2024-04-23T13:35:06.289Z

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Launige Runde. Unser Mitarbeiter Benjamin Schieler im Gespräch mit den Herren Blessin (auf dem Bildschirm), Hurler und Montero. Foto: Tom Bloch
Launige Runde. Unser Mitarbeiter Benjamin Schieler im Gespräch mit den Herren Blessin (auf dem Bildschirm), Hurler und Montero. Foto: Tom Bloch

Blessin: „Wir sind extreme Spätstarter gewesen“

Die Ex-Profis Blessin und Montero sowie ihr damaliger Jugendtrainer Rainer Hurler im Interview

Die beiden Ex-Profis Alexander Blessin und David Montero sowie ihr einstiger Jugendtrainer Rainer Hurler im Gespräch über damalige Zeiten und den Fußball heute.

Unter dem Trainer Rainer Hurler haben die späteren Profis Alexander Blessin und David Montero einst ihre ersten größeren fußballerischen Schritte gemacht. Vor 30 Jahren war das, beim TSV Georgii Allianz – erst in der Jugend, dann bei den Aktiven. Beide arbeiteten sich aus der Kreis- bis in die Bundesliga hoch. Heute ist Blessin Nachwuchstrainer bei RB Leipzig, Montero zurück bei seinem Heimatclub und Hurler im Trainerruhestand. Unsere Zeitung hat das Trio zu einem Wiedersehen zusammengeholt, um gemeinsame Zeiten Revue passieren zu lassen und darüber zu sprechen, wie sich der Fußball verändert hat.

Herr Blessin, leider können Sie nur per Videokonferenz und nicht persönlich dabei sein, weil Sie arbeiten müssen. . .

Alexander Blessin: Ja, ich hab‘ einen Job. (lacht)

Rainer Hurler: Wenigstens einer, der was schafft.

Die Bundesliga-Saison mit den U-17-Junioren von RB Leipzig hat für Sie am vergangenen Wochenende mit einem 2:1-Sieg in Wolfsburg begonnen. Ein guter Start?

Blessin: Wir haben ein sehr schweres Startprogramm mit Spielen gegen Wolfsburg, Hertha und Hamburg. Danach wissen wir gleich, woran wir sind. Die Art und Weise, wie wir in Wolfsburg gespielt und die drei Punkte mitgenommen haben, stimmt uns aber optimistisch.

Wie häufig sind Sie noch in der Heimat?

Blessin: Meine Familie lebt ja noch in Altenriet. In den Ferien ist meine Frau mit den Kindern bei mir, ansonsten versuche ich, alle 14 Tage runterzufahren.

Herr Montero, können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit dem Kollegen Blessin erinnern?

David Montero: Das war in meinem ersten Jahr in der C-Jugend. Da gab’s die beiden Superstars Alexander Blessin und Sebastian Hablitzel, die schnellste Maus von Mexiko. Und da sich der Herr Hurler auch um unsere Familie gekümmert hat, sind wir immer mit den Eltern auf Sommerturniere oder in den Winterurlaub gegangen.

Blessin: Stimmt, nach Kniebis.

"David war für mich immer die Pferdelunge"

Wie war der erste fußballerische Eindruck?

Montero: Das Gute war, dass sich die Verteidiger alle um Alex gekümmert haben. So war mehr Platz für uns anderen. Aber seine Glocken hat er trotzdem gemacht.

Blessin: David war für mich immer die Pferdelunge.

Montero: Das ist ja wohl auch kein Wunder. Der Herr Hurler hat uns die ganze Zeit über die Möhringer Felder laufen lassen.

Blessin: Du warst aber schon damals ein absolutes Mentalitätstier, hast dich in jeden Zweikampf gehauen und bist für die anderen die Wege mitgegangen.

Herr Hurler, haben Sie gleich gesehen, dass aus den beiden etwas wird?

Hurler: Die Gedanken habe ich mir damals noch nicht gemacht. Das fing erst in der A-Jugend langsam an.

Montero: Ich habe gedacht, ich schaffe es vielleicht in die Landes-, Verbands- oder Oberliga. Aber dass es so weit geht, das hätte ich nicht geglaubt.

