2024-05-02T16:12:49.858Z

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Der 77-jährige Peter Mees leitet seit 40 Jahren Fußballspiele.
Der 77-jährige Peter Mees leitet seit 40 Jahren Fußballspiele. – Foto: Peter Mees

40 Jahre „Mr. Nachspielzeit“: 77-jährige Schiedsrichter-Legende Peter Mees feiert Jubiläum

Die Pfeiferei ist seine Medizin

Bekannt als „weißer Pelé“ und „Mr. Nachspielzeit“: Peter Mees war ein begnadeter Fußballer, der eigentlich nie Schiedsrichter werden wollte.

Freising/München - Dass Peter Mees seit 40 Jahren Fußballspiele leitet, ist einer eher zufälligen Begegnung in seinem Moosburger Lokal geschuldet. 1983 fragt ihn dort ein Referee, ob er nicht ein Spiel für ihn pfeifen wolle. „Du mit deinem Krampf. Stell mir einen Tennisstuhl hin, dann pfeif’ ich von da oben aus“, antwortet ihm Mees, der in der Schiedsrichterei keine Herausforderung, sondern nur ein notwendiges Übel sieht.

Letztlich pfeift er die Partie, ohne Stuhl, dafür in geliehenen, viel zu großen Schiedsrichterklamotten: „Oberhummel II gegen Haag II, tiefste C-Klasse. Und ich dachte mir: ‚Kruzifix, so einfach ist das ja gar nicht.’ Deswegen bin ich Schiedsrichter geworden.“

Genie und Wahnsinn

Peter Mees wird 1946 als holländischer Staatsbürger in Erding geboren. Schon früh offenbart er, dass in ihm ein genialer Kicker steckt. Als „weißer Pelé“ feiert ihn die lokale Presse. Mees hat das Talent zum Profi. Doch er ist auch das beste Beispiel dafür, wie nah Genie und Wahnsinn beieinanderliegen. Mehr noch als mit seinem fußballerischen Können fällt er durch unsportliches Verhalten auf und verbaut sich dadurch eine größere Karriere.

„Als Kicker war er grandios. Er war ein sau guter Techniker und Dribbler, der jeden Trick drauf hatte“, sagt Claudius Mayer, ehemaliger Sechzig-Reporter der tz, über seinen Bekannten, „aber er war auch ein schwieriger Charakter. Er hat halt gewusst, wie gut er ist.“

Die Meistermannschaft des TSV Erding 1965/66 (Peter Mees hintere Reihe zweiter von links)
Die Meistermannschaft des TSV Erding 1965/66 (Peter Mees hintere Reihe zweiter von links) – Foto: Peter Mees

Mees schafft selbst nie den Sprung zum FC Bayern, spielt aber, hineingeboren in die Generation von Franz Beckenbauer, Georg Schwarzenbeck und Gerd Müller, gegen eben diese in der Saisonvorbereitung. Mit Dieter Brenninger trifft er sich heute noch regelmäßig auf einen Kaffee und sagt ihm: „Ich war damals der bessere Fußballer von uns beiden.“ Brenninger antwortet dann folgerichtig: „Ja, aber du warst Amateur und ich Profi.“

Ein unrühmliches Ende nimmt Mees Spielerkarriere, als er gerade einmal 27 Jahre alt ist. Nach einer Auseinandersetzung in der Kabine sperrt ihn der TSV Erding vereinsintern für ein halbes Jahr. Vom Fußball kann er sich jedoch nicht lossagen. Als Spielertrainer betreut er mehrere kleine Vereine im Raum Dachau, ehe ein Kreuzbandriss mit 37 Jahren auch dieses Kapitel schließt.

„Ich war der größte Feind der Schiedsrichter.“

Peter Mees

Mehr noch als auf seine Mitspieler und Trainer hat es der junge Mees auf die Unparteiischen abgesehen: „Ich war der größte Feind der Schiedsrichter. Ich war schon vor dem Spiel gegen sie. In Erding habe ich gegen Deisenhofen einen Rekord aufgestellt: Rote Karte in der ersten Minute. Weil ich den Linienrichter beleidigt habe.“ „Ich war damals kaputt im Kopf“, sagt der vom Alter und 40 Jahren Schiedsrichterdasein geläuterte Mees, der sich heute vereinzelt in Spielern wiedererkennt.

Coole Sprüche und ewig lange Nachspielzeit

„Im Sommer 1983 hieß es dann in Erding, Freising und München: ‚Du, der Mees wird Schiedsrichter. Jetzt spinnt er komplett.’ Die haben gedacht, ich hätte Drogen genommen“, erinnert sich der 77-Jährige. Was als Herausforderung beginnt, entwickelt sich schnell zur Leidenschaft. Nach eigenen Schätzungen pfeift Mees im Schnitt 60 bis 70 Spiele pro Jahr, in manchen Jahren sogar bis zu 100.

