2024-04-24T07:17:49.752Z

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Mohamad konnte sich in München nur noch für die zweite Mannschaft des TSV 1860 empfehlen, nun geht er in Jordaniens erster Liga auf Torejagd. Leifer/Instagram
Mohamad konnte sich in München nur noch für die zweite Mannschaft des TSV 1860 empfehlen, nun geht er in Jordaniens erster Liga auf Torejagd. Leifer/Instagram

„Werde 60 nie vergessen“ - Awatas langer Weg zum Glück

Der steinige Weg des Syrers mit Happy-End 

Mo Awata hat einen neuen Verein gefunden. Der Weg des syrischen Flüchtlings in den Profi-Fußball war steinig. Aufgegeben hat der Ex-Löwe nie und jetzt verwirklicht er seinen Traum.

„Auf geht’s!“, „Komm!“, „Yallah!“. Die Kommandos sind prägnant und knapp. In voller Trainingsmontur laufen Mohamad Awata und Kutaiba Shahadeh Ende Juli noch an den aufgebauten Trainings-Hütchen entlang. Mal wird gesprintet, mal seitlich gelaufen. Jede Bewegung erfolgt in höchster Konzentration und in vollem Tempo. In mitten eines kleinen Parks in Trudering hat Mohamad neonfarbene Markierungen aufgebaut. Für den Athleten, der durch seinen engsten Freund und Trainingspartner Kutaiba unterstützt wird, ist es momentan der einzige Weg, fit zu bleiben. Die Freunde joggen um den Park, spielen sich lange und kurze Bälle zu und albern hin und wieder rum, wie es junge Männer Mitte zwanzig so tun. Doch für den Mohamad ist es vorerst das letzte Training in München. Der vertragslose Fußballer fliegt kurz darauf nach Jordanien, um sich bei verschiedenen Klubs in Probetrainings für einen Profi-Vertrag zu empfehlen.

„Das verstehe ich nicht“ - Erster abgelehnter Asylantrag

Fußballspielen, hart trainieren. Das war lange Zeit Mohamads Lebensmittelpunkt in seiner syrischen Heimat. Bis der Bürgerkrieg den Träumen des zurückhaltenden Mannes einen Strich durch die Rechnung machte. Der heute 25-Jährige spielte bei Al-Wahda Damaskus, einem der besten Fußballklubs in Syrien, machte als Teenager seine ersten Spiele in der Profi-Liga und spielte regelmäßig für U21- und U23-Auswahlmannschaft seines Landes. Doch drei Jahre in Mitten eines erbarmungslosen Konflikts bremsten ihn auf seinem Karriereweg aus. Einzig sein Wille und der Traum vom Profisport hielten ihn am Leben.

Mohamad flüchtete vor zwei Jahren über die Balkanroute von Syrien nach Deutschland. Anfangs lebt er in Stuttgart, wo er in einem Flüchtlingsheim unterkam. Er stellt 2016 einen Asylantrag, doch dieser wird zunächst abgelehnt. „Andere Flüchtlinge, die nicht in Syrien gelebt und den Krieg erlebt haben, kommen nach Deutschland und bekommen für drei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis. Ich habe vor Bomben fliehen müssen und bekomme erst nur ein Jahr ‚Schutz‘. Das verstehe ich nicht.“ Zudem hat er mit widrigen Verhältnissen zu kämpfen. „In Stuttgart haben wir im Heim zu sechzehnt in einem Zimmer gewohnt. Ich musste mit Schlafmaske und Ohropax schlafen, weil das Licht immer an war. Die Leute dort haben sich um drei oder vier Uhr erst hingelegt, aber ich bin um fünf Uhr aufgestanden und habe trainiert.“ Eine Familie in Stuttgart unterstützt Mohamad, der sich zu dem Zeitpunkt nur in brüchigem Englisch mitteilen kann. „Familie Ross hat mich behandelt wie ein Sohn. Sie haben nur wenige Meter vom Heim entfernt gewohnt, ich habe die Kinder der Familie beim Fußballspielen kennengelernt. Wir telefonieren immer noch alle zwei Wochen miteinander.“

