2024-04-16T09:15:35.043Z

Interview
Vielfach unterwegs: Thorsten Effgen war Cotrainer von Sandro Schwarz bei Mainz 05, arbeitete dann beim DFB im Bereich der Juniorenausbildung, spielte nebenbei aktiv in der B-Klasse und übernimmt jetzt die U19 von Schott Mainz. Foto:  Ig0rZh – stock.adobe / Nies
Vielfach unterwegs: Thorsten Effgen war Cotrainer von Sandro Schwarz bei Mainz 05, arbeitete dann beim DFB im Bereich der Juniorenausbildung, spielte nebenbei aktiv in der B-Klasse und übernimmt jetzt die U19 von Schott Mainz. Foto: Ig0rZh – stock.adobe / Nies

"Wir wollen Vorreiter sein"

Thorsten Effgen hat als U19-Trainer bei Schott Mainz viel vor +++ Co-Trainer unter Schwarz und Schönweitz sieht Entwicklungen im Jugendfußball kritisch

Mainz. „Effe“ zur Schott, die Nachricht sorgt nicht nur im professionell betriebenen Jugendfußball für Aufsehen. Thorsten Effgen übernimmt als Cheftrainer zur neuen Saison die U19 des TSV. Der Realschullehrer und A-Lizenz-Inhaber war bei Mainz 05 Cotrainer unter Sandro Schwarz und beim DFB unter Meikel Schönweitz. Doch niemand muss erwarten, dass aus dem TSV-Unterbau nun ein „Nachwuchsleistungszentrum light“ wird. Effgen weiß genau, was er nicht will – und was auch dem deutschen Fußball insgesamt schadet. Stärken stärken statt Schwächen in den Fokus rücken, Freiräume geben, Kreativität und Eigenantrieb zur Entfaltung kommen lassen sind seine Leitlinien, wie er im Interview erzählt.

Thorsten, was machen die Knochen?

Was machen die Knochen?

Ich finde, bei einem 43-Jährigen mit 15 Saisonspielen in der B-Klasse ist die Frage angemessen.

(lacht) Soweit kann ich nicht klagen – verhältnismäßig gut. Angemessen, nicht so wie mit 23, aber es geht noch...

Was treibt Dich dazu, in diesem Alter noch auf dem Platz zu stehen?

Der Spaß am Fußball. Seit Kindesbeinen an spiele ich gerne, das hat sich zum Glück bis heute nicht geändert.

Wann und wo ging es los?

Kurz vor meinem sechsten Geburtstag, beim ASV Idar-Oberstein. Da habe ich meine ganze Jugend und mein erstes Aktiven-Jahr verbracht, dann bin ich erst zum großen Stadtrivalen gewechselt. Wir haben damals in der höchsten Jugendklasse gespielt, mit dem FCK und Mainz 05. Das war alles viel überschaubarer. Zweimal die Woche Training, mehr gab es bei uns nicht. Die meiste Trainingszeit haben die Spieler auf dem Bolzplatz verbracht. Bis 15, 16, 17 haben wir eigentlich immer gebolzt.

Dann kamen die Daddelkisten, das Internet, die Ganztagsschule und die NLZs.

Alles nacheinander, wobei wir auch schon am C64 gespielt haben. Aber für mich ist es immer noch kein Ersatz, virtuell ein Tor zu schießen – das Gefühl ist nicht vergleichbar.

Dein Spitzname ist „Effe“. Freunde der Sonne! Das ist im Fußball kein gewöhnlicher Spitzname. Welcher „Effe“ war zuerst, Effgen oder Effenberg?

Es gab den Bundesliga-Effe einen Tick früher. Ich habe den Namen Lothar Emmerich zu verdanken, mein Trainer beim SC Idar-Oberstein, einer der populärsten Trainer hier in der Region, leider schon verstorben. Er hat aus Prinzip allen Spielern Spitznamen gegeben. Manchmal hat er die Nachnamen verunstaltet – wenn einer Rose hieß, hat er ihn Tulpe genannt. Da bin ich mit Effe noch gut weggekommen.

Wie ist denn der „Effe“ der SG SV Spabrücken/Hergenfeld als Mitspieler so drauf, im Vergleich zum früheren Bayern-Kapitän und dem Uefa-A-Lizenz-Inhaber Thorsten Effgen?

In den letzten zehn Jahren einer, der versucht zu helfen, wo es geht – der aber auch immer noch ehrgeizig ist und Spiele gewinnen will. Wenn ich mich sonntags umziehe, habe ich auch ein Ziel. Aber ich bin auch dafür da, den ein oder anderen Tipp weiterzugeben.

