2024-04-24T07:17:49.752Z

Interview
Wie ist es um die Zukunft des Fußballs bestellt? Um diese Frage beantworten zu können, hat die DFL eine Taskforce ins Leben gerufen, derer auch Max Eberl angehört.
Wie ist es um die Zukunft des Fußballs bestellt? Um diese Frage beantworten zu können, hat die DFL eine Taskforce ins Leben gerufen, derer auch Max Eberl angehört. – Foto: Heiko van der Velden

»Sprechen wir von Solidarität, würde ich sie mir von allen wünschen«

Zweiter Teil des Exportschlager-Interviews mit Max Eberl: Der Gladbach-Manager ist bekannt dafür, über den Tellerrand hinaus zu blicken - und das macht er auch im FuPa-interview.

Max Eberl weiß, wie das Geschäft läuft. Nicht umsonst hat der "Niederbayerische Exportschlager" aus dem Abstiegskandidaten Borussia Mönchengladbach einen Champions League-Teilnehmer geformt. Der 47-Jährige ist aber auch bekannt dafür, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Und nach dem der gebürtige Bogener im ersten Teil des großen FuPa-Interviews auf seine Abstammung und Jugendzeit in Nieder- und Oberbayern geblickt hat, spricht der ehemalige Bundesliga-Profi nun über die jüngste Erfolgsgeschichte der Fohlen, die eng mit seinem Namen verbunden ist, und allgemein über das Geschäft "Fußball".

--> Hier geht's direkt zum ersten Teil des Interviews (einfach klicken)

Die jüngste Geschichte der "Fohlen" wurde bereits oft und ausführlich erzählt - und auch von Ihnen bereits im Verlauf des Gespräches angeschnitten. Was uns interessieren würde: Wie oft bleibt im stressigen Alltag Zeit, um auf diese Erfolgsgeschichte zurück zu blicken, sie vielleicht sogar zu genießen?
Ich glaube und hoffe, dass ich das oft machen kann. Ich behaupte schon von mir, dass ich bodenständig und geerdet geblieben bin - trotz der Entwicklung meiner Person und des Vereins. Ich bin also schon der geblieben, der ich immer war. Natürlich habe ich mehr Erfahrung und somit mehr Gelassenheit als in jüngeren Jahre. Wir wissen hier alle genau, woher wir kommen. Und deshalb genießen wir die aktuelle Situation sehr genau. Das, was wir hier gerade tun, ist alles andere als selbstverständlich - das muss man sich im Alltag immer wieder vor Augen führen. Vielleicht ein Beispiel dazu.

Gerne.
Vor zwei Jahren sind wir mit Liliam Thuram, einem der Weltfußballer schlechthin, im Rahmen der Verhandlungen mit seinem Sohn Marcus an einem Tisch gesessen. Als wir über Borussia Mönchengladbach gesprochen haben, hat er staunend festgestellt, dass wir ein europaweites Vorzeigeprojekt sind. Hört man solche Aussagen, wird einem überhaupt erst bewusst, was man geschaffen hat. Aber auch das wird uns nicht zu Höhenflügen verleiten. Wir wissen, dass wir weiter hart arbeiten müssen, um das zu erhalten, was wir geschaffen haben.

Wie wichtig ist allgemein im Fußball-Business, sich selbst zu reflektieren?
Das ist eines der wichtigsten Themen überhaupt. Wir - und damit meine ich alle, die im Profibereich aktiv sind - müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass wir sehr privilegiert sind. Wir dürfen einen großartigen Job ausüben - die Spieler, die Trainer, die Funktionäre. Das ist - bis auf wenige negativen Beispiele - auch allen bewusst. Ich denke da vor allem an goldene Steaks und extra eingeflogene Friseure. Aber das sind Ausnahmefälle. Die Aussage "Früher war alles besser" stimmt nicht. Jede Zeit hat ihre schönen und ihre schlechten Seiten. Und nun liegt es an uns, die Bodenständigkeit des Volksportes Fußball zu erhalten - und somit die derzeitige Phase zu einer guten zu machen.

Besonders im Fokus: Bodenständigkeit



Kann man bei Ablösesummen in dreistelligen Millionenbereich noch von Volkssport sprechen?
Die große Menge an Geld, die im Profifußball im Spiel ist, hat mit dem großen Interesse an diesem Sport zu tun. Wir klauen die Kohle keinem. Im Gegenteil. Die Menschen haben großes Interesse an Fußball, freuen sich mit uns, leiden mit uns - und sind bereit, Geld dafür auszugeben. Trotzdem sollten wir aufpassen, den Punkt nicht zu verpassen, an dem man bewusst einen Schritt zurückgeht, um das ganze Geschäft in einem verständlichen Rahmen zu halten. Und schon sind wir wieder bei der Bodenständigkeit.