Nach sieben harten Monaten in der Stuttgarter Flüchtlingsunterkunft kommt er auf den Rat eines Bekannten nach München. Wie es der Zufall will, ist der ein Jahr jüngere Kutaiba mit Mohamads Kontaktperson verwandt. Kutaiba lebt bereits seit vier Jahren in Deutschland, spricht flüssiges Deutsch und macht eine Ausbildung zum Fitness-Coach. Die beiden freunden sich sofort an und wohnen die ersten drei Monate zusammen. Für Mohamad beginnt ein neues Leben, denn er kommt über einen Bekannten in Kontakt zu einem gewissen Daniel Bierofka, der damals noch die zweite Mannschaft des TSV 1860 München in der viertklassigen Regionalliga trainiert.

„Drei Jahre lang habe ich jeden Tag trainiert, auch wenn es Bomben gab“

In Syrien war Mohamad Bestandteil einer erfolgreichen Fußballer-Generation. Erst in der Verlängerung des letzten WM-Playoffspiels scheiterte die syrische Nationalelf an Australien. In der Qualifikation stach besonders ein Spieler heraus – Omar Khrbin, Asiens Fußballer des Jahres 2017. „Zehn oder elf Jahre haben wir vor dem Krieg bei Al-Wahda und ich den Nationalmannschaften zusammengespielt“, erzählt Mohamad. Doch als der Konflikt ausbricht, trennen sich ihre Wege. Khrbin wechselt über die Vereinigte Arabische Emirate zum saudischen Rekordmeister Al-Hilal, während Mohamad der Hölle des Bürgerkriegs ausgesetzt war. Der Grund dafür ist ebenso simpel wie grausam: Omar Khrbin wohnt zu Beginn des Kriegs in einem Stadtbezirk von Damaskus, der in der Hand der Regierung ist. Mohamad hat weniger Glück. Sechs Jahre sind vergangen, seit er seinen ehemaligen Mitspieler das letzte Mal gesehen hat, denn aus seinem Viertel konnte Mohamad nicht mehr entkommen. Jobar, der größte Stützpunkt der Rebellen, verwandelte sich innerhalb kürzester Zeit von einem Wohnviertel in ein völlig zerstörtes Abbild seiner selbst. Wenn Mohamad über die Zeit vor dem Krieg redet, leuchten seine wachen Augen. „Bis ein oder zwei Uhr waren wir in der Schule, dann ging es weiter zum Training. Danach spielten wir meistens weiter, immer sechs gegen sechs. Es war locker, es gab keinen Stress und alles war ruhig.“

Doch mit dem Bürgerkrieg verändert sich die Lage in Mohamads Viertel, die Regierung kapselt Jobar vom Rest der Stadt ab. „Es gab kein Essen, kein Trinken - ein schlechtes Leben. Drei Jahre lang habe ich die Bomben erlebt. Auch in unser Haus schlug eine Bombe ein. Ich habe dabei meine Mutter und meinen Onkel verloren. Mein Vater und mein Bruder leben noch in Damaskus.“ Es sind die bittersten Momente in seinem jungem Leben. „Ich habe sogar noch dreizehn Metallsplitter in meinem Körper, weil ich bei der Explosion draußen war.“ Er unternimmt zwar alles, um auch in Jobar trainieren zu können, doch die Umstände sind unerträglich. „Drei Jahre lang habe ich jeden Tag trainiert, auch wenn es Bomben gab. Manchmal bin ich einfach gelaufen, während neben mir die Bomben explodiert sind.“ Also beschließt Mohamad, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Er zahlt rund zweitausend Euro, um einen vier Kilometer langen Tunnel, der ansonsten für die Zufuhr der raren Lebensmittel und Medizin gegraben wurde, zu durchqueren. Seine siebzehntägige Flucht über mehrere Balkanländer führt ihn dann über den Umweg Stuttgart bis in die Grünwalder Straße.