Warum hörst Du beim DFB auf?

Das ist noch gar nicht final besprochen, weil auch noch kein neuer Cheftrainer da ist und damit auch das Funktionsteam noch nicht steht. Aber mein Fokus geht klar auf die neue Aufgabe bei Schott. Ich möchte eine neue Rolle einnehmen und war ja schon einige Jahre Cheftrainer, bevor ich Cotrainer wurde.

Warst Du Jugend- oder Aktiven-Cheftrainer?

Jugend-Cheftrainer war ich bei der E- bis C-Jugend, dann war ich drei Jahre in der Landesliga beim VfR 07 Kirn spielender Cheftrainer. Dann habe ich den Stützpunkt in Bad Kreuznach mit eröffnet und geleitet, aber nur kurze Zeit, denn dann hat mich Stefan Hofmann zum 1.1.2011 zu Mainz 05 zurück gelockt. Seitdem habe ich als Co-Trainer eine Menge gelernt, aber jetzt möchte ich die Rollen tauschen.

Meikel Schönweitz und Sandro Schwarz waren zwei Deiner Vorgesetzten. Was hast Du mitgenommen?

Das waren zwei prägende Personen, zumal es mit ihnen einen Austausch auch über das Tagesgeschäft hinaus gab. Da hatten wir fast schon philosophische Ansätze über den Fußball an sich. Die beiden hatten immer ein offenes Ohr, haben mich als gleichwertigen Gegenpol wahrgenommen, in Inhalten und Aufstellungen habe ich mich auch wiedergefunden – das ist nicht selbstverständlich. Kurzzeitig hatte ich auch Stefan Hofmann als U19-Cheftrainer, das war hoch spannend, weil er als Sportlicher Leiter des NLZ sehr viel zu tun und mir daher viel Verantwortung übertragen hatte.

Die Vorstellungen, die Du bei Deiner Präsentation beim TSV Schott erläutert hattest, sprechen dafür, dass Du Dir den Blick über den Tellerrand bewahrt hast und gern manches anders machen würdest, als es beim Profi-Nachwuchs der Fall ist.

Wenn man sich mit den Jungs unterhält, merkt man, dass wir die Schraube vielleicht einen Tick zu weit reingedreht haben. Viel hilft viel – den Eindruck habe ich nicht, ich denke das schadet eher. Wenn ein Spieler sagt „Heute Abend muss ich ins Training“, ist das für mich schon ein Alarmsignal. Wenn man sich die Frage stellt, wieso wir in Deutschland nicht mehr die große Zahl Eins-gegen-Eins-Spieler haben, muss man gucken, was beispielsweise in England oder Frankreich anders gemacht wird. In England sind in der U16 mindestens zwei freie Tage die Woche garantiert. Das kann so verkehrt nicht sein. Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, einen Trainingsreiz auch zu adaptieren. Wenn man immer nur trainiert, ist das schwierig.

Genau so sieht für mich vielfach der hochklassige Jugendfußball aus, nach mechanischem Abarbeiten von Vorgaben. Wenn man sieben Tage die Woche an einer Aufgabe sitzt und dann alles eine Woche liegen lässt, hat man auch unzählige neue Ideen. Kreativität braucht Raum, auch gedanklich.

Das ist schon übertragbar auf den Fußball. Manche Jungs genießen die freie Zeit und denken sich irgendwann, dass sie Lust haben kicken zu gehen. Sancho und die anderen englischen Raketen auf diesen Positionen, die wir nicht haben – ich denke, das kommt auch daher. Die Strukturen im NLZ-System sind super, die Spieler sind körperlich viel früher bundesligatauglich. Aber ich glaube nicht, dass wir zwingend in der U17 fünfmal die Woche trainieren müssen. Mit Qualität kann man vieles an Quantität abfangen. Das will ich ausprobieren.

Dein früherer DFB-Cheftrainer Meikel Schönweitz hat unlängst in einem Interview in der Allgemeinen Zeitung verdeutlicht, dass man sich dieses Problems beim DFB durchaus bewusst ist und gewillt ist gegenzusteuern. Was kann man tun, um wieder mehr Straßenfußballer zu bekommen – vielleicht auch den Fußball anders denken, weg vom streng Taktisch-Schematischen, weg vom Laptoptrainer-Klischee?

