Durch Fußball eine Heimat finden: Das Thema Integration war in Langwasser bereits in den 1950er Jahren aktuell. Die ersten Sportvereine des Viertels, der FC Langwasser und der VfB Nürnberg, wurden von Flüchtlingen gegründet. Aus beiden entstand 1962 einer der damals größten Sportvereine der Noris, der VfL Nürnberg, der auch heute wieder für viele Flüchtlinge eine wichtige Anlaufstelle ist.
Man muss wissen: Der Stadtteil bestand damals fast nur aus Brachflächen, die Innenstadt Nürnbergs war ausschließlich zu Fuß erreichbar. Es gab nicht viel, womit man sich die Zeit vertreiben konnte. Sport schien einigen Vertriebenen ein geeignetes Mittel und so gründeten 21 Männer und zehn Jugendliche aus der Wohnsiedlung 1949 den FC Langwasser.
Drei Jahre später, im Juni 1952, etablierte sich der zweite Sportverein des Viertels, der VfB (Verein für Bewegungsspiele) Nürnberg. Hier taten sich vor allem Flüchtlinge aus dem Sudetenland zusammen, die in der neu gebauten Werkvolksiedlung wohnten. Für die offizielle Gründung des Vereins war ein kleiner Unfall verantwortlich: Jeden Abend trafen sich auf den damals noch genügend vorhandenen Freiflächen an der Breslauer Straße junge Männer, um ihr Fußballmatch auszutragen.
„Eines Tages fuhr dort ein ahnungsloser Motorradfahrer seines Weges, ein Ball landete genau vor ihm und ein Sturz war die Folge“, erinnert sich Karl-Heinz Ziwitza (80), der Libero beim VfB war und später 27 Jahre lang die Fußballabteilung des VfL leitete. Dem Fahrer sei zum Glück nichts passiert, doch den Schaden am Motorrad mussten die jungen Kicker natürlich bezahlen, Geldknappheit hin oder her. Mit einer Vereinsgründung wollte man sich vor allem versicherungstechnisch schützen.
Doch im Vordergrund stand auch beim VfB das Gemeinschaftsgefühl: Die gleiche Herkunft, das gleiche Schicksal und die Liebe zum Sport verbanden die Vertriebenen. „Der Verein war vor allem für uns Männer der gesellschaftliche Lebensmittelpunkt. Einziger Anlaufpunkt war für uns der Fußballplatz“, erinnert sich ein Spieler von damals.
Gespielt wurde auf einem Platz zwischen dem heutigen Dr.-Linnert- und dem Franz-Reichel-Ring, den man eigenhändig mit viel Muskelkraft präparierte. Auswärtsspiele waren eine Familienangelegenheit. Mit Kind und Kegel zog man zu Fuß nach Worzeldorf oder Kornburg. „Die Leute waren froh, wenn am Sonntag Fußball gespielt wurde, sonst gab es ja nichts außer dem Sonntagsausflug in die Gaststätte am Zollhaus-Park nach dem Spiel“, beschrieben es die Brüder und Gründungsmitglieder Michael und Matthias Petschner in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des VfL Nürnberg.
Beim FC Langwasser war es ähnlich, der Sport war das verbindende Element für die Vertriebenen aus Schlesien. Doch trotz des gemeinsamen Flüchtlingshintergrundes hatten beide Vereine anfangs wenig miteinander zu tun - man pflegte gar eine gewisse Rivalität. Beide wuchsen, bauten mehrere Vollmannschaften auf und die Jugendarbeit wurde stetig intensiviert. Auch andere Sportarten kamen in beiden Vereinen dazu: Beim VfB etwa Faustball und Tischtennis. Beim FC Langwasser konnten Damen unter anderem Feldhandball spielen.
Erst als die Bebauungspläne für die Trabantenstadt Langwasser bekanntwurden und sich ein Mangel an Sportplätzen abzeichnete, kam es zur Fusion. Im Januar 1962 wurde der VfL (Verein für Leibesübungen) Nürnberg gegründet und wuchs schnell zu einem der damals größten Sportvereine Nürnbergs.
Weil die einen gute Stürmer hatten, die anderen eine gute Abwehr, begann durch die Fusion im Fußballbereich eine recht erfolgreiche Zeit. Im ersten Jahr erreichte man die Meisterschaft in der C-Klasse. 1969/1970 den ersten Platz in der A-Klasse. Diese und andere Erfolge brachten dem VfL nicht nur Respekt ein. Hinter vorgehaltener Hand wurde man als „Barackler“ beschimpft, in Anspielung auf die bescheidenen Unterkünfte, in denen die Sportler anfangs wohnten.
Die Mitgliederzahl stieg, auch weil das Sportangebot erweitert wurde, zum Beispiel um Leichtathletik und Turnen. Anfang der 1980er Jahre stellten Kinder und Jugendliche noch die Mehrheit der Mitglieder, doch mit der zunehmenden Überalterung im Stadtteil kehrte sich dies mit den Jahren mehr und mehr um. Wie viele Vereine hat auch der VfL heute Nachwuchssorgen. Die Fußballabteilung zählt inzwischen nur noch knapp 400 Mitglieder.
So sieht man die aktuelle Flüchtlingssituation heute auch als Chance und engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. Aktuell spielen in den Voll- und Jugendmannschaften neben Zuwanderern aus der Türkei, Polen oder den früheren GUS-Staaten auch Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, dem Iran, dem Irak und der Ukraine. Zudem werden für Asylsuchende aus den drei Unterkünften in Langwasser zweimal die Woche Trainingseinheiten angeboten. Die Frau eines Spielers gibt für die beim VfL trainierenden Flüchtlinge außerdem Deutschkurse.
Waldemar Radetz (78) kann sich noch gut erinnern, wie wichtig für ihn der Sport war. Als Minderjähriger hat er einige Jahre im „Friedensdorf“ Langwassers gewohnt, einem Wohnprojekt für heimat- und elternlose Kinder und Jugendliche in der Nachkriegszeit. Ohne Sport - Radetz war mit Leib und Seele Torwart - hätte ihm ein großer Halt gefehlt, beschreibt er im Rückblick seine Situation. Heute sagt er: „Man musste sich im Verein einordnen, Integration war hier schon immer ganz wichtig und hat gut funktioniert.“