Blessin: Wir sind extreme Spätstarter gewesen. Ich bin erst mit 22 nach Ditzingen gewechselt, davor wollte ich nicht weg von meinem Club und meinen Kumpels.

Montero: Aber du warst vor Ditzingen ein Jahr mit Bonlanden in der Oberliga.

Blessin: Ja, das war einer meiner Zwischenschritte. Das hat sich bei mir langsam ergeben. Mittlerweile geht so etwas gar nicht mehr, dass Spieler wie wir durchflutschen, weil es die DFB-Camps, die Auswahlmannschaften und die Nachwuchsleistungszentren gibt. Das ist alles so engmaschig, da fallen Talente nicht mehr durchs Raster.

"Alex war ein Stürmertyp und hat die Tore gemacht"

So eine Karriere, wie Sie sie gestartet haben, wäre heute also nicht mehr möglich?

Hurler: Nein. Wir waren in der Jugend sehr stark. In der C-Jugend sind wir mit Siegen über die Einser-Mannschaften des VfB und der Stuttgarter Kickers Pokalsieger geworden. Wir haben also schon für Furore gesorgt. Unser Glück war aber, dass wir Michael Feichtenbeiner kannten. Der hat bei unseren Spielen immer zugeguckt und den beiden den Grundschritt zu Ditzingen ermöglicht.

Blessin: Und jetzt ist er deutscher Junioren-Nationaltrainer und wir tauschen uns immer wieder über Spieler aus.

Wie haben Sie die eine gemeinsame Saison in Ditzingen erlebt?

Blessin: Für mich war es ein schwieriges Jahr, weil ich parallel meine Ausbildung bei der Polizei abgeschlossen habe. Das war eine brutale Doppelbelastung. Mir war klar: Ich muss mich auf eine Sache konzentrieren. Das habe ich getan. Sportlich lief es in Ditzingen auch nicht so gut. Wir haben lange gegen den Abstieg gespielt, aber den Klassenverbleib letztlich geschafft.

Montero: Ja, am letzten Spieltag, mit einem Sieg in Fulda. Aber ich kann mich noch gut an mein erstes Tor für Ditzingen erinnern. Da kam die Flanke von Alex. Das war also ein Allianz-Ding. Es war allerdings, glaube ich, auch mein einziges Tor.

Was hat die beiden aus Ihrer Sicht ausgezeichnet, Herr Hurler?

Hurler: Alex war ein Stürmertyp und hat die Tore gemacht. David war das, was man heute einen klassischen Sechser nennen würde. Er hat im Mittelfeld die Räume eng gemacht. Er ist, wie Alex schon sagte, ohne Pause gelaufen, war einfach nicht totzukriegen. Und kicken konnte er auch noch. Viele haben das übersehen, Micha Feichtenbeiner nicht. Ich natürlich auch nicht. (lacht)

Montero: Man muss dazu sagen: Rainer Hurler hat die Viererkette quasi erfunden. Wir haben in der B-Jugend mit Doppel-Libero gespielt – Stephan Böß und ich. Arrigo Sacchi hat das mit dem AC Mailand wie er gemacht und ist 1989 Europokalsieger der Landesmeister geworden.

Herr Montero, Sie haben mal gesagt, die beiden Trainer, die Sie am meisten geprägt hätten, seien Uwe Rapolder und Rainer Hurler gewesen.

Montero: Der Rainer, oder T-Rainer, hat einfach ein Supertraining gemacht. Aber es war nicht nur das: Wir waren eine Gemeinschaft, wie es sie heute nicht mehr gibt. Er war auch Pädagoge. Die soziale Kompetenz war ihm wichtig. Ich kann mich nicht erinnern, dass uns ein Schiedsrichter mal wegen einer Unsportlichkeit gesühnt hätte.

Haben Sie bei Ihrer Arbeit in Leipzig etwas von ihm übernommen, Herr Blessin?

Hurler: Alex, jetzt pass auf, was du sagst!

Blessin: (lacht) Die soziale Kompetenz ist schon sehr wichtig. Fußball ist die schönste Nebensache der Welt, aber man darf nicht immer alles so bierernst sehen.

