2024-04-19T07:32:36.736Z

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Inniges Verhältnis: Der U-23-Torjäger Aziz Bouhaddouz (2. v.r.) bedankt sich bei seinem Trainer Dirk Dreher für dessen Rückhalt.
Inniges Verhältnis: Der U-23-Torjäger Aziz Bouhaddouz (2. v.r.) bedankt sich bei seinem Trainer Dirk Dreher für dessen Rückhalt.

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Dirk Dreher ist ein Bayer-Urgestein und nach Auflösung der U23 ein Trainer ohne Mannschaft

Leverkusen/Verl. Den Blick gesenkt, die Stirn in Falten gelegt, das Jackett über die Schulter geworfen. Gerade haben ihn knapp einhundert Fans von Bayer 04 Leverkusen gefeiert, haben seinen Namen gerufen. Der letzte Weg im Regen von Verl, über den Rasen des Stadions an der Poststraße in die Kabine, war emotional für Dirk Dreher (48). 13 Jahre lang war er die Konstante der zweiten Mannschaft von Bayer 04 Leverkusen, hat nur zwei Spiele verpasst: im März 2003 in Paderborn und im Mai 2012 in Idar-Oberstein, da lag Dreher mit Bluthochdruck im Krankenhaus. Sonst war er immer da. Und nun ist endgültig Schluss.

In seinem Büro sieht es trotzdem nach Arbeit aus. Der Raum liegt etwas versteckt im Erdgeschoss der BayArena, neben dem kleinen Kunstrasen, auf dem die Fußballer ihre Reha-Übungen absolvieren. Die Jalousien der wandhohen Fenster sind heruntergelassen, der Schreibtisch ist voll mit Mappen, Schnellheftern, Briefen. Ganz oben liegt eine Schokoladentafel, ein älteres Ehepaar hat sie ihm beim letzten Heimspiel gegen Fortuna Köln geschenkt. Daneben ein Schreiben des nächsten Gegners, dem SC Verl. Es ist die Woche vor dem letzten Spiel in der Geschichte der U23. Dem Spiel, nach dem die Fans ihn feiern werden.

Dass die Entscheidung des Klubs, die U23 abzumelden, Dreher nahegeht, ist klar. Man muss kein Psychologe sein, um zu erkennen, dass er mit dem Entschluss unzufrieden ist — und mit der Art und Weise, wie er zustande kam. Dreher verfechtet den Gedanken, dass Jugendspieler sich im Seniorenfußball behaupten müssen, mit Zweikämpfen und Laufduellen. Er ist kein Konzepttrainer, der eine Power-Point-Präsentation für einen Matchplan braucht.

In den 90er Jahren trainierte Dreher ehrenamtlich seinen Jugendverein SV Schlebusch, führte ihn aus der Kreisliga A in die Landesliga. Seine Idee vom Fußball hat er sich bewahrt, sie beinhaltet einen Gedanken, der in der neuen Ausrichtung von Bayer Leverkusen ohne U23 keinen Platz mehr hat: Jeder soll eine Chance bekommen, seinen Traum zu verwirklichen. Stolz erzählt Dreher die Geschichte von Christoph Kramer: Niemand habe dem Jungen damals im Verein viel zugetraut, „aber wir haben ihn bei den Amateuren zum Kapitän gemacht”. Nun spielt Kramer, 23 Jahre alt, vielleicht bei der WM in Brasilien für die deutsche Nationalmannschaft.

Auch Dreher hat die Chance bekommen, seinen Traum zu leben. Zunächst kam er als Fußballer zum Verein, 1977. Doch es war schnell klar, dass er nicht die Karriere einschlagen würde, wie sein ein Jahr jüngerer Bruder Bernd, der auch als Feldspieler Talent hatte und später Torwart von Bayern München wurde. Dreher spielte im Sturm, er muss lachen, wenn man ihn darauf anspricht und sagt: „Ich bin vorne herumgestanden und habe die Bälle ins Tor geschossen.” Sein größter Erfolg als Spieler: Eine Einwechslung für die zweite Mannschaft von Bayer Leverkusen in der drittklassigen Oberliga.

Seine Leidenschaft wird der Trainerjob, den er von Beginn an nicht nur als Arbeit auf dem Platz versteht. Dreher ist der Kümmerer. Er sorgt dafür, dass die Trikots gewaschen werden, dass Hotels gebucht sind, dass die Spieler sich wohlfühlen und in der Schule gute Noten schreiben. Dass neue Spieler kommen und alte eine Perspektive haben. 1990 wird er Co-Trainer der B-Jugend, ab 1992 arbeitet er elf Jahre lang mit Thomas Hörster zusammen: In der B-Jugend, in der A-Jugend, ab 2001 bei den Amateuren. Es wird seine Mannschaft. Einmal, 2003, war Dreher für vier Spiele ihr Cheftrainer.

Sah man in der vergangenen Saison ehemalige Bayer-Spieler an ihre alte Wirkungsstätte zurückkehren, begrüßten sie Dreher herzlich, mit Handschlag wie einen Freund. Doch trotzdem blickten sie zu ihm auf. Aziz Bouhaddouz, mit 25 Toren bester Regionalliga-Torschütze, pflegte ein inniges Verhältnis zu Dreher, der ihn von Viktoria Köln nach Leverkusen holte. Als Bouhaddouz Mutter im März verstarb, ermöglichte Dreher dem Spieler die Reise in die Heimat. „Er hat viel für mich getan”, sagt Bouhaddouz. Nach einem Tor im letzten Heimspiel gegen Fortuna Köln lief er in Drehers Arme. Wenn es in Leverkusen weitergegangen wäre, hätte der Deutsch-Marokkaner wohl auf einen Vertrag beim Zweitligisten Sandhausen verzichtet und wäre geblieben.

Seine Arbeit als Chemielaborant bei Lanxess hat Dreher über die Jahre sukzessiv zurückgefahren, seit 2011 war er hauptberuflich Teammanager. Doch eigentlich war er in Leverkusen längst mehr. Auch wenn es etwas despektierlich klingt: Er war das Mädchen für alles. Ein Beispiel: Seit drei Jahren ist Dreher Betreuer des UEFA-Delegierten bei internationalen Heimspielen. Als der Verbandsmann im Champions-League-Achtelfinale den gegnerischen Fanblock inspizieren wollte, stand Dreher mit verschränkten Armen zwischen den Fans von Paris St. Germain, um das Bayer-Logo auf seiner Jacke zu verdecken. „Ich habe viel Zeit in den Verein gesteckt”, sagt er. „Aber nicht weil ich musste. Sondern weil es ein großer Teil meines Lebens ist.” Seine kleinen Augen leuchten, wenn er vom Pokalsieg 1993 oder dem Uefa-Cup 1988 erzählt, oder von seinen ganz persönlichen Sternstunden: Als „Tribünenadler” 2003 für Thomas Hörster etwa, als Dreher seinem Chef empfahl, den jungen Sebastian Schoof in Hannover einzuwechseln. Schoof traf zum Ausgleich, Bayer gewann mit 2:1.

Zuletzt war er von acht Uhr an, nachdem er seinen zweijährigen Sohn in den Kindergarten gebracht hatte, bis nachmittags im Büro und organisierte den täglichen Ablauf einer Mannschaft ohne Zukunft. Neben seinem Schreibtisch hängt ein Ausdruck aus dem Bayer-04-Magazin an der Wand, dort hat sich Dreher einen Satz von Jupp Heynckes mit Textmarker markiert. Sinngemäß sagte Heynckes, damals Bayer-Trainer: „Wenn Spieler bei mir nicht zum Einsatz kommen, ist es selbstverständlich, dass sie in der U23 spielen.” Dreher hat sich diese Wertschätzung sehnlichst gewünscht, doch es blieb in all den Jahren bei dem Wunsch. Sein Team, die U23, war in Leverkusen immer ein Ballast.

Ab der kommenden Saison soll Dreher nun den Gegenentwurf zu seiner vorherigen Arbeit vorantreiben: Er soll ausgeliehene Spieler betreuen. Bald wird er sein Büro für die Verantwortlichen der U19 räumen, doch es wäre unpassend, wenn er nicht ein neues in der BayArena beziehen würde, die seine Heimat geworden ist.

Ralf Minge war in der Woche vor dem Spiel in Verl zu Besuch, dann musste er weiter zu einem Termin im Haus. Er fragte Dreher: „Wie komm ich beim Didi raus?” Die prompte Antwort: „Nimm den Aufzug, fahr hoch, geh über die Piazza.” Eigentlich müsste sich auch Minge hier auskennen, er war selbst fünf Jahre im Verein. Doch Dreher hat in 37 Jahren jeden Winkel des Klubs kennengelernt. Er kennt ihn wie die Westentasche seines Jacketts, das er sich im Regen von Verl über die Schulter warf. Nur fehlt jetzt etwas in dieser Tasche. „Ich habe keine Mannschaft mehr”, sagt Dirk Dreher.

Aufrufe: 07.6.2014, 08:39 Uhr
Kölner Stadt-Anzeiger / sebastian fischerAutor