2024-04-23T06:39:20.694Z

FuPa Portrait
Mario Ermisch (hier im September 2014) als Trainer des SV Rödinghausen.
Mario Ermisch (hier im September 2014) als Trainer des SV Rödinghausen. – Foto: Christian Weische

Mario Ermisch in Rödinghausen: Bei Anruf Rausschmiss

Mein emotionalster Moment im Sport: Der 61-Jährige erlebt eine erfolgreiche, aber auch denkwürdige Zeit beim SV Rödinghausen.

Mehr als die Hälfte seines Lebens hat Mario Ermisch (61) als Fußballtrainer gearbeitet. 1988 begann seine ereignisreiche Karriere, die ihn bis in die dritthöchste Liga führte. Der ehemalige Defensivspieler von Arminia II (Verbandsliga), Dornberg und Gadderbaum erlebte als Trainer deutlich mehr Höhen als Tiefen. Und seinen emotionalsten Moment.

Der Rechtsanwalt lehnt sich in seiner Kanzlei in den Bürosessel zurück und denkt an die Anfänge seiner Karriere. „In Dornberg fing alles an.“ In seinem Heimatort also, denn Ermisch wohnt mit seiner Frau Silke und Tochter Alina im Bielefelder Westen. Zum Dornberger Sportplatz sind es quer übers Feld nur zehn Minuten: „Es war eine gute Zeit, wir waren erfolgreich.“
1993 wechselte er zum VfB 03. Er übernahm in der Landesliga, stieg auf, unglücklich ab und gleich wieder auf. „Ich kam mir vor wie im Fahrstuhl“, erzählt Ermisch schmunzelnd. Vor der Aufstiegssaison weilte der VfB für vier Tage im Kalletal. Zeitgleich absolvierte auch Aufstiegsmitfavorit Steinheim dort ein Trainingslager. „Die sind schon vor dem Frühstück gelaufen, haben keinen Ball gesehen und richtig gekeult.“ Ermisch ließ seine Kicker in Ruhe frühstücken und dann mit dem Ball trainieren. Zunächst sah es so aus, als hätte der Konkurrent alles richtig gemacht. „Zur Halbserie lag Steinheim 13 Punkte vor uns. Am letzten Spieltag hatten wir gleichgezogen.“ Das Entscheidungsspiel in Horn gewann der VfB. „Die hatten überhaupt keine Chance gegen uns.“ Wenig später wurde er erster Trainer der Fusion zwischen dem VfB 03 und dem SV Fichte, coachte das Team von der Rußheide in der Oberliga.

2004 übernahm er den VfL Theesen in der Bezirksliga. „Dort habe ich mit lauter 18-Jährigen gearbeitet. Wir hatten zum Winter 13 Punkte Vorsprung, plötzlich kam ein Anruf vom SC Verl. Man fragte, ob ich mir einen Wechsel vorstellen könne.“ Ermisch – als fairer Sportsmann bekannt – informierte den VfL und bekam die Freigabe. In seinem dritten Jahr an der Poststraße gelang der Aufstieg in die damals zweigeteilte dritthöchste Spielklasse. Eine Ligareform später spielten die Verler in der Regionalliga West (4. Liga). Nach insgesamt viereinhalb Jahren war Schluss. Die alte Liebe rief. In Dornberg sollte die Trainer-Erfolgsgeschichte fortgesetzt werden. „Im zweiten Jahr sind wir in die Oberliga aufgestiegen. Vor lauter Freude lief Sebastian Block nackig den Hügel runter.“

Während Ermisch in Dornberg weilte, arbeitete Horst Finkemeier, Inhaber von Häcker-Küchen, daran, den SV Rödinghausen in höchste Amateurkreise zu bringen. Der Unternehmer scheute weder Kosten noch Mühen. Ermischs Erfolge waren ihm nicht entgangen. Finkemeier rief den Bielefelder Trainer an: „Er fragte, ob ich mir vorstellen könnte, Rödinghausen zu übernehmen. Da habe ich erstmal gesagt: Nö, kann ich nicht.“ Es gab weitere Treffen. Finkemeier überzeugte Ermisch. Der übernahm den SVR in der Landesliga, stieg bis in die Oberliga auf. „Als man feststellte, dass der Regionalliga-Aufstieg greifbar war, zweifelten einige in der Führungsetage, ob man das überhaupt wolle“, erinnert sich Ermisch. Spieler und Trainer schafften Fakten. Am vorletzten Spieltag war es perfekt. SVR-Mäzen Finkemeier fuhr mit dem Vorstand voraus, die Aufsteiger folgten aus Ahlen im Bus. „Wir dachten, wenn wir in Rödinghausen ankommen, ist alles für eine Feier vorbereitet“, so Ermisch. Pustekuchen, nichts gab’s. Stattdessen schrieb Finkemeier um 22 Uhr eine SMS an Ermisch, gratulierte zum Sieg in Ahlen, teilte aber auch mit, dass das nur am Rande von Interesse sei, schließlich ginge es um das Wohl der dritten Garde. „Er schrieb mir sogar, dass ich daran Schuld wäre, wenn es zu einem Abstieg käme.“ Ermisch antwortete: „Lieber Horst, tut mir leid, wir sind heute in die Regionalliga aufgestiegen und dafür dass die Dritte möglicherweise absteigt, kann ich nichts.“ Eine absurde Situation, fand Ermisch.

