2024-04-24T13:20:38.835Z

Interview
Vertrag verlängert, Saisonstart geglückt - da kann man schon mal applaudieren: Michael Köllner.
Vertrag verlängert, Saisonstart geglückt - da kann man schon mal applaudieren: Michael Köllner. – Foto: Imago Images

Herr Köllner, sind sie neidisch auf Türkgücüs Alexander Schmidt?

Großes Interview mit dem Löwen-Coach, der seinen Vertrag an der Grünwalder Straße jüngst verlängert hat - Teil 1

Es herrschte mal wieder Untergangsstimmung. Als Löwen-Ikone Daniel Bierofka im November 2019 - von internen Querelen aufgerieben - entnervt die Brocken hinschmiss an der Grünwalder Straße, war der Aufschrei bei den Fans groß. Elf Monate später hat sich die Stimmung komplett gedreht, nichts mehr zu spüren vom Löwen-Blues. Der Hauptverantwortliche für die Transformation: Michael Köllner. Der Oberpfälzer hat es mit seiner bodenständigen Art geschafft, Mannschaft und Fans hinter sich zu vereinen.

Auf Initiative von FuPa-Reporter Dieter Rebel hatten wir die Möglichkeit, uns mit dem 50-Jährigen kurz nach seiner Vertragsverlängerung zu einem ausführlichen Interview im berühmten Löwen-Stüberl zu treffen. Im ersten Teil erzählt Michael Köllner, was den Ausschlag für sein weiteres Engagement bei den "Blauen" gegeben hat, was die große Schwierigkeit in dieser Saison ist und was er vom neuen Rivalen Türkgücü München hält.

FuPa: Glückwunsch Herr Köllner zur Vertragsverlängerung beim TSV 1860. Mussten Sie lange überlegen, um das neue Arbeitspapier zu unterschreiben?
Michael Köllner (50): Gute Frage. (denkt kurz nach) Nein, eigentlich nicht. Im vergangenen November, als ich zu Sechzig kam, hatte ich mich dazu entschieden, zu dem Zeitpunkt kein längerfristiges Angebot anzunehmen. Ich wollte mir zunächst einen Überblick über den Verein verschaffen, immer mit der Frage im Hinterkopf: Ist das das Richtige für mich?

Diese Frage konnten Sie offensichtlich mit ja beantworten.
Das Thema kam dann natürlich spätestens im Sommer auf die Agenda. Ich war mit Günther Gorenzel im ständigen Austausch bezüglich der Kaderplanung und wurde zu dem Thema auch in der ein oder anderen Besprechung mit den Gesellschaftern und dem Präsidium hinzugezogen. Mir macht es riesigen Spaß, mit der Mannschaft und in diesem Verein zu arbeiten. Und ich denke, wir haben auch im Verein viele Dinge auf den richtigen Weg gebracht. Ums kurz zu machen: Ich musste nicht lange überlegen, den Vertrag zu verlängern. Ich bin unabhängig von all den bisher erzielten Ergebnissen dankbar, dass ich diesen Weg bei diesem Verein gehen darf.

Talententwickler? Darauf will sich Köllner nicht reduzieren lassen.

Sie kommen aus dem Nachwuchsbereich, waren jahrelang in der DFB-Talentförderung aktiv und haben in Nürnberg das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) geleitet. Hat die Aussicht, eine junge Mannschaft weiterzuentwickeln, den Ausschlag gegeben?
Ja, auch. Aber ich habe jetzt nicht den Eindruck, dass unsere beiden ältesten Spieler, Sascha Mölders und Stefan Lex, unter mir schlechter geworden sind. (lacht) Mir geht`s darum, nicht darauf reduziert zu werden, nur junge Spieler weiterentwickeln zu können. Wichtig ist mir: Wir haben derzeit 26 Mann im Kader - und ich bin der Trainer von allen. Da ist es mir egal, ob einer jung, alt, Links- oder Rechtsfuß ist. Das Entscheidende für mich ist, dass ich alle Spieler nach vorne bringe und jeder seine bestmögliche Form zeigen kann. Und ich habe schon das Gefühl, dass wir als Mannschaft Woche für Woche stärker werden. Es wird essentiell sein, am Ende der Saison noch mit im Rennen zu sein.

