2024-05-02T16:12:49.858Z

Testspiel
Da fällt das 3:3
Da fällt das 3:3

Heimserie gilt es zu verteidigen

TESTSPIEL: +++ VfB 1900 Gießen empfängt Kickers Offenbach +++

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GIESSEN. Kickers Offenbach beim VfB 1900 Gießen? Der Blick in die Annalen offenbart Erstaunliches. So auch im Hinblick auf den OFC, der sich bei seinen Auftritten in Gießen bisher nur selten mit Ruhm bekleckert hat. Der letzte Erfolg der Offenbacher beim VfB 1900 beziehungsweise einem seiner Vorgängervereine liegt mittlerweile rund 80 Jahre zurück. Vielleicht also ein gutes Omen für die neu formierte Gruppenliga-Elf der Gießener, die morgen um 14 Uhr im Waldstadion gegen den südhessischen Regionalligisten antreten wird?

Die magere Bilanz der Offenbacher in Gießen ist umso erstaunlicher, da beide Clubs im Grunde nie auf Augenhöhe spielten. Über Jahrzehnte waren die Kickers erstklassig und nur für zwei Jahre überhaupt mit Gießen in einer Liga. Die große Zeit der Offenbacher Fußballer waren vor allem die 1950er Jahre, als sie oft die Nummer eins im hessischen Fußball waren und regelmäßig zu den führenden Teams Süddeutschlands zählten. Zweimal, 1950 und 1959, standen sie sogar im Finale um die deutsche Meisterschaft, aber zum Titel reichte es nicht. In der Bundesliga ist der OFC hingegen nie richtig angekommen und nur Mitte der 1970er Jahre schien es für einen Augenblick, als könnte sich die Elf dauerhaft in Deutschlands Eliteklasse etablieren. Nicht umsonst wurde der einzige nationale Titel 1970 deshalb wohl auch im Pokal errungen. Erstklassig waren die Kickers letztmals 1984, heute versucht man am Bieberer Berg, wenigstens wieder in die 3. Liga aufzusteigen.

4:0 vor 103 Jahren

Als die Offenbacher vor über 100 Jahren, im Frühjahr 1914, erstmals ihre fußballerische Visitenkarte in Gießen abgaben, zählten sie bereits zu den arrivierten Teams im Nordkreis, der damals höchsten Spielklasse im Rhein-Main-Gebiet. Sie trafen auf eine Gießener Elf, die seit kurzem als VfR firmierte. Hinter dem Verein für Rasenspiele verbarg sich der Zusammenschluss der Sportclubs 1900 mit dem VfB 08, der bis zur Jahreswende 1919/20 Bestand haben sollte und die Fusion des Jahres 1956 vorwegnahm. Gießens neuer Fußballverein hatte bereits kurz zuvor den hoch gehandelten VfR Mannheim klar geschlagen und machte auch mit Offenbach kurzen Prozess. 4:0 hieß es nach 90 Minuten und bei den Rasenspielern glaubte man, einer rosigen Zukunft entgegenzugehen. Nichtsahnend, dass sich am Horizont bereits die dunklen Wolken des nahenden Weltkrieges abzeichneten.

Der zweite Auftritt der Offenbacher in Gießen datiert aus dem September 1935, als der damalige Gauligist aus Anlass des 35-jährigen Vereinsjubiläums der SpVgg. 1900 an die Lahn kam. Gießen spielte damals auf dem heute nicht mehr existierenden Sportplatz am Philosophenwald und fühlte sich geehrt, dass der Vorjahresmeister der Gauliga Südwest die Einladung angenommen hatte. Geschenke zum Jubiläum verteilten die Kickers aber nicht, denn sie siegten 1:0. Bis heute ist das die einzige Heimniederlage der Gießener gegen die Kickers geblieben.

Es sollten fast drei Jahrzehnte vergehen, bis die Offenbacher im Oktober 1964 erneut beim VfB 1900 vorstellig wurden. Diesmal zu einem Pokalspiel. Die Gießener, die 1963 Hessenmeister geworden waren und im Jahr darauf auch den Hessenpokal gewonnen hatten, trafen in der 1. Runde des süddeutschen Pokals auf den Regionalligisten, der immer noch damit haderte, dass der Deutsche Fußball-Bund ihn nicht bei der Einführung der Bundesliga berücksichtigt hatte. Die Offenbacher reisten als klarer Favorit an. Bis zur 54. Minute lief vor rund 4 000 Zuschauern auf dem Waldsportplatz auch alles nach Plan, denn die Kickers, die unter anderem den späteren Nationalspieler Siggi Held im Gepäck hatten, führten da 3:0. Dann fiel durch Ossi Pfaff jedoch das erste Gießener Tor und die Gastgeber wurden von Minute zu Minute stärker. Bis zur 88. Minute gelangen Rudi Klein noch zwei weitere Tore und es ging in die Verlängerung. Hier brachte Lotz die Offenbacher zwar wieder in Führung, doch Arno Reeh glückte nach genau 100 Minuten der erneute Ausgleich. Das Publikum war aus dem Häuschen, aber der VfB versäumte es, die sich bietenden Chancen zum endgültigen K.o. zu nutzen. So retteten sich die Offenbacher mit einem 4:4 in ein Wiederholungsspiel, das sie am Bieberer Berg mit 6:1 für sich entschieden.