Übrigens eine klischeehafte Eigenheit von niederbayerischen Menschen.
(schmunzelt) Ja, das habe ich auch schon gehört. Ich rede ungern über mich selber, aber wenn ich eines bin, dann bodenständig. Wusste ich es doch, ich bin ein richtiger Niederbayer (lacht).

Zu welchem Ergebnis kommen Sie bei ihrer eigenen Selbstreflexion?
Fußball ist mein Leben seitdem ich Denken und Laufen kann. In den Anfängen bin ich bei meinem Vater auf dem Schoß gesessen und wir haben uns die Sportschau angeschaut. Ich bin ein Kind des Fußballs. Genau von dem, was der Fußball in seiner ursprünglichen Intension bedeutet. Freude, Spaß, Respekt, Vertrauen zu den Mitspielern, Durchsetzungsvermögen, ein gewisser Jähzorn, Ehrgeiz - und trotzdem nicht die Bodenhaftung verlieren. Genauso würde ich auch mich selber beschreiben. Ich bin ein Mensch, der viel nachdenkt, sich viele Gedanken macht, eher introvertiert. Das verwundert jetzt ein bisschen. Aber ich bin nicht extrovertiert, obwohl ich als Manager viel reden muss. Doch das gehört zu meinem Job. Ich muss es ja schaffen, die Leute mitzunehmen, meinen Weg zu erklären.



Obwohl das Geld eine immer größere Rolle spielt im Profibereich, sind sie also Fan geblieben.
Mir geht es um das Spiel, um den Fußball, um das, was wir gut oder schlecht gemacht haben. Die Zahlen werden mir genannt, verbunden mit der Info, was ich tun kann und was ich lieber bleiben lassen soll. Gott sei Dank habe ich mit meinem Geschäftsführer-Kollegen Stephan Schippers hier einen kompetenten Mann an meiner Seite. Und das ist auch gut so. Ich will mich um das Spiel kümmern, und nicht um den Zirkus drumherum.

In den Medien werden Sie als Heilbringer gefeiert, als einer der besten Fußballmanager überhaupt. Wie viel Wert legen Sie auf derartige Schlagzeilen? Wie gehen Sie mit derartiger Beweihräucherung um?
Natürlich freut einem eine positive Wahrnehmung. Das liegt in der Natur des Menschen. Da ich aber mit dem Fußball groß geworden bin, weiß ich das Ganze einzuordnen. Ich versuche, bei mir zu bleiben - egal ob es gute oder schlechte Schlagzeilen gibt. Ich möchte jeden Morgen in den Spiegel blicken und sagen können, ich bin mit mir im Reinen. Wichtig ist, zu sagen, was man meint und nicht, was einem diktiert wird. Und dann lasse ich mir auch mal gerne - Salopp gesagt - auf die Schnauze hauen, wenn ich eine Fehlentscheidung getroffen habe, weil ich weiß, dass es meine Entscheidung war. Bodenständigkeit, wie gesagt.

Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Die vorher angesprochene Entwicklung im Allgemeinen, die Hektik des diesjährigen von Corona geprägten Transfer-Sommers, der alle betroffen hat - nur nicht Gladbach. Lange Rede, kurzer Sinn: Was machen Sie anders bzw. besser als die anderen Bundesliga-Manager?
Ob ich etwas besser mache, weiß ich nicht - das dürfen andere beurteilen. Fest steht aber: Ich habe den großen Vorteil, bereits zwölf Jahre hier im Amt zu sein. Seit einigen Jahren kann ich auf dem aufbauen, was wir uns selber ermöglicht haben. Wir haben gute Entscheidungen getroffen in den vergangenen Jahren - in allen Bereichen. Und das ist jetzt unser großer Vorteil. Wir können agieren, müssen nicht reagieren - selbst in Corona-Zeiten. Was die Transfers betrifft (überlegt) Hm, wir haben ja nur zwei Spieler dazu genommen, und die auch noch als Leihe (schmunzelt). Wir machen nichts besser oder anders, wir machen nur alles nachhaltig und über einen längeren Zeitraum.

Über fußballspezifische und gesamtgesellschaftliche Probleme



Ein guter Manager lässt sich also mit den Worten Vernunft, Erfahrung, Kontinuität und Charakter beschreiben.
Eine sehr treffende Beschreibung, ja.

Ist der Fußball generell so schnelllebig, dass er sich immer wieder selber überholt?
Ja. Aber das ist kein fußballspezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der Fußball ist nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, das darf man nicht vergessen. In einer Mannschaft habe ich verschiedenste Charaktere, Religionen, Hautfarben - genauso wie in der Gesellschaft. Und die Entwicklung geht einfach dahin, dass die Reaktionen in beide Richtungen immer extremer werden. Eine Dynamik, die heute leider normal ist.

