2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
Der heutige VfL Nürnberg schloss sich aus dem FC Langwasser und dem VfB Nürnberg zusammen. F: privat
Der heutige VfL Nürnberg schloss sich aus dem FC Langwasser und dem VfB Nürnberg zusammen. F: privat

VfL Nürnberg: Fußball als Lebensmittelpunkt

Flüchtlinge gründeten in den 1950er Jahren zwei Sportvereine in Langwasser

Durch Fußball eine Heimat finden: Das Thema Integration war in Langwasser bereits in den 1950er Jahren aktuell. Die ersten Sportvereine des Viertels, der FC Langwasser und der VfB Nürn­berg, wurden von Flüchtlingen gegrün­det. Aus beiden entstand 1962 einer der damals größten Sportvereine der Noris, der VfL Nürnberg, der auch heu­te wieder für viele Flüchtlinge eine wichtige Anlaufstelle ist.

Was 1949 als „Wohnsiedlung Lang­wasser“ tituliert wurde, waren im Grunde nur einige aus- und umgebau­te Baracken eines ausgedienten Inter­nierungslagers. 147 Flüchtlingsfamili­en, hauptsächlich aus Schlesien, fan­den hier nahe der Gleiwitzer Straße eine neue Bleibe: Ein Zimmer mit Küche für drei oder vier Personen. Man war froh über die Unterkunft, doch fehlte es an etwas, womit man sich in der fremden Umgebung schnel­ler heimisch fühlen konnte.

Man muss wissen: Der Stadtteil bestand damals fast nur aus Brachflä­chen, die Innenstadt Nürnbergs war ausschließlich zu Fuß erreichbar. Es gab nicht viel, womit man sich die Zeit vertreiben konnte. Sport schien einigen Vertriebenen ein geeignetes Mittel und so gründeten 21 Männer und zehn Jugendliche aus der Wohn­siedlung 1949 den FC Langwasser.

Vereinsgründung nach Unfall

Drei Jahre später, im Juni 1952, eta­blierte sich der zweite Sportverein des Viertels, der VfB (Verein für Bewe­gungsspiele) Nürnberg. Hier taten sich vor allem Flüchtlinge aus dem Sudetenland zusammen, die in der neu gebauten Werkvolksiedlung wohnten. Für die offizielle Gründung des Vereins war ein kleiner Unfall ver­antwortlich: Jeden Abend trafen sich auf den damals noch genügend vor­handenen Freiflächen an der Breslau­er Straße junge Männer, um ihr Fuß­ballmatch auszutragen.

„Eines Tages fuhr dort ein ahnungs­loser Motorradfahrer seines Weges, ein Ball landete genau vor ihm und ein Sturz war die Folge“, erinnert sich Karl-Heinz Ziwitza (80), der Libero beim VfB war und später 27 Jahre lang die Fußballabteilung des VfL lei­tete. Dem Fahrer sei zum Glück nichts passiert, doch den Schaden am Motor­rad mussten die jungen Kicker natür­lich bezahlen, Geldknappheit hin oder her. Mit einer Vereinsgründung wollte man sich vor allem versiche­rungstechnisch schützen.

Doch im Vordergrund stand auch beim VfB das Gemeinschaftsgefühl: Die gleiche Herkunft, das gleiche Schicksal und die Liebe zum Sport verbanden die Vertriebenen. „Der Ver­ein war vor allem für uns Männer der gesellschaftliche Lebensmittelpunkt. Einziger Anlaufpunkt war für uns der Fußballplatz“, erinnert sich ein Spie­ler von damals.

