2024-05-02T16:12:49.858Z

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Nachdenklich: Markus Weinzierl weiß, dass in Gelsenkirchen die Ansprüche höher sind als auf seinen bisherigen Stationen. Foto: dpa
Nachdenklich: Markus Weinzierl weiß, dass in Gelsenkirchen die Ansprüche höher sind als auf seinen bisherigen Stationen. Foto: dpa

Weinzierl: Auf Schalke am Scheideweg

Ob beim Jahn, ob in Augsburg: Markus Weinzierl schien als Trainer der ewige Aufsteiger zu sein. Droht ihm der Karriereknick?

Im Spätherbst 2012 war der Name Markus Weinzierl in Augsburg längst in der Rubrik Missverständnis abgeheftet. Örtliche Journalisten nahmen den glücklosen Trainer als niederbayerischen Schrat mit einem Hang zum Autismus wahr. Der Fußball-Bundesligist FCA siechte unter Weinzierls Regie dem scheinbar unvermeidlichen Abstieg entgegen. Kümmerliche neun Zähler standen am Ende der Hinserie zu Buche. Rätselhaft blieb, was den Vorstandsvorsitzenden Walther Seinsch und den zur Winterpause geholten Manager Stefan Reuter bewog, Weinzierl in dieser Situation die Stange zu halten.

Dreieinhalb Jahre später verabschiedete sich der gebürtige Straubinger aus freien Stücken und als schwäbischer Europacup-Volksheld gen Gelsenkirchen. Die kritischen Journalisten hatten längst Abbitte geleistet, und der Klub ließ sich den Wechsel vor Ablauf der Vertragszeit fürstlich honorieren, die Rede ist von mehr als drei Millionen Euro Trainerablöse.

Nach fünf Spielen am Boden

Auf eine Wiederholung der wunderbaren Auferstehungsgeschichte hoffen sie nun auf Schalke. Denn S04 liegt nach fünf Spieltagen am Boden. Null Punkte zu diesem Zeitpunkt sind ein Negativrekord in der langen Geschichte des siebenmaligen deutschen Meisters. Steht Weinzierl, für den es in der Trainerkarriere bislang immer nur bergauf ging, vor dem Karriereknick?

Dass er mit neun Zählern nach der Hinserie noch Schalke-Trainer sein wird, gilt jedenfalls als ausgeschlossen. Wer darauf Geld wettet, wäre im Erfolgsfall finanzieller Sorgen ledig. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen, zu unterschiedlich ist das mediale Umfeld, zu aufgeheizt ist die Atmosphäre im chronisch hyperventilierenden königsblauen Kosmos. Kurz: Schalke ist nicht Augsburg. Markus Weinzierl weiß natürlich um die berühmten Mechanismen: „So ist eben dieses Geschäft. Es kann ganz schnell gehen.“ Eine Portion Fatalismus gehört zum Job als Profitrainer.

„Der Spaß ist vorbei“

Nach dem 1:2 am Sonntag in Hoffenheim habe der 41-Jährige „hilflos und niedergeschlagen“ gewirkt, vermerkte die Deutsche Presse-Agentur. Weinzierl, sonst durchaus ein Meister diplomatischer Formulierungen und verbaler Versteckspiele, sprach Klartext. „Der Spaß ist vorbei!“, beschrieb er unverblümt den Ernst der Lage. Fünf Pleiten zum Start, das sei „ein Alptraum“, auf Schalke herrsche nunmehr eine „brutale Drucksituation, die wir uns selbst eingebrockt haben“. Als Weinzierls Jobgarantie gilt bis auf Weiteres Geschäftsführer Christian Heidel. Denn dieser, selbst just aus Mainz gekommen, müsste mit der Demission seines erklärten Wunschtrainers selbst einen Kardinalfehler einräumen. Mit Weinzierls Engagement sollte, so das ursprüngliche Kalkül, die Ära der ewigen Trainerwechsel in Gelsenkirchen ein Ende haben.

Heidels Projekt, mit einem jungen Coach die Schalker Mannschaft sukzessive zu entwickeln, war auf mindestens drei Jahre angesetzt. Gerne wird kolportiert, Weinzierl haben dem heftigen Werben der Schalker um seine Dienste erst diesen Sommer und nicht schon vor einem Jahr nachgegeben, weil er erst den Abgang des Heidel-Vorgängers Horst Heldt abwarten wollte, bevor er sich der ohnehin heiklen Aufgabe beim Altmeister stellt. Vorerst darf Weinzierl auf Heidels Loyalität und Rückendeckung bauen. Die Prügel für die Leistung in Hoffenheim bezog die sichtlich verunsicherte Mannschaft, seinen Coach ließ der 53-Jährige ungeschoren. Noch

Solider Defensivmann

Wer Markus Weinziels Weg auf den steilen Aufstieg als Trainer reduziert, der verkennt, dass dieser Weg in seiner aktiven Zeit auch steinig war. Als Spieler war der seit 2004 mit seiner Frau Kerstin verheiratete Vater von zwei Söhnen ein solider Defensivmann. Zur ganz großen Karriere reichte es nicht. Gewiss: Ein Jahr gehörte er zum Profiteam des ruhmreichen FC Bayern. Aber die weiteren Stationen bei den Stuttgarter Kickers, der SpVgg Unterhaching und beim SSV Jahn klingen weit weniger glamourös. In Regensburg kommt Weinzierl in drei Jahren gerade mal auf 17 Einsätze. Wegen chronischer Kniebeschwerden zieht er bereits mit 30 als Sportinvalide einen Schlussstrich. Eigentlich wollte er Lehrer werden, doch Günter Güttler, noch ein ehemaliger Bayern-Profi, holt ihn als Co-Trainer zurück zum Jahn. Und als die Regensburger sich 2008 von ihrem Chefcoach Thomas Kristl trennen, steht Weinziel parat. Er selbst spricht später von einem „Sprung ins kalte Wasser“.

Doch Weinzierl ist in seinem Element. Beim Jahn gelingt ihm das, was nach zähem Beginn auch in Augsburg sein Markenzeichen wird und seinen blendenden Ruf in der Branche begründet. Er formt aus durchschnittlich veranlagten Akteuren eine schlagkräftige Truppe mit höchster taktischer Disziplin. Weinzierls Schützlinge wie Tobias Schweinsteiger oder Andre Laurito spielen am oberen Limit ihres Leistungsvermögens, als der Jahn 2012 in der Relegation gegen den Karlsruher SC sensationell den Zweitliga-Aufstieg schafft. Das Kunststück gelingt, obwohl Insider wissen, dass der damalige Manager Franz Gerber und Weinzierl ein nicht gerade von Harmonie geprägtes Verhältnis pflegen.

Riskante Variante

Der blutjunge Erfolgscoach macht auf sich aufmerksam. So sehr, dass Seinsch in Augsburg nach der turbulenten Trennung von Jos Luhukay die riskante Variante mit dem Nobody wählt – und damit fast auf die Nase fällt. Weil die Nachricht vom bevorstehenden Wechsel zum FCA in Regensburg während der Relegation gegen den KSC durchsickert, aber offiziell mühsam unter der Decke gehalten wird, gleicht der Abschied des eingefleischten Straubingers („Das ist meine Heimat. Gleich dahinter kommt Regensburg!“) kurzzeitig einem Eiertanz.

,,Ich würde mich als ehrlich, bodenständig und ehrgeizig beschreiben“, sagte Weinzierl einmal unserer Zeitung. Zum Attribut bodenständig zählt die Tatsache, dass er früher in Augsburg und jetzt auf Schalke in seinem Trainerteam auf alte Weggefährten wie Sepp Beller und Tobias Zellner baut. Seine Spieler beschreiben ihn als akribisch und konsequent. ,,Ich weiß, dass Trainer gerne in Schubladen gesteckt werden“, sagte Weinzierl mal und fügte hinzu: ,,Ich will gar kein Etikett, das ist mir nicht wichtig.“ Er wolle einfach er selbst bleiben. Eine Portion Eitelkeit leugnet er indes nicht: „Klar tut es das, da würd’ ich ansonsten lügen“, hat er mal auf die Frage geantwortet, ob Lob seinem Ego schmeichelt. Dass Weinzierl auch dünnhäutig sein kann, erwies sich, als er sich 2015 unberechtigten Vorwürfen ausgesetzt sah, gegen einen Ex-Spieler handgreiflich geworden zu sein.

In der Klopp-Liga

Als „völlig locker und auf Augenhöhe“ beschrieb der Bundesliga-Trainernovize Weinzierl einst das Verhältnis mit berühmten Kollegen wie Jürgen Klopp. Auf Schalke spielt er nun sozusagen selbst in der Klopp-Liga. Als er 2015 den FCA bis in die Europa League geführt hatte, trugen sie ihn in Augsburg auf Händen. Das Umfeld bei S04 stuft eine ähnliche Platzierung als ziemlich verkorkste Saison ein. Doch hat Weinzierls Kader überhaupt die Qualität, um hohen Ansprüchen gerecht zu werden? Jungstar Leroy Sane und die Abwehr-Konstante Joel Matip verabschiedeten sich nach England. Aus der Heldt-Ära stammen Fehleinkäufe wie Franco di Santo. Klaas-Jan Huntelaar ist über den Zenit hinaus. Ansonsten versammelt sich in Schalke aktuell viel Mittelmaß.

Markus Weinzierl muss also Antworten finden. Möglichst schnell. Und auf jeden Fall schneller als damals in Augsburg.

Aufrufe: 029.9.2016, 09:15 Uhr
Von Heinz Gläser, MZAutor