Aktuelle Beispiele für diese Dynamik sind die frühen Trainerentlassungen auf Schalke, in Mainz und Würzburg.
Genau. Wenn du als Klub ständig handelnde Personen abgibst, wirst du nie aus diesem Strudel kommen. Und in der Folge wird es schwieriger, den Vereinen Paroli zu bieten, die in diesem Bereich besser arbeiten als andere.

Die Entschleunigung durch die Corona-Zwangspause hat sich also bereits wieder erledigt?
Leider ja. Während des Lockdowns haben viele Menschen Solidarität proklamiert, die zum damaligen Zeitpunkt auch da war. Leider habe ich aber auch feststellen müssen, das nach einiger Zeit die Ellbogen-Gesellschaft wieder enorm zugenommen hat - und sogar stärker ist als zuvor. Jeder schaut nun verstärkt auf sich - und das macht das Zusammenleben um einiges komplizierter.

Geboren in Bogen, gereift in München, gefeiert in Gladbach: Max Eberl
Geboren in Bogen, gereift in München, gefeiert in Gladbach: Max Eberl – Foto: Heiko van der Velden


Der Fußball im Speziellen ist hier wiederum ein Spiegelbild der allgemeinen Entwicklung?
Absolut. Alle haben dem Fußball mehr Bodenständigkeit, mehr Demut gewünscht. Fünf Monate später fordert man nach einem verlorenen Spiel, nach einer scheinbar schlechten Entwicklung Trainerköpfe. Wenn wir von Solidarität sprechen, würde ich mir sie von allen wünschen.

Letztlich hat der Fußball insgesamt eine große Chance verpasst, nachhaltig für Menschlichkeit zu stehen, oder?
Nein, gerade so ist es nicht, wie ich finde. Der Fußball ist mit sehr viel Geld und Zirkus verbunden. Doch der Fußball hat in der Krise auch geliefert - und knapp 60 Millionen Euro gespendet. Ich rechne alle Gehaltsverzichte und alle Spendenaktionen mit ein. Beispiel: Wir reden immer nur von Goretzka und Kimmich in diesem Zusammenhang. Aber auch Florian Neuhaus hat 250.000 Euro an seinen Heimatverein in Bayern gespendet. Solche Dinge gehen unter, obwohl die Summe beträchtlich ist. Diese Tatsache macht deutlich: Der Fußball ist sich seiner Rolle bewusst, nur die Gesellschaft bekommt nie genug.

Reden sie nur weiter.
Wir haben mit Gladbach einen Stotterstart hingelegt, wie viele Außenstehende glauben. Sofort kommt Kritik auf. Doch diese kommt nicht von uns, sondern wird hineininterpretiert.

Die Taskforce beschäftigt sich mit der neuen Normalität



Und zeitnah wird Trainer Marco Rose entlassen.
(lacht) Ich hoffe, ich kann unsere Fans überzeugen, dass er noch der richtige Mann ist. (lacht)

Mit all diesen Fragen beschäftigt sich auch die Zukunfts-Taskforce des DFL, deren Mitglied sie sind. Haben Sie Angst um die Zukunft des Fußballs?
Nein. Ich habe keine Angst. Es geht nur darum: In jeder Krise steckt auch eine Chance. Jeder hat nun die Gelegenheit, sich wieder etwas neu zurecht zu rücken. Genau das wollen wir nutzen. Deshalb stellen wir uns selber Fragen, die die Zukunft betreffen - und versuchen darauf Antworten zu finden. Manche Dinge muss man sich auch einfach nur wieder bewusster machen, wie schon im Laufe dieses Interviews besprochen. Prägende Begriffe in diesem Zusammenhang: Neue Normalität, neue Zukunft.

Was wünschen Sie abschließend dem Fußball – und natürlich auch sich selbst für die Zukunft?
Es hört sich plakativ, plump und aufgesetzt an, aber: Ich wünsche mir und allen rund um mich herum in erster Linie Gesundheit, Zufriedenheit und an der ein oder anderen Stelle mehr Gelassenheit. Für den Fußball wünsche ich mir, dass dieses Spiel so spannend und interessant bleibt, wie es immer gewesen ist und dass wir es wieder schaffen, in der Gesellschaft wieder mehr Verständnis zu bekommen als Kopfschütteln.

Schönes Schlusswort. Alles Gute für die Zukunft. Wir wünschen eben genau Gesundheit.

--> Hier geht's direkt zum ersten Teil des Interviews (einfach klicken)

Aufrufe: 012.10.2020, 07:00 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor