2024-03-18T14:48:53.228Z

Querpass

Wut wegen Westerheide

oder: über die Kunst der angemessenen und annehmbaren KritikrnrnAls Profi-Fußballer ist man automatisch eine Person vom öffentlichen Interesse. Das bringt zum einen eine gesteigerte Aufmerksamkeit mit sich. Jeder Schritt muss gut überlegt sein, will man sich keinen Fehltritt erlauben, der womöglich die eigene fußballerische Karriere tangieren könnte. Zum anderen wird mehr denn je das Privat sportlich. Will heißen: Die Zeitspanne, in der private(s)/ Eskapaden der Öffentlichkeit zugetragen werden,

Wie das Beispiel Max Kruse (Querpass berichtete darüber: Die Kruse-Krise) eindrucksvoll vor Augen führte, können Testosteron-durchtränkte Höhenflüge und damit unbedachte Handlungen einen Rauswurf aus der Nationalmannschaft mit sich bringen. Schließlich hat man eine Vorbildfunktion zu erfüllen.

Doch auch in anderer Hinsicht sind die Fußballer-Akteure der Presse ausgeliefert. Wenn sie Glück haben, werden Lobeshymnen auf sie geschrieben, wenn sie Pech haben, ernten sie starke Kritik, manchmal sogar von den eigenen Verantwortlichen und haben dank ihrer vertraglichen Vereinbarungen mehr als begrenzte Möglichkeiten darauf adäquat zu reagieren. Sollten sie es dennoch wagen, Position zu beziehen, tun sie gut daran, den Rat sogenannter PR-Profis einzuholen, die sich mit allen Kniffs und Tricks des Journalismus auskennen. Dieser Umstand will in den Augen mancher die hohen Summen rechtfertigen, die Profis im Unterschied zu Frauen einheimsen. Kein unnachvollziehbarer Grund. Die Mechanismen und Dynamiken diesbezüglich sind in der Tat von einem ganz anderen Ausmaß.

Nichtsdestotrotz ist es aufgrund dieser unglücklichen Konstellation, um nicht schutz-und hilflos den journalistischen Organen der Meinungsmacher ausgeliefert zu sein, unabdinglich, dass es gewisse Werte gibt, an denen sich die Schreiberlinge orientieren. Denn in erster Linie dienen natürlich Zeitungsartikel zur Information des interessierten Lesers, gleichzeitig sollte damit auch ein gewisser Unterhaltungswert gegeben sein, der aber die Sache nicht aus den Augen verliert. Eng damit verknüpft ist der Anspruch der Unparteilichkeit, damit der Leser und alle anderen Beteiligten sich unvoreingenommen eine Meinung machen können.

Diese Werte wurden jüngst in der Nachtberichterstattung zum Derby- und Pokal-Fight zwischen den Zweitligafrauen des DSC Arminia Bielefeld und des FSV Gütersloh stark verletzt.Leidtragende: Wibke Westerheide, der anstelle von Sarah Rolle für die verletzte Stammtorhüterin Alisa Ostwald das Vertrauen ausgesprochen wurde.

Doch von Anfang an: Der fulminante 6:2 Einzug der Blauinnen über ihren OWL-Nachbar zog genausoviel Wirbel nach sich wie er zuvor an Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Die Gütersloher Presse nutzte dabei jede Gelegenheit, kein gutes Haar an Trainerin und Torhüterin zu lassen. Insgesamt spiegelte sich im gesamten Bericht viel Frust wider: so war eingangs von einer "schallenden Ohrfeige" die Rede, die sich Gütersloh beim "desaströsen Auftritt" eingefangen hatte. Das Derby geriet zum "Desaster". Die Schuldige schien schnell gefunden, schoss sie doch ein ums andere Mal in den Augen der (über-)kritischen Beobachter einen neuen Bock! Erst im letzten Absatz, nachdem man schon genügend Argumente gefunden hatte, warum der "unglückliche Auftritt" der herumirrenden "Zweitliga-Debütantin" Westerheide als eine "krasse Fehlentscheidung" tituliert werden darf, relativierte man diesen Eindruck mit dem Hinweis, dass nach dem 3:1 durch Tanja Thormälen das gesamte Team einen (mentalen) Einbruch erlebt hatte. Von dem cleveren, mutigen und mitreißenden Kombinationsspiel, den die Gütersloherinnen bis zur 25. Minute gezeigt hatten, war nichts mehr zu sehen. Verständlich, schließlich ist es nicht leicht, das Ereignis, eine Führung, die man binnen von 6 Minuten aus der Hand gegeben hatte, zu verkraften.

Die Darstellung der Ereignisse, so schmerzhaft die Niederlage auch sein mag, ist für mich nicht nachvollziehbar, zumal sie auch einfach nicht korrekt ist.

Als Instrument der Meinungsbildung besitzt man auch viel Verantwortung. Und wenn der betreffende Journalist sich nur mal drei Sekunden lang in die Situation von Wibke Westerheide versetzt hätte, wie es sich anfühlen muss, so etwas über sich zu lesen, hätte er vielleicht andere Worte gewählt. Es handelt sich hierbei auch nicht mehr um eine sachliche Kritik, sondern lediglich den einfachen Umstand, einen Sündenbock auszumachen. Man muss sich mal bewusst machen, was für einen hohen Druck sich die Ersatzkeeperin wohl vorher schon gemacht haben muss. Was es für einen Ersatzkeeperin bedeuten muss- nun endlich in einem so prestigeträchtigen Spiel zum Zuge zu kommen. Und dann noch vor so einer Zuschauer-Kulisse!!!

Da ist doch Nervosität vorprogrammiert und total menschlich. Ülkay Kollu kann von solchen Stress-Situationen ein Liedchen singen. Natürlich könnte man jetzt einwenden: das gehört mit zur Professionalität eines Spielers dazu, dem Druck standzuhalten, auf den Punkt genau da zu sein Blablabla.... Aber wenn man so wenig Spielpraxis besitzt, fehlt einem auch einfach die Routine. Trainingssituationen sind überdies anders- zumal sie oft genug nicht vergleichbar mit Spielsituationen sind. Auch davon kann Ülkay Kollu ein Lied von singen. Und dann zu erwarten, dass sie die zahlreichen scharfen und zielgenauer Bogenflanken von Maxi Birker hätte abfangen müssen- bei ihrer durchschnittlichen Größe- ist einfach unfair und undankbar! Nur von einer Torhüterin des hochgewachsenen Formats ala Vivien Brandt, die eine wahnsinnige Präsenz und Spannweite besitzt/ könnte man das verlangen. Deswegen ist sie ja auch in der U-19-DFB-Auswahl. Und auch sie ist nicht unfehlbar, wie es das Freistoßtor von "Maggie" Richter gezeigt hatte. Und wo sind überhaupt die Erwähnungen der zahlreich vereitelten Chancen durch Westerheide, die auf der Linie bärenstarke Paraden hatte und sowohl in der Anfangs-als auch Endphase des Spiels mehrere hundertprozentige Chancen vereitelte, sodass sie einen zweistelligen SUPER-Gau verhinderte ? Ich hoffe, dass Wibke in den letzten Tagen keine Zeitung gelesen hat und wenn ja, dass sie genügend Menschen um sich hat, die ihr eine gelassene Distanz und einen professionellen Umgang mit dieser völlig überzogenen Einzelkritik gelehrt haben.

Allen voran, Britta Hainke, die für mich persönlich in der Nachberichterstattung die "Matchwinnerin des Spiels" ist. Nicht nur, dass sie ihrer Trainerrolle gerecht geworden ist und Verantwortung übernommen hat: Freimütig stand sie trotz der hart-sch-en Reaktionen zu ihrer Torwart-Entscheidung und demonstrierte zwei ganz wichtige Tugenden: Menschlichkeit und Fairness. Der Trainingsfleiß war für sie ein würdiges Kriterium, Wibke Westerheide ein unvergessliches Erlebnis zu bescheren. Châpeau! Nur leider nun eher eins, das man/frau lieber aus seinem Sportler-Gedächtnis löschen würde. Überdies präsentierte sie sich als faire Verliererin, die den Gewinner DSC unumwunden als Bundesliga-Anwärter und aktuell stärkste Mannschaft in OWL würdigte. Schade nur, dass ausgerechnet eine solche Trainerpersönlichkeit nun infrage gestellt wird. Vielleicht sollte der aufgebrachte Vorstizende Michael Horstkötter die im Eifer des Gefechts vorgetragene Überlegung überdenken. Denn in erster Linie ist und bleibt die zweite Liga für die meisten Kickerinnen aufgrund der geringen bis gar nicht vorhandenen Aufwandsentschädigung eine Herzensangelegenheit.

Und dafür braucht man Vorbilder, die Herz zeigen- so wie Britta Hainke.

Aufrufe: 014.10.2016, 16:39 Uhr
Romina BurgheimAutor