2024-04-25T14:35:39.956Z

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F: Bernd Pötter
F: Bernd Pötter

Von Diktatoren, die auf Mopeds anreisen

Paul Schoemaker, 26, unter der Woche freiberuflicher Designer und Texter aus Düsseldorf, am Wochenende hauptberuflicher Chancentod beim SuS Kalkar, Kreisliga B2 Kleve-Geldern, berichtet.

Wenn Amateurschiedsrichter auf Amateurfußballer treffen, ist Drama im Grunde schon vorprogrammiert. Manchmal denke ich wirklich, dass es der Wahnsinn ist, dass diese Konstellation in 99 Prozent aller Fälle glimpflich ausgeht. Denn bei vielen Kreisliga-Spielen sehe ich mehr Konfliktpotenzial als bei so manchen Bundesliga- Derbys. Mittendrin: der Schiedsrichter als tragische Figur, die immer nur das Beste will. Das bedeutet in seinem Fall, nicht weiter aufzufallen.

Aber wie soll das gehen, wenn haarsträubende Fehlentscheidungen ohne ein Gespann an der Seitenlinie kaum vermeidbar sind? Ich habe keine Ahnung von Mathematik. Aber ich bin sicher, dass es für das Auge mathematisch unmöglich ist, korrekt auf Abseits zu entscheiden, sobald man mehr als fünf Meter versetzt steht. Und wir alle wissen, wo der durchschnittliche Amateurschiedsrichter das Spiel verbringt: am Mittelkreis - maximal 20 Meter Radius. Das sei ihm bei gefühlten Zehn Mark fünfzig Aufwandsentschädigung auch gegönnt. Nur resultiert daraus ein Problem: ob Abseits oder nicht, muss der Schiedsrichter - wenn man ehrlich ist - meistens nach Bauchgefühl entscheiden. Er könnte genauso gut seine Frau anrufen und bei ihr nachfragen. Der Arme!

Denn auf der anderen Seite stehen wir - frustriert, erschöpft und entsprechend hemmungslos. Mit Adrenalin vollgepumpte Kreisliga-Vollblüter, die null Verständnis für das Offensichtliche haben. Wir können zwar keine drei geraden Pässe hintereinander spielen. Und auch nach zwanzig Jahren Fußball wissen wir immer noch nicht, wie ein korrekter Einwurf ausgeführt wird. Aber wenn der Schiedsrichter einen Fehler macht: Dann wird es persönlich - und zwar sowas von! Oft noch schlimmer: die Zuschauer. Gestandene, alte Herren, die zu gut erzogen sind, um ihre angestaute Frustration an Frau, Kindern und Enkelkindern auszulassen. Deshalb kommen sie sonntags zum Sportplatz. Weil das der einzige bürgerlich geduldete Ort ist, wo sie so richtig die Sau rauslassen können. Und dann pfeift so eine „Blinde Wurst“ doch tatsächlich Abseits, wenn der zugekaufte Stürmer aus der dritten armenischen Liga alleine aufs Tor zuläuft. Man kennt das Spektakel.

In den Medien wird mittlerweile regelmäßig - und völlig zurecht - eine Fahne für Schiedsrichter gebrochen. Ohne sie wäre der Spielbetrieb schließlich unmöglich - moderne Helden, so sagt man. Ich sehe das ein bisschen anders. Schiedsrichter sind keine Helden. Das sind Märtyrer. Manche werden im Rahmen des Kreisliga-Evangeliums sogar zu Heiligen gesprochen. In unserem Kreis gibt es noch so ein lebendiges Fossil kurz vorm Fußball-Himmelstor. Ein von vielen Schlachten gezeichneter Teilzeit-Diktator, der auch mit Ende 70 noch auf einem Moped anreist, um stoisch seinem Handwerk nachzugehen. Konkret bedeutet das, erstmal einen Kaffee mit Schuss im Vereinsheim zu schlürfen, bevor er sich in sein Original-DFB-Schiedsrichter-Outfit von ’76 zwängt. Wenn es endlich losgeht, schallt bei jeder kleinsten Bemerkung ein „Sportsfrrreund“ über den Rasen, das umso bedrohlicher dadurch wirkt, dass sein letzter, verbliebener Vorderzahn dabei wüst hin und her schlackert. Mehr braucht ein Mann von seinem Format nicht, um selbst dem heißblütigsten Spieler klar zu machen, dass er gesündigt hat. Ach was, ich nehm’ alles zurück: Wenn Amateurschiedsrichter auf Amateurfußballer treffen, ist das meistens ein riesiger Spaß.

Aufrufe: 024.5.2016, 13:27 Uhr
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