2024-04-24T13:20:38.835Z

FuPa Portrait
Das Trikot von Real Madrid verrät: Victor Morrow ist ein großer Fußballfan. Der Asylbewerber aus Nigeria spielt selbst für den TSV Kühbach. Um sich auf dem Platz und im Alltag besser verständigen zu können, lernt er deutsch. 	F.: Johannes Graf
Das Trikot von Real Madrid verrät: Victor Morrow ist ein großer Fußballfan. Der Asylbewerber aus Nigeria spielt selbst für den TSV Kühbach. Um sich auf dem Platz und im Alltag besser verständigen zu können, lernt er deutsch. F.: Johannes Graf

Tore bejubelt er mit einem Salto

Immer mehr Asylbewerber finden in Sportvereinen soziale Kontakte und Anschluss +++ Wie das funktionieren kann, verdeutlicht das Beispiel eines jungen Nigerianers in Kühbach

Dass er lernen will, daran lässt Victor Morrow keinen Zweifel. Permanent kritzelt er mit Bleistift in seinem kleinen Büchlein herum, dem Kühbacher Gemeindeblatt. Wissbegierig schnappt er jedes Wort auf, das ihm Lehrer Alfons Kreppold, 66, vorsagt. Morrow bereitet das sichtlich Freude. Das Lachen will nicht aus seinem Gesicht weichen, als er laut „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“ vorliest. Dass er sich einmal mit dem ländlichen Kühbach, einer Gemeinde mitten in Bayern, beschäftigen würde, konnte Morrow nicht wissen. Wie auch. Das Schicksal, das sein Leben für ihn vorgesehen hat, wollte es aber so.

Morrow, 22 Jahre jung, stammt aus Nigeria. Früh hat er seine Eltern verloren. Zu erfahren ist nur, sie müssen bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen sein. Darüber erzählen möchte Morrow nicht. Auch darüber, wie er den Weg von Afrika nach Europa gefunden hat, schweigt er. Ob er in einem der überfüllten Flüchtlingsboote an der Küste Italiens strandete? Man weiß es nicht.

Dass der Nigerianer nicht davon erzählt, ist naheliegend. Bei ihm schwingt die Angst mit, nicht in Deutschland bleiben zu dürfen. Abgeschoben zu werden. Morrow steht damit für die zahlreichen Flüchtlinge, egal ob aus Syrien, Afghanistan oder Afrika, die keinen anderen Ausweg sehen, als ihre Heimat für immer zu verlassen.

Morrows Lebensmittelpunkt ist jetzt Kühbach. Längerfristig zu planen, macht wohl kaum Sinn. Weil der junge Mann Vollwaise ist, stehen seine Chancen aber nicht schlecht, dauerhaft hier bleiben zu dürfen. Und weil er den Anschein erweckt, sich möglichst schnell integrieren zu wollen. Dankend nimmt er die Hand an, die ihm etliche Bürger dieser Tage reichen.

Einer von ihnen ist Alfons Kreppold, ehemaliger Schulleiter in Kühbach, der gemeinsam mit Rosemarie Etzel ausländischen Neuankömmlingen wie Morrow die deutsche Sprache näher bringt. Kreppold sieht die Dinge pragmatisch. Er sagt: „In erster Linie muss diesen Menschen geholfen werden. Alles andere ist Sache der Politik.“

Seit über vier Jahren leben Afghanen in Kühbach, nun sind Afrikaner dazugestoßen. Wie in anderen Gemeinden hat sich in Kühbach ein Kreis Unterstützer gefunden. Einerseits kümmert sich dieser um alltägliche Dinge, besorgt funktionsfähige Fahrräder oder Vorhänge, andererseits hilft er dabei, Vorurteile abzubauen und die neuen Mitbürger einzugliedern. Das Ziel: Möglichst schnell sollen sie möglichst selbständig werden. Morrow lebt mit anderen Ausländern in einer Wohngemeinschaft, am liebsten kocht er Spaghetti mit Tomaten und Spinat. Er ist kein Moslem, trinkt Alkohol und isst Fleisch. „Alles kein Problem“, sagt der Afrikaner lächelnd.

Integration ist das Schlagwort, Sprache der Schlüssel. Sie ebnet den Weg zu sozialen Kontakten. Aber auch Sport kann verbinden. In einer Mannschaft und einem Verein kommen sich Menschen näher, tauschen sich aus, auf und abseits des Sportplatzes. Überdies kann ein Klub sportlich profitieren.
Morrow, dessen Gesicht und Frisur an den afrikanischen Fußball-Star Didier Drogba erinnern, hat in seiner Heimatstadt Lagos oft auf der Straße gebolzt. Der Kontakt zum TSV Kühbach war schnell hergestellt, eine Ausrüstung zusammengesucht, nun kickt er mit. Nebenbei schwingt er in der Tischtennis-Abteilung den Schläger.

Mit den Afghanen Najibullah Amini und Ramatollah Amiri hat Fußball-Abteilungsleiter Jürgen Erhard gute Erfahrungen gemacht. In der A-Klasse kommen sie regelmäßig zum Einsatz. Victor Morrow stürmte bisher nur für die zweite Mannschaft, spielte dort zusammen mit dem Kongolesen Godson Ikounga-Mangaya. Weil Morrow dort schon getroffen hat, konnten Mitspieler und Trainer seinen ausgefallenen Torjubel bestaunen: einen Flick-Flack mit anschließendem Salto. Frank Lehrmann, Kühbachs Spielertrainer in der A-Klasse, erklärt mit einem Schmunzeln, Rekord-Nationalstürmer Miroslav Klose, bekannt für seine Saltos, wäre neidisch bei Morrows perfekter Turnübung.

Frank Lehrmann hat auf dem Rasen mit naheliegenden Problemen zu kämpfen. „Die größte Barriere ist die Sprache“, sagt der 30-Jährige. Auf dem Platz behelfe er sich mit Gesten, zeige mit Hand und Fuß. Um seinen ausländischen Spielern taktische Grundlagen beizubringen, bedient er sich einer kleinen Tafel und Magneten. Lehrmann erklärt, Amini, Amiri und Co. seien ballverliebt, Vorbehalte innerhalb der Mannschaft gebe es aber keine. Der gebürtige Österreicher lebt das vor. Er sagt: „Uns ist es egal, ob sie schwarz, weiß, grün oder gelb sind. Wir wollen beim Fußball Spaß und Erfolg haben.“

In der Vorbereitung auf die Frühjahrsrunde wird Morrow mit der ersten Mannschaft trainieren. Winterliches Wetter und langes Training schrecken ihn nicht, beteuert er. „Ich will lernen und mich verbessern.“ Den Trainer freut das ebenso wie den Deutschlehrer.

Aufrufe: 024.12.2014, 09:18 Uhr
Aichacher Nachrichten / Johannes GrafAutor