Nach dem Aufstieg in die Bezirksliga 1994 hat die Stuttgarter Zeitung Sie, Herr Hurler, auf die Frage nach Ihrem Erfolgsgeheimnis folgendermaßen zitiert: „Die Freundinnen der Spieler sind integriert. Die Mädchen haben ihre Jungs bei jedem Spiel kräftig angefeuert.“ Außerdem seien Sie viel gemeinsam etwas Essen und in der Disco gewesen. Ein weiteres Zitat: „Die Kerle brauchen auch mal Auslauf.“ War das so?

Montero: Doch ja, zu der Zeit hatte ich eine Freundin. (Die beiden anderen lachen.)

Blessin: Es war Kreisliga A, aber wir waren keine Thekenmannschaft. Bei jeder anderen Kreisliga-Truppe waren dienstags mal zehn Mann da und donnerstags fünfzehn. Bei uns wollte jeder was erreichen. Der Trainer hat das gut gesteuert. Wir haben uns alle gut verstanden und das auf dem Platz gelebt, zum Beispiel, wenn wir uns gegen Niederlagen gestemmt haben.

Hurler: In der Saison sind wir Meister und Pokalsieger geworden. Da haben wir keine einzige Partie verloren.

Montero: Doch, einmal, als Du mich nicht aufgestellt hast.

Blessin: Und ich weiß sogar noch wo: bei der SG Stuttgart-West. Da war ich zuerst auch nicht aufgestellt und bin erst später eingewechselt worden.

"Ich habe es gehasst zu verlieren"

Alles in allem hatten Sie damals einen Lauf.

Hurler: Ja, zumal wir ein Jahr später Vizemeister in der Bezirksliga wurden und wieder ins Pokalfinale kamen. Die Mischung aus Alt und Jung hat einfach gepasst. Hinten hat bei uns Claus Jaumann gespielt, das war auch ein begnadeter Kicker.

Montero: Den Markus Rieger dürfen wir nicht vergessen.

Hurler: Stimmt. Aber nach den zwei erfolgreichen Jahren war klar: Jetzt läuft‘s auseinander. Da wusste jeder, was wir können.

Hatten Sie zu der Zeit Profiambitionen?

Blessin: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Es war nicht mein Traum. Ich hatte Blut geleckt. Dann wollte mich Bonlanden, und ich habe gesagt: schau mal, wie hoch es geht. Ohne gleich zu sagen: jetzt will ich in den Profibereich. Das wäre vermessen gewesen.

Hurler: Wir hatten zu der Zeit auf den Fildern noch zwei weitere hochbegabte Fußballer: Edin Rahic und Uwe Aschenbrenner aus Steinenbronn – ein Bombenspieler, der später zu den Kickers ging. Den vergessen viele. Bei den beiden sage ich: Die sind zu früh gewechselt und waren dann schnell aufgebraucht. Schade drum.

Der Ex-Echterdinger Rahic sagt, ihm habe damals auch der unbedingte Ehrgeiz gefehlt. Hatten Sie den Biss? War das ausschlaggebend?

Hurler: Den hatten sie, beide.

Montero: Ich hatte Lust, Fußball zu spielen.

Blessin: Ich habe es gehasst zu verlieren, hatte aber jeden Tag Bock auf den Ball. Das sind Grundtugenden.

Hurler: Wenn wir damals fünfmal in der Woche trainiert hätten, wären die beiden auch gekommen. Von dem Schlag gibt es inzwischen nicht mehr viele.

"Das System ist trotzdem krank"

Wenn Sie heute auf Ihre Profikarrieren zurückblicken: Gibt es etwas, was Sie bereuen oder was Sie anders machen würden?

Montero: Wenn ich die Gehälter heute sehe, wäre ich gerne später Profi geworden.

Wie ist Ihre Meinung zum Neymar-Transfer nach Paris?

Montero: Da gibt‘s aus meiner Sicht nichts zu verurteilen. Wenn einer diese Summen zahlen will, dann zahlt er sie halt. Natürlich ist kein Spieler 220 Millionen Euro wert. Aber Neymar kann ja auch nichts dafür.