Wenn man so will, so hatte das Gießener Publikum bei den nächsten beiden Auftritten der Offenbacher das Pech, jeweils „nur“ einen Zweitligisten serviert zu bekommen. Im Sommer 1967 kamen die Kickers als Regionalligist, der gerade knapp den Aufstieg in die Bundesliga verpasst hatte und zwei Jahre später als frisch gebackener Absteiger aus dem Oberhaus. Für einen Offenbacher Sieg reichte es aber in beiden Fällen nicht. Zunächst sorgten „Bubi“ Sparre, Rolf Schneider und Dieter Giesa vor 2 600 Besuchern mit ihren Toren für den VfB 1900 dafür, dass es am Ende 3:3 stand und im Sommer 1969 waren es zwei Treffer von Reinhard Pohl, die dem Gastgeber ein verdientes 2:2 gegen den OFC bescherten. Der Steinbacher Niko Semlitsch bestritt damals übrigens eines seiner ersten Spiele für die Offenbacher und unter seinen Mannschaftskameraden waren auch die Zwillinge Erwin und Helmut Kremers, die später bei Schalke 04 Nationalspieler werden sollten.

Semlitsch und Kremers

In den frühen 1970er Jahren gastierten die Offenbacher dann in Gestalt ihrer Amateurmannschaft, die seinerzeit durchaus eine Rolle in der Hessenliga spielte, drei Jahre in Folge zu Punktspielen im Waldstadion, konnten den VfB 1900 aber wieder nicht bezwingen. 3:1, 1:1 und 1:0 lauteten die Ergebnisse aus Sicht der Platzherren. Nun dauerte es abermals rund zwanzig Jahre, bevor es im Oktober 1995 erstmals zu einem Punktspiel der 1. Mannschaften beider Vereine kam. Die Gießener waren damals nach 13 Jahren in die Oberliga zurückgekehrt, während die Offenbacher gerade aus der Regionalliga in Hessens höchste Spielklasse abgestiegen waren. Fast 5 000 Zuschauer sorgten im Gießener Waldstadion für einen Besuch, wie es ihn bei einem Ligaspiel seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hatte und die wenigstens dürften damals ihr Kommen bereut haben. Unter dem Jubel des Gießener Anhangs schoss Thorsten Krick den von Horst Hesse trainierten Aufsteiger mit 1:0 in Front, aber den Kickers gelang elf Minuten vor dem Ende durch Ivkovic noch der verdiente Ausgleich. Während der VfB 1900 am Ende der Saison einen achtbaren fünften Platz belegte, scheiterten die Offenbacher als Tabellendritter am Wiederaufstieg. Es kam also im Spieljahr 1996/97 erneut zu einem Gastspiel der Kickers in Gießen.

Die Begegnung hatte allerdings einen völlig anderen Charakter. Der Vierte empfing den Zweiten und von Beginn an lag eine Galligkeit in der Luft, die sich schnell auf die Ränge übertrug, die mit 3 500 Zuschauern wieder gut gefüllt waren. VfB-Spielertrainer Ronny Baumbach hatte die Devise ausgegeben, er wolle „keine Schönspielerei, sondern gewinnen“ und die VfB-Elf setzte die Marschroute ihres Trainers konsequent um. Bernd Vollmer hatte nach nicht einmal einer Viertelstunde bereits für eine 2:0-Führung gesorgt, die anschließend mit viel Kampf verteidigt wurde. Offenbachs Torjäger Skeledzic gelang lediglich noch der Anschlusstreffer. Während der Schiedsrichter nach dem Abpfiff unter Polizeischutz vom Platz geführt werden musste und einige alkoholisierte Fans meinten, sich vor der in Mannschaftsstärke angetretenen Polizei aufspielen zu müssen, machte der Offenbacher Trainer Ronnie Borchers dem VfB 1900 noch ein großes Kompliment. In dem er feststellte, „man habe heute schließlich nicht bei irgendjemandem verloren.“

Am Ende der Saison trennten sich die Wege der Kontrahenten jedoch wieder, denn die Offenbacher behaupteten ihren zweiten Tabellenplatz und sicherten sich gegen den FC Memmingen den Wiederaufstieg in die Regionalliga. So waren es in der Saison 1999/2000 noch einmal die Amateure der Kickers, die im Waldstadion zu einem Punktspiel antraten, aber gegen Gießen wieder nicht über ein Remis (2:2) hinauskamen.

Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass der VfB 1900 bei seinen Gastspielen in Offenbach auch selten Bäume ausgerissen hat und dass Mittelhessen generell kein allzu gutes Pflaster für die Kickers zu sein scheint. Das Auswärtsspiel bei der Teutonia aus Watzenborn in der letzten Saison in der Regionalliga Südwest haben sie – man ahnt es – verloren.

Aufrufe: 023.6.2017, 08:00 Uhr
Christian von Berg (Gießener Anzeiger)Autor