2024-04-30T08:05:46.171Z

FuPa Portrait
EM2008 in Genf beim Spiel Portugal - Tschechien
EM2008 in Genf beim Spiel Portugal - Tschechien

Wenn das Fieber wieder steigt

Erlebnisbericht über die Faszination "Groundhopping"

Sven Dorner sammelt Fußballstadien wie andere Briefmarken +++ Mehr als 150 Arenen in 16 Ländern gesehen +++ „La Bombonera“ in Buenos Aires ist das große Ziel

Neckarelz. Plötzlich steigt bei Sven Dorner wieder das Fieber, die Leidenschaft für den Fußball lässt sich nicht mehr aufhalten. Beim Blick auf die künftige Geschäftsreise oder den kommenden Urlaubsort wird die Recherche intensiviert – die Planungen laufen auf Hochtouren. Der Fokus liegt nicht etwa auf schicken Hotels oder besonderen Sehenswürdigkeiten. Sven hat oft nur eines im Sinn: Wo ist das nächste Fußballstadion?

Mit dieser Vorliebe ist der Neckarelzer nicht allein. Er gehört zu den sogenannten „Groundhoppern“ – eine Sammelleidenschaft von Fußballfans, bei der es darum geht, Spiele in möglichst vielen verschiedenen Stadien aus aller Welt zu besuchen. Und in dieser Hinsicht hat Sven Dorner einiges vorzuweisen: Knapp 600 Partien in 154 Stadien gesehen und dabei 16 Länder bereist. Zwei Fußballweltmeisterschaften (2006 und 2010), fünf Europameisterschaften und als Sahnestück die Copa America im Jahr 2007 in Venezuela.

WM2006 in Berlin beim Spiel Brasilien - Kroatien
WM2006 in Berlin beim Spiel Brasilien - Kroatien

Was macht diesen Reiz aus? „Es ist diese einzigartige Atmosphäre, verrückte Fans zu beobachten und alte Stadien mit einem besonderen Flair zu besuchen“, sagt Dorner über seine „Sucht“. Für ihn gilt: Lieber das alte Böllenfalltor in Darmstadt oder das traditionelle Craven Cottage (sein Lieblingsstadion) vom FC Fulham in London, als die seelenlosen Arenen in Hoffenheim und Augsburg, bei denen sich „nur die Farben der Sitzschalen unterscheiden“.

Die Fassade des Craven Cottage wirkt nicht wie ein Fußballstadion
Die Fassade des Craven Cottage wirkt nicht wie ein Fußballstadion

Seit 1993 hat der 46-Jährige eine FC-Bayern-Dauerkarte, die er sich mittlerweile mit einigen Freunden teilt. Ein Jahr später fuhr er zu seinem ersten Auswärtsspiel bei Paris Saint-Germain. Damals verloren die Bayern in der Champions League mit Lothar Matthäus in der Startelf 0:2. Ab diesem Moment war endgültig der Bann für sein außergewöhnliches Hobby gebrochen.

Zahllose Anekdoten und spannende Geschichten zeichnen Svens Weg. Apropos Venezuela: Im Estadio Polideportivo Cachamay in Ciudad Guayana verfolgte der Fußballfan gemeinsam mit seinem Begleiter Pablo Valdez einen eher langweiligen 3:0-Sieg von Argentinien über Mexiko, immerhin mit einem Messi-Tor. Doch die An- und Abreise hatte es in sich.

Von der Reisegruppe haben sich die beiden abgekapselt, um ins Landesinnere zu kommen. Die Gardinen des Busses mussten geschlossen bleiben, damit die Gefahr von Überfällen minimiert wird. „Da wird einem schon mulmig“, sagt Sven Dorner. Nach dem Spiel blieb dem Ausreißer-Duo nichts mehr anderes übrig als gemeinsam mit ein paar Mexikanern eine Cessna-Maschine zu chartern, weil alle Linienflüge ausgebucht waren. Belohnt wurde der Trip mit einem atemberaubenden Ausblick auf das Stadion – insbesondere wegen der beiden gelben Türme. „Genau für solche Erlebnisse lohnt sich der Aufwand“, so der Neckarelzer.

