2024-04-23T13:35:06.289Z

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Das vorerst letzte große Talent, das dem VfB Stuttgart den Rücken gekehrt hat: Der Neu-Leipziger Timo Werner. dpa
Das vorerst letzte große Talent, das dem VfB Stuttgart den Rücken gekehrt hat: Der Neu-Leipziger Timo Werner. dpa

VfB Stuttgart auf der Suche nach Talenten

Operation an der Schnittstelle

Der Übergang vom Talent zum Profi ist heikel – weshalb nun Marc Kienle den Prozess beim VfB Stuttgart optimiert. Doch jetzt, da es einen Sportkoordinator gibt, mangelt es an starkem Nachwuchs.

Viele Fans des VfB Stuttgart reiben sich verwundert die Augen, wenn sie gerade auf die Bundesliga blicken. Einigen blutet sogar das Herz, wenn sie mit ansehen müssen, wie dort einer über die Fußballfelder stürmt, der sie an jemanden erinnert. Denn dieser schnelle Kerl sieht aus wie Timo Werner, er rennt mit seinen Stakkatoschritten auch wie Timo Werner – und das Dilemma für die Stuttgarter Anhängerschaft lautet: Es ist Timo Werner.

Timo Werner blüht in Leipzig auf

Allerdings ein anderer, wie sie ihn beim VfB im Kopf behalten haben. Vor wenigen Monaten war da ein verzagtes Bürschchen, das in einer Entwicklungssackgasse steckte. Es ging einfach nichts mehr vorwärts – und jetzt hat der 20-Jährige zu seinem Lachen und damit zu seiner Form zurückgefunden. Ralf Rangnick hat das geahnt, in kleinem Kreis hat der Sportdirektor von RB Leipzig sogar vorausgesagt, dass Werner nach einem Transfer durchstarten werde. Eine zweistellige Trefferzahl prognostizierte Rangnick, weil sich ein Toptalent in den langjährigen Wirren des Abstiegskampfes beim VfB eben nicht entwickeln konnte.

Zehn Millionen Euro war den Leipzigern die Aussicht auf Werners Tore wert. Viel Geld, weshalb es die Stuttgarter gerne genommen haben. Nur: jetzt ist der Spieler schon 20 Millionen wert, und wenn er so weiter macht am Saisonende womöglich 30 Millionen. Vor allem, weil Rangnick gesehen hat, was der Angreifer kann – und nicht, was er nicht kann. So wie es zuletzt in Stuttgart war, wo nur noch an dem früheren Publikumsliebling herumgenörgelt wurde.

VfB will Lehren ziehen aus dem Fall Werner

Doch für Marc Kienle ist nicht nur die Preissteigerung relevant. „Wir haben Timo Werner schon vor seinem Wechsel emotional verloren – und das darf uns nicht mehr passieren“, sagt der neue Sportkoordinator. Denn mittlerweile ist nicht nur Kienle der Überzeugung, dass es gut wäre, wenn sich Werner noch das Trikot mit dem Brustring überstreifen würde – so wie es der gleichaltrige Timo Baumgartl tut.

Mittlerweile hat sich aus den misslichen Erfahrungen der Vergangenheit aber auch eine neue Leitlinie ergeben: Der Übergang vom Jugendspieler zum Profi muss besser gehandhabt werden. Auf allen Ebenen. „Um die Jungs auf dem Weg nach oben angemessen zu begleiten, muss der Austausch nach unten gut sein“, sagt Kienle. Und genau für diese Moderationen und Operationen an der heikelsten Schnittstelle haben sie den 44-Jährigen beim VfB installiert. Mit geschultem Auge soll er die Hochbegabten erkennen, mit Fachkompetenz die Zukunftsperspektiven eröffnen, mit Sozialkompetenz die Nachwuchskräfte stärken und mit Entscheidungskompetenz sie im Profikader verankern.

Im Grunde ist jedoch nur letztgenannte Anforderung in Kienles Stellenprofil eine Neuerung. Weil sich der Sportkoordinator zu gegebener Zeit auch Kaderplaner nennen darf. Er gehört also neben dem Cheftrainer Hannes Wolf und dem Sportvorstand Jan Schindelmeiser zum Zirkel der Leute, die aus sportlicher Sicht nicht nur über die Kaderbesetzung reden, sondern ebenso direkten Einfluss nehmen.

Nicht zwingend ein neues Nachwuchskonzept

Der Kampf, sich im eigenen Laden Gehör zu verschaffen, fällt somit weg. Theoretisch. Praktisch muss sich noch zeigen, ob die Stimme aus dem Übergangsbereich gehört wird und im Verein wieder die Bedeutung erlangt, die ihr zugedacht ist. „Diese komplexe Aufgabe ist eine große Herausforderung“, sagt Kienle, der sich in den ersten Wochen seiner Tätigkeit zunächst einen Überblick verschafft hat. Der Rundgang durch den Juniorenbereich hat dann zwei Erkenntnisse gebracht. Erstens: von der U17 an abwärts sieht es beim VfB gut aus. Zweitens: von der U19 an aufwärts wird es schwieriger.

