2024-04-25T08:06:26.759Z

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Leben zwischen Bauernhof und Bundesliga

Nationaltorhüterin Almuth Schuldt zu Besuch beim TSV Wiepenkathen +++ 24 junge Keeperinnen profitieren von ihrer Erfahrung

Sie isst Aprikosenkuchen und erzählt, dass sie das Dorfleben mag. Sie marschiert beim Schützenfest und kickt mit ihrem Bruder zusammen in dessen Kreisligamannschaft. Die Torhüterin der Fußball-Nationalmannschaft, Almuth Schult (26), gibt sich bodenständig.

Almuth Schult hat am Dienstag den TSV Wiepenkathen besucht, erst beim Tee ungezwungen geredet und dann 24 junge Torhüterinnen aus der Region trainiert. Stolz marschiert die zehnjährige Josey aus Harsefeld durch die Sporthalle. Sie hat der Olympiasiegerin, Champions League-Gewinnerin, mehrfachen Deutschen Meisterin und DFB-Pokalsiegerin Almuth Schult gerade zwei Treffer von der Siebenmeterlinie eingeschenkt. Als Einzige. Linksunten, mit Innenpfosten und ein bisschen Glück. Almuth Schult schmunzelt. Die Eltern in der Halle applaudieren.

Almuth Schult gibt gerne mal Trainingseinheiten für Kinder. In einigen Schulen in ihrer Heimat im Wendland war sie schon. Rita Tiedtke hat sie nach Wiepenkathen gelotst. Tiedtke hat den Frauen- und Mädchenfußball in Wiepenkathen Anfang der 1970er Jahre etabliert. Beim Deutschen Fußballbund (DFB) arbeitete sie 18 Jahre lang als Referentin für den Mädchenfußball in Norddeutschland. Tiedtke kennt Schult noch als kleines Mädchen. Das Training mit den jungen Torhüterinnen ist Teil eines Mädchenbildungsprojektes, das die Gleichstellungsbeauftragten aus dem Landkreis Stade initiiert haben. Aus den Einnahmen der Jubiläumsveranstaltung "25 Jahre Landkreisweites Frauennetzwerk" hat der TSV Wiepenkathen den Nachmittag mit Almuth Schult schließlich finanziert.

Schult boxt den Ball mit der Faust in die Luft. So, wie im Strafraum nach einer Flanke, nur ohne Flanke. Die Mädchen haben einige Probleme, den Ball ebenso geschmeidig tanzen zu lassen. Die Nationaltorhüterin zeigt dem Nachwuchs die richtige Schusstechnik. Sie nimmt den Rückpass an, legt sich den Ball auf den anderen Fuß und kickt ihn zurück. Schult erklärt die Haltung der Hände. Sind die Daumenspitzen zu weit auseinander, landen die Bälle beim Fangen gern mal im Gesicht. Almuth Schult weiß, wovon sie spricht. Sie ist aktuell die Beste ihres Fachs in Deutschland, sie spielt seit 2013 beim VfL Wolfsburg und seit 2012 in der Nationalmannschaft. Und sie hält neben all ihren Titeln noch einen besonderen Rekord. Schult blieb zwischen Oktober 2014 und März 2015 in der Bundesliga 1051 Minuten ohne Gegentor. Das sind fast zwölf Spiele. Gemeinsam mit der Amerikanerin Hope Solo wurde Schult im Jahr 2014 als Welttorhüterin ausgezeichnet.

Starallüren? Hat sie nicht. In ihrem Heimatdorf Lomitz, ein winziges Dorf mit gerade mal 120 Einwohnern im Kreis Lüchow-Dannenberg, ist sie auf dem Bauernhof groß geworden. Der Name Almuth Schult steht bei der Wikipedia-Erklärung über Lomitz heute unter der Überschrift "Persönlichkeiten". Bei fast all ihren Stationen ihrer noch jungen Karriere war sie nie weit weg von zu Hause. Hamburg, Magdeburg, jetzt Wolfsburg - manchmal fährt sie zum Kuchenessen heim. "Die Familie ist mir wichtig", sagt Almuth Schult. Ihre Geschwister haben ihre Hochzeitstermine nach ihrem Trainingsplan ausgerichtet.

Aus der Feuerwehr ist Almuth Schult nie ausgetreten. Auch nicht aus dem Schützenverein. Wenn die Vereine in Lomitz feiern, feiert sie mit, wenn es die Zeit erlaubt. Die Schützen-Uniform hat sie noch im Schrank. Ein Ballkleid ebenso. Tanzen kann die Torhüterin. Sie ist mit dem "Goldstar" ausgestattet. "Wiener Walzer solltest du beim Schützenfest schon können", sagt sie. Sie ist gern in Lomitz. Sie geht raus zu den Tieren, sie hackt Holz. Das Dorfleben hilft ihr, bodenständig zu bleiben. In der Umkleidekabine beim VfL Wolfsburg verkauft sie ihren Mitspielerinnen Eier von glücklichen Hühnern und Milch.

Bevor das Training in Wiepenkathen beginnt, sitzen Almuth Schult, Rita Tiedtke und die Gleichstellungsbeauftragten zusammen bei Kaffee, Tee und Kuchen. Almuth Schult kommt sofort ins Plaudern. Sie erzählt von ihrem Sieg bei der Europameisterschaft 2013, für den jede Spielerin 22500 Euro vom DFB erhalten hat. Die Männer bekommen das Zehnfache. Dennoch sagt sie, sie sei zufrieden, wie sich der Frauenfußball, der bis 1970 offiziell verboten war, entwickelt habe. Im Schnitt kassieren Frauen in der Bundesliga unter 1000 Euro im Monat, die Besten allenfalls hohe vierstellige Summen.

Viele Bundesligaspielerinnen fahren deshalb zweigleisig und gehen einem Hauptberuf nach. Almuth Schult studiert derzeit an der Sporthochschule in Köln, schreibt bald ihre Bachelor-Arbeit und will Trainerin, Heilpraktikerin, Physiotherapeutin oder vielleicht Sportjournalistin werden.

Noch am Abend düst die 26-Jährige wieder zurück nach Wolfsburg. Am Mittwoch stand der Start der Vorbereitung auf die Rückrunde an. Der VfL hat schließlich die Tabellenführung zu verteidigen. Ein freies Wochenende habe sie frühestens irgendwann Ende Juni. Almuth Schult muss wahrscheinlich den Geburtstag ihrer Oma absagen. Das macht sie traurig. Denn irgendwie hat Oma auch dafür gesorgt, dass Almuth Schult im Tor eine ganz Große geworden ist. Denn Oma stand auch im Tor auf dem Bolzplatz. Mit einer langen Kittelschürze an. Sie ließ sich nicht tunneln.

Aufrufe: 011.1.2018, 14:20 Uhr
Tageblatt / Daniel BerlinAutor