Szene nachgestellt: Mario Ermisch sitzt in seiner Kanzlei am Schreibtisch und denkt an den emotionalsten Moment seiner Laufbahn zurück. Das Telefon spielte dabei eine wichtige Rolle.
Szene nachgestellt: Mario Ermisch sitzt in seiner Kanzlei am Schreibtisch und denkt an den emotionalsten Moment seiner Laufbahn zurück. Das Telefon spielte dabei eine wichtige Rolle. – Foto: Wolfgang Rudolf


»Mario, mach dir keine Sorgen«


In der ersten Regionalliga-Saison schlug sich der SVR wacker, wurde Achter. Die nächste Saison verlief durchwachsen. „Wir haben 13 Mal unentschieden gespielt, standen aber nie auf einem Abstiegsplatz“, erzählt Ermisch. Gerüchte über einen Trainerwechsel machten die Runde. Horst Finkemeier habe ihm jedoch gesagt: „Mario, mach dir keine Sorgen, über den Trainer brauchen wir nicht zu reden.“ Er würde ein Jahr vorher Bescheid sagen, dann könne Ermisch sich aussuchen, was er täte. „Wenn du keinen Bock mehr hast, dann hörst du auf. So lange – wir sind ja befreundet – passiert gar nichts“, gibt Ermisch Finkemeiers Aussagen wieder.


Ein Mann, ein Wort? Nach einem freitäglichen 1:1 beim SC Wiedenbrück am 33. Spieltag verließ Finkemeier wortlos das Stadion. Wenn man hier nicht gewinne, wo wolle man denn dann gewinnen, soll er gegrummelt haben. Am Montag darauf, es war der 11. April 2016, sollte Mario Ermisch eine böse Überraschung erleben. „Ich war in der Kanzlei, als mein Telefon klingelte.“ Am Apparat Horst Finkemeier. „Ich sagte: Horst, warum rufst du mich jetzt an? Er: Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, am besten ich komme mal vorbei. Ich: Du brauchst nicht vorbei zu kommen, was willst du mir jetzt sagen? Finkemeier: Ich weiß nicht, ob wir das am Telefon machen sollen. Ich: Du brauchst nicht nach Bielefeld zu kommen, du bist noch nie in Bielefeld gewesen“, schildert Ermisch. Während die Erinnerung an das Telefonat lebendig wird, steht er auf, geht zum Fenster und schaut auf den Klosterplatz. „Da habe ich eine halbe Stunde hier am Fenster gestanden und telefoniert.“ Ergebnis: Finkemeier wollte die Trennung. Für Mario Ermisch eine völlig ungewohnte Situation, denn er war bis dahin noch nie rausgeflogen. „Das war einfach unfassbar, nach drei Aufstiegen, ein solches Telefonat. Ich war geschockt. Eigentlich schlafe ich gut, aber da habe ich einige Zeit von wilden Fußballdingen geträumt.“ Noch am gleichen Tag fuhr er nach Rödinghausen und einigte sich auf eine Vertragsauflösung. Zurück blieb ein irritierter und enttäuschter Trainer. „Es hat sich niemand bei mir gemeldet. Als mein Rauswurf bekannt wurde, haben alle nur versucht, ihre Ärsche zu retten.“

Nach einer Zeit der Funkstille lud Finkemeier Ermisch zum SVR auf die Ehrentribüne ein. „Ich bin hin und wir haben gemeinsam ein Spiel geschaut.“ Böses Blut gibt es zwischen beiden Seiten nicht. Die Umstände seines Rauswurfs sorgen jedoch immer noch für ein Kopfschütteln bei Mario Ermisch.

Ermisch und die Schiedsrichter


Mario Ermisch eilt ein Ruf voraus. In Schiedsrichterkreisen hat man stets ein besonderes Auge auf den Fußballtrainer. Innenraumverweise und zuletzt auch eine Rote Karte sorgten für Aufsehen. Übertrieben findet Ermisch. „Ich habe noch nie einen Schiedsrichter beleidigt oder ihn irgendwie bösartig angegangen“, sagt er. Natürlich rufe er mal etwas rein, aber alles im Rahmen, meint Ermisch. Der Rechtsanwalt ist ein Freund von Sarkasmus und Ironie. Er weiß, wie er Sätze formulieren muss, ohne dafür belangt werden zu können. Clever sagen die einen, anstrengend die anderen. Ermisch war der erste Fußballtrainer in Bielefeld, der eine Rote Karte sah – das Verfahren wurde eingestellt. Eine Schuld war nicht nachweisbar. Auch, weil sich das Schiedsrichtergespann nachher nicht mehr sicher war, ob es wirklich Mario Ermisch war, der sie beleidigt haben sollte. Der Trainer beteuerte stets seine Unschuld.

„Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Schiedsrichter sich mehr auf mich als auf das Spiel konzentriert haben“, sagt Ermisch. Andere Unparteiische hätten ihm bereits vor Anpfiff gesagt, dass sie ihn im Auge hätten. „Können sie ja“, sagt Ermisch lachend. Er mag es einfach nicht, wenn seine Elf ungerecht behandelt wird. Regelmäßig höre er auf dem Platz bei Zweikämpfen, dass „es keinen Kontakt“ gegeben habe. Wenn Ermisch aus seiner Position nah am Spielfeldrand es anders wahrgenommen hatte, teilte er dies dem Schiedsrichter auch lautstark mit. Dann folgte meist die typische Mario-Ermisch-Geste: Mit der rechten Hand tätschelt er sich selbst den Hinterkopf – und beruhigt sich wieder.
Aufrufe: 020.9.2020, 09:30 Uhr
Nicole Bentrup / FuPaAutor