Copa America 2007, Überflug über das Cachamay
Copa America 2007, Überflug über das Cachamay

Kreativität gehört natürlich auch zur Planung dazu. So hat Sven, der bei der Firma Würth in Künzelsau arbeitet, seinen Bildungsurlaub für einen Sprachkurs in England verwendet. In der Wiege des Fußballs wurde dann morgens die Schulbank gedrückt, aber am Abend ging es ins Stadion. In Liverpool oder Manchester konnte Sven sein Wissen sofort anwenden – mit diesem angenehmen Nebeneffekt lässt es sich aushalten.

Für solche Aktionen braucht es natürlich einen verständnisvollen Partner und den hat Sven in Ehefrau Tanja gefunden. „Sie sagt mir zwar immer, dass ich nicht jedes Stadion der Welt besuchen kann. Ich antworte ihr dann, dass ich es zumindest versuchen kann“, sagt der 46-Jährige augenzwinkernd. Immerhin sind pro Urlaub ein bis zwei Spiele möglich, auch Tanja lässt sich erweichen und begleitet ihren Ehemann ab und zu.

Portugal Urlaub 2017 mit Frau Tanja beim Spiel Vitoria Setubal - Boavista Porto
Portugal Urlaub 2017 mit Frau Tanja beim Spiel Vitoria Setubal - Boavista Porto

Großes Thema auch bei Sven sind die Eintrittskarten, die immer teurer werden und teilweise sehr schwer zu beschaffen sind, wie beispielsweise für englische Clubs. Dann treibt sich der Neckarelzer in Fanforen herum und benutzt auch mal die ein oder andere Dauerkarte von Anhängern auf der Insel – so sammelt Sven Kontakte auf der ganzen Welt.

Bei der schwierigen Ticketvergabe der Fußball-WM 2006 in Deutschland hat er sage und schreibe 17 Spiele, inklusive des tragischen Halbfinals, als Deutschland gegen Italien (0:2) in der Verlängerung das Nachsehen hatte, besucht. Mit Tipps, Tricks und Hartnäckigkeit – auch bei Wartelisten – wurde Sven an den Sicherheitsschleusen mit dem personalisierten Tickets auch mal mit „Hallo Kerstin“ begrüßt. Gewusst wie.

Eintrittskarten - bei Großereignissen immer unerschwinglicher
Eintrittskarten - bei Großereignissen immer unerschwinglicher

Obwohl eine Fußball-Weltmeisterschaft für jeden echten Fan ein Traum ist, kann sich Sven Dorner nicht mehr so richtig dafür begeistern. „Natürlich ist das etwas Besonderes, aber meiner Meinung nach hält die Fifa den Fußball an immer engeren Ketten“, sagt der Fußballfan. So sei jedes Event bis ins Kleinste durchgeplant. „Da geht jede Fußball-Romantik verloren“, so Sven.

Dann lieber kleinere Stadien mit viel Herz oder Orte mit einer einzigartigen Atmosphäre. Etwa so wie im Celtic Park in Glasgow im Oktober 2017. Unter Flutlicht hat sich sogar der bekennende Bayern-Fan gewünscht, dass die Grün-Weißen gegen die Münchener ein Tor schießen. „Der 1:1-Ausgleich war atemberaubend. Diese Stimmung ist mit nichts zu vergleichen. Wahnsinn“, freut sich Sven.

Einen Traum will sich Sven in den nächsten Jahren noch erfüllen. Das im Mai 1940 eröffnete „La Bombonera“ in Buenos Aires zu einem Heimspiel der Boca Juniors. Dann wird bei Sven wieder das spezielle Fußball-Fieber steigen, wenn der Rasen duftet, die Spieler sich den Schweiß von der Stirn wischen und das Stadion tobt. So liebt es Sven Dorner. Wer kann ihm das verdenken?
Aufrufe: 07.8.2019, 10:55 Uhr
Benjamin AuberAutor