Tabellenspitze der U17 Bundesliga

1. FC Bayern München 14 9 1 4 32 : 19 13 28 2. Karlsruher SC 14 8 3 3 35 : 19 16 27 3. FC Augsburg 14 8 3 3 32 : 21 11 27 4. VfB Stuttgart 14 7 4 3 29 : 18 11 25 5. TSG 1899 Hoffenheim 14 8 1 5 26 : 20 6 25

Einfach betrachtet, lässt sich die Misere an den Ergebnissen erkennen: Die U 17 ist in der mehrgleisigen Junioren-Bundesliga Tabellenvierter, die U 19 nur Vorletzter und die U 23 steckt nach dem Abstieg aus der dritten Liga schon wieder im Schlamassel – so tief, dass Zweifel an der Sinnhaftigkeit des einst glorreichen Unterbaus auftauchen. Aber natürlich schaut Kienle nicht nur auf die Resultate und seine Analyse hat ergeben, dass der VfB nicht zwingend ein neues, schickes Nachwuchskonzept braucht.

VfB II in der Regionalliga

13. SV Stuttgarter Kickers (Ab) 21 5 9 7 29 : 30 -1 24 14. VfB Stuttgart II (Ab) 22 6 5 11 29 : 39 -10 23 15. Kickers Offenbach * 22 7 8 7 29 : 29 0 20

VfB U19 in der Bundesliga

12. Karlsruher SC 14 5 2 7 28 : 33 -5 17 13. VfB Stuttgart 14 4 3 7 18 : 23 -5 15 14. SV Stuttgarter Kickers (Auf) 14 2 2 10 11 : 30 -19 8

Als Beleg für diese These dient die noch immer hohe Ausbildungsqualität beim VfB – und auch die Quantität an Spielern, die es in die Spitze geschafft haben. Joshua Kimmich (Bayern), Bernd Leno (Leverkusen), Sebastian Rudy (Hoffenheim) und Daniel Didavi (Wolfsburg) sind neben Werner die aktuellen VfB-Edelprodukte. Auch Serge Gnabry (Bremen), Antonio Rüdiger (Rom) und Sven Ulreich (Bayern) gehören zur Produktpalette. Von den Legenden Mario Gomez, Sami Khedira und Serdar Tasci ganz zu schweigen.

Club gehen die Toptalente aus

Sie alle haben die Stuttgarter Schule genossen. Und deshalb strebt der VfB neben mehr Kon­stanz an der Personalpitze des Jugendbereichs auch wieder an, den fußballerisch roten Faden aufzunehmen und bis zu den Profis durchzuknüpfen. Als Ironie des Schicksals könnte sich allerdings erweisen, dass jetzt, da der Club einen Kümmerer hat, ihm die Toptalente ausgehen und es Jahre dauern könnte, bis die Nachwuchsabteilung wieder glänzt.

Im Augenblick befindet sich nur einer in der Übergangsphase: Berkay Özcan. Der Mittelfeldspieler dürfte noch bei den A-Junioren antreten, hat in Liga zwei aber schon viele Einsatzminuten gesammelt. Nun schwächelt er. „Dabei wird vergessen, dass Berkay erst 18 Jahre alt ist“, sagt Kienle. Was daran liegt, dass der Teenager im Körper eines Mannes steckt. Um sein Spiel reifen zu lassen, braucht Özcan aber noch Zeit. „Es ist auch eine Frage des Vertrauens und der Geduld, ob ein Talent oben ankommt wie zuletzt Timo Baumgartl“, sagt Kienle. Allerdings hat der VfB beide Tugenden in den vergangenen Jahren nicht gerade im Überfluss an den Tag gelegt.

Profil von Berkay Özcan

Foto: VfB-exklusiv Position: Mittelfeld Geburtsdatum: 15.02.1998 (18) Nationalität: Größe: 1.78 m VfB Stuttgart
2. Bundesliga
Spieler

Spielerstationen

Gesamt-Statistik 70 21 3 2/2 3 0 0 9 19 5120 3 16/17 VfB Stuttgart 2. Bundesliga 13 1 3 -/- 1 0 0 3 9 756 1 16/17 VfB Stuttgart II Regionalliga SW - 0 0 -/- 0 0 0 - - - 0 15/16 VfB Stuttgart U19 Bundesliga S/SW 26 7 0 1/1 0 0 0 - 4 2309 0 14/15 VfB Stuttgart U17 Bundesliga S/SW 25 13 0 1/1 2 0 0 2 4 1857 2 13/14 VfB Stuttgart U17 Bundesliga S/SW 6 0 0 -/- 0 0 0 4 2 198 0
Aufrufe: 08.12.2016, 14:30 Uhr
Stuttgarter Nachrichten / Carlos UbinaAutor