Ein Training bei Daniel Bierofka verändert alles

Mohamad erinnert sich gerne an sein erstes Probetraining in München. Der damals 23-Jährige durfte beim Reserve-Coach Daniel Bierofka vorspielen. „Ich muss mich bei ihm bedanken“, meint der stets demütige Kicker. „Er hat an meinem ersten Tag vor zwei Jahren gesagt, dass ich eine Woche mittrainieren darf. Er meinte: ‚Wenn du gut bist, spielst du bei uns.‘“ Der Coach hält sein Versprechen, Mohamad darf bleiben und trainiert schier endlos lang mit der U21, bis er nach mehreren Monaten seine Spielerlaubnis und ab Sommer 2017 sogar einen Vertrag in der Hand hält. Mit dem Arbeitspapier wird auch Mohamads Aufenthalt automatisch verlängert. „Das Problem zu Beginn war, dass ich keine Spielerlaubnis hatte“, erzählt er und kann schon fast darüber schmunzeln. Der Verein musste viele Personen in Syrien kontaktieren, um den internationalen Transfer zu realisieren. Mohamad macht seine ersten Regionalliga-Spiele, kommt beim Derby gegen die 2. Mannschaft des FC Bayern vor tausenden Zuschauern zu seinem ersten Startelf-Einsatz. „Bierofka kam einen Tag davor zu mir und hat gesagt: ‚Mohamad, du spielst morgen.‘ Und ich war so überrascht, weil es auch noch gegen Bayern war. Und er hat gesagt: ‚Egal was passiert, ich stehe hinter dir.‘ “

Mohamad kommt trotzt aller Anfangseuphorie in einer Zeit zum TSV, in der alles schief läuft. Der Zwangsabstieg des Zweitligisten bis in die Regionalliga zwingt das Reserve-Team in die Bayernliga. Der TSV holt Stars für die Regionalliga, die zwar den direkten Wiederaufstieg ermöglichen, doch Mohamads Chancen auf einen Stammplatz schmälern. „Ich wusste, dass Sechzig in die 3. Liga muss. Und wenn Du als Trainer die Wahl zwischen Profi Sascha Mölders und Mohamad Awata hast, wen lässt du dann wohl auf den Platz?“ Er spielt für den TSV 1860 II in der Bayernliga, trainiert allerdings mit der Aufstiegsmannschaft und kommt sogar zweimal im Meisterteam zum Einsatz. In insgesamt 26 Minuten macht Mohamad ein Tor und legt zwei weitere Treffer vor. Der Jubel bei seiner Torpremiere beim Auswärtsspiel in Bayreuth ist eine einzige Befreiung. Mohamad reißt sich sein Trikot vom Leib, präsentiert es stolz dem mitgereisten Münchner Anhang, kniet nieder und betet auf dem Rasen.

“Habe drei oder vier Angebote von arabischen Vereinen“

In seiner Heimat blieben seine Erfolge nicht unbemerkt, sogar die Nationalmannschaft nimmt Kontakt auf. „In sechs Monaten ist Asien-Cup und ich hoffe, dass ich bis dahin nominiert werde.“ Die Chancen stehen nicht schlecht. Neuer Cheftrainer der Syrer ist der Deutsche Bernd Stange, ehemaliger Trainer von Hertha BSC Berlin und Fußball-Entwicklungshelfer in der dritten Welt. Mohamad könnte mit seinen fortgeschrittenen Deutschkenntnissen als Mediator im Team fungieren, wie er selbst meint. Auch auf Klubebene ist Awata wieder ein interessanter Name. „Nach zwei Jahren hier in Deutschland habe ich momentan drei oder vier Angebote von arabischen Vereinen. Auch aus Ägypten und Saudi-Arabien“, sagt er voller Hoffnung im Juni. Ein Wechsel in den Irak zerschlug sich letzten Winter aufgrund von Visaproblemen. Mohamad konnte mit seiner Duldung nicht reisen und verpasste die Gelegenheit auf einen Vertrag.