Hurler: Das System ist trotzdem krank. Wenn Spieler schon in der C-Jugend Berater haben. . . Das sind noch Kinder. Da sollte man irgendwie dagegen steuern.

Viele Amateurvereine haben mit einer Kampagne reagiert und gesagt: Der wahre Fußball wird bei uns gespielt.

Hurler: Der Spruch stimmt auch nicht. Wenn man guckt, was schon im Amateurbereich für Prämien gezahlt werden.

Aber Sie, Herr Montero, haben noch immer Lust zu kicken?

Montero: Ich muss mal schauen, wie es diese Saison wird. Ich bewege mich nicht mehr so viel wie früher, laufe praktisch nur noch im Mittelfeldkreis hin und her.

Hurler: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Aber so ist das heute, David: Die Jungen laufen uns mittlerweile davon.

Zur Person

Alexander Blessin: Der Weg von Alexander Blessin führte über den TSV Georgii Allianz, den SV Bonlanden und die TSF Ditzingen zum VfB Stuttgart. Für die Cannstatter lief er siebenmal in der Bundesliga auf – und einmal in der Europa League. Beim 3:0-Sieg in Rotterdam (nach 1:3 im Hinspiel) im September 1998 kam er kurz vor Schluss aufs Spielfeld. 1999 ging es für Blessin weiter zu den Stuttgarter Kickers, damals noch Zweitligist, für die er in 45 Partien sechsmal traf. Schließlich, zum Ausklang seiner Karriere als Aktiver, kehrte der heute 44-Jährige zu den Wurzeln zurück. Von 2010 bis 2012 kickte er erneut für den SV Bonlanden in der Verbands- und Oberliga. Seitdem ist der dreifache Familienvater als Jugendtrainer bei RB Leipzig tätig, als einer der ersten von mehreren ehemaligen VfBlern, die die jüngste Entwicklung beim aktuellen deutschen Vizemeister geprägt haben.

David Montero: Viel hätte nicht gefehlt, und David Montero wäre beim Tischtennis gelandet. Mit dem Schickhardt-Gymnasium holte er beim Bundesfinale von „Jugend trainiert für Olympia“ in Berlin den dritten Platz. Er blieb aber doch beim Fußball. Nach den Anfängen beim SV Heslach spielte er elf Jahre für die Allianz. Danach ging es steil aufwärts. Seine beste Kickerzeit erlebte er bei Waldhof Mannheim und Eintracht Frankfurt. Insgesamt bestritt Montero 182 Zweitliga-Spiele und eines in der ersten Bundesliga – mit der Eintracht gegen den FC Bayern. Weil er im Frankfurter Nachtleben aber nach Ansicht der Vereinsverantwortlichen zu sehr über die Stränge schlug, endete die Bundesliga-Karriere bald. Der Vorwurf: unprofessionelles Verhalten. Seit 2014 ist Montero zurück bei der Allianz und kickt, inzwischen 43, mit mehreren alten Kameraden in der Kreisliga B.

Rainer Hurler: Der fußballerische Aktionsradius von Rainer Hurler war immer überschaubar. Er lag in Vaihingen zwischen Schwarzbach und Heßbrühlstraße. Beim SV Vaihingen lernte Hurler das Kicken und trainierte sein erstes Jugendteam. 1985 kam er mit Ende 20 zum Nachbarn Allianz – und blieb dort 17 Jahre lang. Erst begleitete er, was damals noch ungewöhnlich war, eine Mannschaft von der D-Jugend bis zu den Aktiven, dann wurde er Abteilungsleiter. „Es war eine schöne Zeit“, sagt Hurler. Für ein vierjähriges Intermezzo kehrte er später als Jugendtrainer noch mal zu seinem Heimatclub SV Vaihingen zurück, danach war Schluss. Heute macht Hurler lieber selbst Sport, bevorzugt auf dem Fahrrad. Im nächsten Jahr endet auch seine berufliche Karriere. Dann geht der Personalratsvorsitzende des Polizeipräsidiums Stuttgart in Pension.

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Aufrufe: 017.8.2017, 18:45 Uhr
Filder-Zeitung / Benjamin SchielerAutor