu: „Katastrophal“ und „tot“ seien die richtigen Begriffe.

Einzelne Lebenszeichen gibt es derzeit noch. Eines kommt aus Kötzschau. Dort ist die Spielgemeinschaft mit Zöschen in der abgelaufenen Saison Vizemeister in der Staffel 4 der Regionalklasse geworden. Seit zwei Jahren sind Sandra Schulze und ihre Mitspielerinnen auf dem Kleinfeld unterwegs. Dabei war das Großfeld für die Kapitänin in ihrer nun seit 29 Jahren andauernden Fußballkarriere eigentlich Standard. Doch mit schwindender Spielerinnenzahl begann auch das Feld zu schrumpfen. Der Verband experimentierte teils mit verkürztem Großfeld. Mit aktuell zwölf Spielerinnen im Kader ist für die Spielgemeinschaft derzeit aber an mehr als Kleinfeld nicht zu denken. Mit Spannung erwarten sie nun, wie denn in der kommenden Saison ihre Staffel aussieht, wie weit die Reisen gehen.

Verschiedene Gründe für die Misere

Für die fundamentale Krise des Frauenfußballs sehen die Spielerinnen mehrere Gründe. Einer liegt auf der Hand: Es fehlt an Nachwuchs. „Es gibt wenig Vereine, die Mädchenmannschaften haben“, berichtet Schulze. Theoretisch können die jungen Spielerinnen bis zur B-Jugend mit den Jungs kicken. In den unteren Altersklassen funktioniert das. „Spätestens mit 13, 14 Jahren können sie aber körperlich nicht mehr mit den Jungs mithalten. Auch Umziehen und so wird dann ein Problem“, erklärt die Kapitänin. Aus ihrer Sicht ist die Lücke zwischen dem Kinder- und dem Frauenbereich zu groß. Erst mit 15 dürften die Jugendlichen bei den Frauen mitspielen. So lange würden viele nicht warten und mit Fußball aufhören. Auch kritisiert sie, dass es heute viel weniger Sichtungen und Lehrgänge des Landesverbandes gebe als zu ihrer Jugendzeit.

Maik Heinel nennt noch zwei weitere Gründe: Zum einen vermutet er, dass die halleschen Vereine einige Spielerinnen aus dem Umfeld abziehen. So habe Gräfendorf nun erst wieder zwei an den HFC abgeben müssen. Zum anderen sieht er Coronafolgen: „Die Pandemie hat dazu beigetragen, dass der Frauenfußball, der vorher am Boden lag, nun stirbt. Wir beobachten überall, dass das Pflichtgefühl, das Hobby ernsthaft auszuüben, schwindet.“ Auch Kapitänin Schulze berichtet, dass sich durch Corona Prioritäten verschoben haben.

Wenig Hoffnung aus Besserung

Ihre Teamkollegin Melanie Heinrichs macht insgesamt einen Wandel der Freizeitkultur aus: „Früher hat man sich nachmittags auf dem Bolzplatz getroffen und Fußball gespielt. Heute machen die Mädchen da Tik-Tok-Videos.“ Auch Kreispräsident Kupski bemerkt nicht nur das Problem, dass Mädchen irgendwann mit dem Fußball aufhören, sondern dass sie gar nicht erst damit anfangen. Seine Tochter, heute 24, spiele selbst Fußball. In ihrer Kindheit hätte in fast jedem gegnerischen Team wenigsten ein Mädchen mitgespielt. „Heute sieht man kaum noch welche.“ Bei seinem Heimatverein TSV 1910 Niemberg seien von 120 Nachwuchskickern nur sieben Mädchen, sechs davon in der G-Jugend.

Einen Ansatz, um den Trend in puncto Frauenfußball umzukehren, sieht Kupski nicht. Aufgeben wollen sie in Kötzschau dennoch nicht. Trainer Maik Ptacszynki berichtet: Er habe vergangene Woche beim Sportfest der Grundschule Kötzschau einen Fußballparcours aufgebaut. Dabei sei ihm eine Elfjährige aufgefallen, die derzeit in Günthersdorf angemeldet ist: „Ich habe sie angesprochen, ob sie mit ihrem Vater mal herkommt.“ Bis sie bei den Frauen spielen darf, müsste das Team aber noch vier Jahre durchhalten.

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Aufrufe: 010.7.2022, 13:00 Uhr
Robert Briest/MZAutor