Mohamad hat keinen Spielerberater. Spezl Kutaiba hilft ihm beim Aussortieren der Anfragen. „Hier in Deutschland brauchst du einen Agenten. Das ist so wichtig, die Qualität macht 50 Prozent aus, der Berater die anderen 50 Prozent. Wenn du einen guten hast, kannst du höher spielen. In Arabien ist es das Gleiche.“ Doch auch ohne Hilfe ist ein Engagement im arabischen Raum ein Thema. „Das wichtigste bei einem Wechsel in den Mittleren Osten ist, dass ich eine gute Saison spiele. Dann habe ich Möglichkeiten. Wie meine Freunde, die dorthin gewechselt sind.“

Medial sowie sportlich hat sich Mohamad in den Fokus gespielt. Er trainiert in Trudering täglich für seine Chance. Deutschland ist mittlerweile seine Heimat, sagt er. „Ich mag die Leute hier in München. Sie haben immer Respekt. Und es ist hier so grün, ich kann überall trainieren“, schwärmt der 25-Jährige. Er hat in München nicht nur Frieden und die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft gefunden, sondern auch Freunde fürs Leben. „Vor allem Christian Köppel!“, lächelt er. „Er ist mein Bruder. Seit dem ersten Training haben wir uns verstanden. Ich muss mich bei ihm bedanken, er ist ein super Mensch.“ Die beiden kochen oft arabisches Essen, wie Kutaiba erzählt und bereichern das Leben des Anderen ein Stück mit Einblicken in eine fremde Kultur.

Kutaiba (li.) trainiert mit seinem Freund Mohamad (re.) im Park. Nun bekommt Mo seine Chance in Jordanien. Foto: Antonio Riether
Kutaiba (li.) trainiert mit seinem Freund Mohamad (re.) im Park. Nun bekommt Mo seine Chance in Jordanien. Foto: Antonio Riether

Ende der Ungewissheit: Zwei gute Nachrichten

Am liebsten wäre Mohamad in Deutschland gebleiben. Er hat im Profi-Geschäft Freunde gefunden, was im beinharten Alltag eine Seltenheit ist. „Ich hatte aus der Regionalliga ein paar Anfragen, Pipinsried und Garching waren auch dabei. Die zweite Mannschaft von Sechzig wollte mich auch behalten, aber bin ich 25 Jahre alt. Ich muss ein bisschen höher spielen. Wenn ich bei 1860 weiterspiele und nächstes Jahr 26 bin, wird es immer schwerer, Profi zu werden.“

Vor wenigen Tagen die Erlösung. In Deutschland hat es leider nicht geklappt, aber Mohamad hat eine neue Perspektive. Ohne Berater, aber auch ohne dubiose Mittelsmänner konnte er sich in Jordanien empfehlen und erhält einen Vertrag. Ein Jahr lang darf er sich nun bei Al-Jazeera Club Ammam beweisen, lädt euphorisch Fotos seiner Vertragsunterschrift in allen erdenklichen Social Media-Kanälen hoch und bedankt sich, wie sollte es anders sein, bei den unzähligen 1860-Fans, die ihn die vergangenen Monate unterstützt haben. „Die zwei Jahren bei 60 werde ich nie vergessen, ihr steht bei mir ganz hoch im Herz“, schreibt er.

Es ist eine wahre Befreiung für den Sportler, der neben dem neuen Arbeitgeber noch eine freudige Nachricht entgegennehmen durfte: Vergangenen Monat bekam der 25-Jährige die Aufenthaltsgenehmigung für zwei weitere Jahre in Deutschland und hat nach langer Zeit wieder die Wahl, sein Leben selbst bestimmen zu dürfen.

Zu dieser Gelegenheit möchte ich mich bei allen Fans bedanken, die in mir stets das gesehen haben, was ich heute bin, die zwei Jahren bei 60 werd ich nie vergessen, ihr steht bei mir ganz hoch im Herz. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe! Ohne euch wäre ich nicht weitergekommen. Ich hab einen Jahr Vertrag bei Al Jazeera FC in Jordanien unterschrieben, die Reise geht weiter... بفضل من الله تعالى تم اليوم توقيع عقد لمدة موسم مع نادي الجزيرة الأردني بقيادة الكابتن نزار محروس ... بحب اشكر كل حدا وقف معي ودعمني لحتى كفي مشواري ... هذا من فضل ربي .. ❤ والله ولي التوفيق .. ❤ #hard #work #paysoff #syria #firstneverrest #damascus #elil #immerweiter #nevergiveup

Ein Beitrag geteilt von Mohamad Awata (@mohamad_awata) am Aug 13, 2018 um 1:51 PDT

Aufrufe: 014.8.2018, 12:15 Uhr
Antonio Riether / Fussball-VorortAutor