Gespielt wurde auf einem Platz zwi­schen dem heutigen Dr.-Linnert- und dem Franz-Reichel-Ring, den man eigenhändig mit viel Muskelkraft prä­parierte. Auswärtsspiele waren eine Familienangelegenheit. Mit Kind und Kegel zog man zu Fuß nach Worzel­dorf oder Kornburg. „Die Leute waren froh, wenn am Sonntag Fuß­ball gespielt wurde, sonst gab es ja nichts außer dem Sonntagsausflug in die Gaststätte am Zollhaus-Park nach dem Spiel“, beschrieben es die Brüder und Gründungsmitglieder Michael und Matthias Petschner in der Fest­schrift zum 50-jährigen Bestehen des VfL Nürnberg.

Beim FC Langwasser war es ähn­lich, der Sport war das verbindende Element für die Vertriebenen aus Schlesien. Doch trotz des gemeinsa­men Flüchtlingshintergrundes hatten beide Vereine anfangs wenig miteinan­der zu tun - man pflegte gar eine gewisse Rivalität. Beide wuchsen, bau­ten mehrere Vollmannschaften auf und die Jugendarbeit wurde stetig intensiviert. Auch andere Sportarten kamen in beiden Vereinen dazu: Beim VfB etwa Faustball und Tischtennis. Beim FC Langwasser konnten Damen unter anderem Feldhandball spielen.

Erst als die Bebauungspläne für die Trabantenstadt Langwasser bekannt­wurden und sich ein Mangel an Sport­plätzen abzeichnete, kam es zur Fusi­on. Im Januar 1962 wurde der VfL (Verein für Leibesübungen) Nürnberg gegründet und wuchs schnell zu einem der damals größten Sportverei­ne Nürnbergs.

Weil die einen gute Stürmer hatten, die anderen eine gute Abwehr, begann durch die Fusion im Fußballbereich eine recht erfolgreiche Zeit. Im ersten Jahr erreichte man die Meisterschaft in der C-Klasse. 1969/1970 den ersten Platz in der A-Klasse. Diese und ande­re Erfolge brachten dem VfL nicht nur Respekt ein. Hinter vorgehaltener Hand wurde man als „Barackler“ be­schimpft, in Anspielung auf die be­scheidenen Unterkünfte, in denen die Sportler anfangs wohnten.

Die Mitgliederzahl stieg, auch weil das Sportangebot erweitert wurde, zum Beispiel um Leichtathletik und Turnen. Anfang der 1980er Jahre stell­ten Kinder und Jugendliche noch die Mehrheit der Mitglieder, doch mit der zunehmenden Überalterung im Stadt­teil kehrte sich dies mit den Jahren mehr und mehr um. Wie viele Vereine hat auch der VfL heute Nachwuchs­sorgen. Die Fußballabteilung zählt inzwischen nur noch knapp 400 Mit­glieder.

Integration schon wichtig

So sieht man die aktuelle Flücht­lingssituation heute auch als Chance und engagiert sich in der Flüchtlings­hilfe. Aktuell spielen in den Voll- und Jugendmannschaften neben Zuwande­rern aus der Türkei, Polen oder den früheren GUS-Staaten auch Flüchtlin­ge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, dem Iran, dem Irak und der Ukraine. Zudem werden für Asylsuchende aus den drei Unterkünften in Langwasser zweimal die Woche Trainingseinhei­ten angeboten. Die Frau eines Spie­lers gibt für die beim VfL trainieren­den Flüchtlinge außerdem Deutsch­kurse.

Waldemar Radetz (78) kann sich noch gut erinnern, wie wichtig für ihn der Sport war. Als Minderjähriger hat er einige Jahre im „Friedensdorf“ Langwassers gewohnt, einem Wohn­projekt für heimat- und elternlose Kinder und Jugendliche in der Nach­kriegszeit. Ohne Sport - Radetz war mit Leib und Seele Torwart - hätte ihm ein großer Halt gefehlt, be­schreibt er im Rückblick seine Situati­on. Heute sagt er: „Man musste sich im Verein einordnen, Integration war hier schon immer ganz wichtig und hat gut funktioniert.“

Aufrufe: 027.6.2016, 11:26 Uhr
Manuela Prill (NN)Autor