Meikel sitzt in einer Kommission, in der sich viele kluge Köpfe Gedanken machen, wie es in den nächsten Jahren nach vorne gehen kann. Ganztagsschule, Handygeneration, E-Sports, Soziale Medien – das hat sich alles in den letzten zehn Jahren massiv gewandelt. Den Jungs fehlt die Zeit, auch mal was zu verarbeiten. Kleinere Mannschaften in der F-, E-, D-Jugend wären ein Ansatz – mehr Ballkontakte, mehr Entscheidungen. Wir sollten Strukturen aufbrechen, mutig sein, etwas ausprobieren. Probieren und scheitern, das trauen wir uns nicht mehr. Aber sowohl als Spieler als auch als Trainer sollten wir uns das herausnehmen, denn nur so kann man lernen. Wir sollten die Jungs auch mal einfach üben lassen, sie nicht stören, nicht bewerten.

Das steht im Widerspruch zum vermeintlich typisch deutschen Perfektionismus. Wenn auf einmal alles dokumentiert und verwissenschaftlicht wird, Datenbanken über jede Trainingseinheit Auskunft geben, dann geht die Kreativität im Spielerischen verloren.

Aber wenn man vor 20 Jahren schon die Technik gehabt hätte, hätte man vielleicht auch alles gemessen. Es geht, also wird es gemacht. Da sehe ich die Trainer in der Pflicht, all die Pass- und Laufstatistiken zu filtern und den Spielern nicht mit zu vielen Details auf die Nerven zu gehen. Die Spieler, die gut sind, werden nicht gut, weil die Trainer so ehrgeizig sind, sondern weil sie selbst ehrgeizig sind und geholfen bekommen wollen. Ich will als Trainer kein Oberlehrer sein, sondern Mentor und Helfer.

Wie soll man Kreativität auch messen? Drei „tödliche“ Pässe ins Nichts, aber eine Vorlage zum Siegtor geben eine miserable Passquote... Der Blick aufs Spiel als Spiel ist doch entscheidend.

Deswegen ist der Trainer weiterhin die Schlüsselperson, wenn er seinem Innenverteidiger erklären muss, warum er genau für diesen Spieler immer wieder verlorene Bälle zurückholen muss. Auf der anderen Seite hilft die Videoanalyse, dem Spieler zu zeigen, wie er noch bessere Pässe spielen kann. Meistens merken es die Jungs allerdings durch Probieren selbst, wenn man sie probieren lässt. Das muss man dann auch als Trainer aushalten.

Du bist bei Schott so gesehen an der richtigen Adresse, wo mit FUNino, einem neuen Angebot unter dem Motto „Kicken im Käfig“ und dem allgemein breitensportlichen Ansatz in der unteren Jugend ganz ähnlich gedacht wird. Scheint, als hättet ihr euch gesucht und gefunden.

Es passt wirklich von der Philosophie her. Der Verein will ein bisschen weg vom Mainstream arbeiten, von dem, was gerade in den NLZs momentan üblich ist. Ich bin überzeugt, es ist der richtige Verein zum richtigen Zeitpunkt. Ich hoffe, dass sich das Denken in den nächsten Jahren in die Richtung entwickelt, über die wir gerade reden – und der TSV Schott vielleicht als ein kleiner Vorreiter mit dabei ist. Arbeit in Entwicklung investieren, davon bin ich überzeugt. Wenn bei der Videoanalyse die guten Szenen vorgespult werden, um die schlechten zu zeigen, fragt sich der Spieler irgendwann, ob er morgen früh überhaupt noch aufstehen darf. Ich kenne das auch aus der Schule: Wenn Vertrauen da ist, eine grundsätzlich positive Atmosphäre mit gewissen Werten herrscht, dann ist Entwicklung am positivsten. Wenn ein Spieler denkt: Heute ist wieder Sitzung, hoffentlich komme ich nicht dran – das wollen wir umdrehen.

Ihr wollt neben der Videoanalyse auch im athletischen Training intensiver einsteigen. Bleibt da eigentlich auch weiter Zeit für die B-, oder sogar, wenn ihr aufsteigt, die A-Klasse?

Das ist ebenfalls nicht final besprochen. Aber die Tendenz geht schon dahin, dass ich für die erste Mannschaft nicht mehr zur Verfügung stehe. Wir haben auch genug junge Spieler. Wenn ich Zeit habe und darf, werde ich auch mal die zweite Mannschaft als Spielfeld benutzen und mich austoben. Ich glaube, ich habe es absolut ausgereizt.

Das Interview führte Torben Schröder.

Aufrufe: 03.4.2019, 18:00 Uhr
Torben SchröderAutor