Schnell macht er sich auch als Referee einen Namen: Mister Nachspielzeit. „Zehn Minuten Nachspielzeit vom ersten Tag weg. Das hat es damals so nicht gegeben, war bei mir aber völlig normal“, sagt Mees. „Früher hat es deswegen noch hin und wieder Krach gegeben, mittlerweile weiß aber jeder Bescheid, dass der Peter bei Zeitschinderei auch gerne mal 105 Minuten spielen lässt“, bestätigt Stefan Gomm, Mees zuständiger Schiedsrichter-Einteiler.

Heute pfeift Mees noch im Jugendbereich und die Erwachsenen von der A-Klasse an abwärts. Egal wo, die Leute kennen ihn. „Der Peter ist wirklich ein Unikat. Er nimmt sich selbst nicht so wichtig und hat immer einen coolen Spruch auf den Lippen“, sagt Andreas Heilmeier, Abteilungsleiter und Urgestein der SpVgg Altenerding. Sprüche verteilt Mees auf dem Platz häufiger als Karten: „Ich pfeife nicht wie ein Schiedsrichter, sondern wie ein Fußballer. Ich rede viel mit den Spielern und zur rechten Zeit drücke ich ihnen einen Spruch. Das tut oft mehr weh als eine Karte.“

Dauerbrenner, Talentscout, Partylöwe

Als Spielleiter muss sich Mees aber auch selbst einiges anhören. Warum bist du noch nicht in Rente, habe ihn zuletzt wieder jemand scherzhaft gefragt. „Dass der Peter mit 77 Jahren immer noch drei Spiele die Woche pfeift, ist wirklich außergewöhnlich“, stellt Gomm fest. Heilmeier hat ebenfalls großen Respekt vor Mees Leistung: „Davor kann man nur den Hut ziehen. Er läuft noch relativ viel. Und wenn er einmal nicht mehr hinterherkommt, dann hilft ihm seine Erfahrung, viele Situationen auch aus größerer Entfernung richtig zu beurteilen.“

Ein gutes Auge attestiert ihm auch Sebastian Maier, Spieler vom SC Kirchasch, als Unparteiischer wie als Spielerscout: „Der Peter hat ein Talent dafür, gute Fußballer zu entdecken. Als ich damals mit 19, 20 Jahren nach Moosinning gewechselt bin, hat er den Kontakt hergestellt und mich quasi transferiert.“ Die beiden sind bis heute befreundet. Bevor die Erdinger Disco „Penthaus“ 2018 schließt, trifft man sie dort regelmäßig gemeinsam an. Maiers Lieblingsgeschichte spielt sich aber im Münchner „Crowns Club“ ab: Dort wird er angesprochen, wie cool es sei, dass er gemeinsam mit seinem Opa feiern gehe.

„Heute ist die Pfeiferei für mich wie eine Medizin.“

Peter Mees

Maier besucht Mees auch während dessen Reha in Bad Reichenhall. 2016 bekommt der damals 70-Jährige, der sein Leben lang den Zigaretten verfallen war, drei Tage vor Weihnachten die schreckliche Diagnose: Lungenkrebs. Operiert wird Mees am Valentinstag. Keine drei Monate später gibt er sein Comeback auf dem Fußballplatz. „Heute ist die Pfeiferei für mich wie eine Medizin“, sagt Mees, „ich hatte in den letzten drei Jahren noch zwei weitere Tumore in der Lunge. Die sind jetzt gar nicht mehr da.”

40-jähriges Jubiläum im Juli

Mees lebt den Fußball wie kaum ein anderer. „Egal wann und wo du ihn triffst, es geht immer nur um Fußball“, sagt Maier. Wenn Mees gerade einmal nicht selbst als Schiedsrichter aufläuft, verfolgt er das Geschehen von der Zuschauertribüne aus. So auch im August 2021: Als sich bei einem Landesligaspiel in Schwaig einer der Schiedsrichterassistenten verletzt, springt er kurzerhand als Linienrichter ein.

Am 12. Juli ist es dann so weit: Peter Mees feiert sein 40-jähriges Schiedsrichter-Jubiläum und erhält für seine Verdienste vom Bayrischen Fußball-Verband die silberne Verbandsehrenmedaille. Obwohl ihn seine Frau regelmäßig für blöd erklärt, wenn er Sonntagmittag seine Tasche packt und zum Pfeifen fährt, denkt er nicht daran aufzuhören: „Mir wird jetzt schon schlecht, wenn ich an den Tag denke, an dem ich nicht mehr pfeifen kann.” (Simon Jacob)

Aufrufe: 030.6.2023, 14:01 Uhr
Simon JacobAutor