Fast zeitgleich mit Ihrer Vertragsverlängerung tat sich Bemerkenswertes: Zwei Trainer in der Bundesliga und Würzburgs Übungsleiter Michael Schiele, der die Kickers vor wenigen Wochen noch in die 2. Liga geführt hat, sind bereits nach zwei Spieltagen entlassen worden. Ist der Fußball noch schnelllebiger geworden?
Zum Glück hat es bei Sechzig in den letzten Wochen und Monate keine so schlechten Nachrichten gegeben. (schmunzelt) Das muss man ein wenig differenziert sehen. Aus Trainersicht ist das natürlich nicht zu begrüßen, wenn man nach zwei Spieltagen freigestellt wird. Grundsätzlich muss man sich über ein Thema Gedanken machen: Wie komme ich auf die Idee, nach zwei Spielen den Trainer auszutauschen? Konnte man die Entwicklung nicht vor der Saison schon abschätzen? Andererseits stehen die Vereine in der derzeitigen coronabedingten Ausnahmesituation vor großen Fragezeichen. Keiner kann so richtig planen, der wirtschaftliche Druck steigt weiter - und auch dadurch ist der Druck auf die Vereinsverantwortlichen ungemein groß. Deshalb denke ich, wird noch eher versucht zu korrigieren.

»Die Erwartungshaltung, dass wir jetzt vorne wegmarschieren, ist völlig fehl am Platz.«


Mit dem Saisonstart kann der TSV 1860 zufrieden sein. Das wird schon viele wieder träumen lassen.
Ob es ein guter Start war, lässt sich erst nach etwa zehn Spieltagen sagen. Wir haben fünf externe Neuzugänge verpflichtet, davon drei Erfahrene: Neudecker, Salger und Pusic. Tallig bringt ein Jahr Erfahrung in der 3. Liga mit. Linsbichler soll die nächsten Jahre an den Profifußball herangeführt werden. Ansonsten geben wir Spielern aus dem NLZ die Chance, bei uns die nächsten Schritte zu machen. Die Erwartungshaltung, dass wir jetzt vorne wegmarschieren, ist völlig fehl am Platz. Denn eine Zahl muss am Ende auch zwingend beachtet werden: es verließen uns 18 Spieler.

Auch dieses Jahr scheint die 3. Liga wieder enorm ausgeglichen zu sein. Auf Dynamo Dresden als großen Aufstiegsfavoriten konnten sich die Experten einigen. Ansonsten gleicht die Liga einer Wundertüte.
Corona, 20 Mannschaften in der Liga, komprimierter Wettbewerb ohne Winterpause. Das Ding müssen wir in seiner Schwierigkeit annehmen! Auch die 2. Liga ist ausgeglichen, da kann auch jeder jeden schlagen. Jede Liga ist kompliziert. Wir haben erst Ende September mit der Saison losgelegt, das Zeitfenster ist also extrem eng. Immer im Hinterkopf: Wenn die Infektionszahlen steigen, kann es wieder zum Lockdown kommen. Wir haben jetzt neun Wochen in Folge brutal trainiert, denn: Wir müssen durch den Winter kommen. Wir haben keine Korrekturmöglichkeit im Januar. Wir werden lediglich rund um Weihnachten ein paar Tage frei haben, um im Rhythmus zu bleiben (1. Ligapartie 2021 ist am 9. Januar, Anm.d.Red.). Das ist die große Herausforderung in Corona-Zeiten: Dich mit einem Thema zu beschäftigen, das du so noch nicht erlebt hast.

Kommunikativ: Michael Köllner (mi.) im Austausch mit seinen Co-Trainern Günter Brandl (li.) und Franz Hübl.
Kommunikativ: Michael Köllner (mi.) im Austausch mit seinen Co-Trainern Günter Brandl (li.) und Franz Hübl. – Foto: Timo Scharer

Der emotionale Faktor "Fans" fehlt.

Wagen wir trotzdem eine kleine Prognose: Was dürfen die Sechzger-Fans diese Saison erwarten?
Das ist relativ einfach: Unsere Fans dürfen eine Mannschaft erwarten, die zu Recht das Löwentrikot trägt. Und die Fans erwarten doch auch gar nicht, dass wir jedes Spiel 5:0 gewinnen. Sie wollen ehrlichen Fußball sehen und eine Mannschaft, mit der sie sich zu 100 Prozent identifizieren können. Dafür werde ich sorgen. Und wenn ich mir zu Gemüte führe, dass mittlerweile über 10.200 Dauerkarten abgesetzt worden sind, dann beweist das, was unsere Fans für ein gutes Gespür haben. Das hat mich tief beeindruckt, das ist phänomenal.


Gutes Stichwort: Wie ist das im Moment für den Trainer Michael Köllner, wenn keine Fans im Grünwalder Stadion sind? Macht es das Coaching leichter, wenn man nicht die permanente Geräuschkulisse im Hintergrund hat?
Könnte man meinen. Aber ein Spieler hört in Stresssituationen sowieso nicht immer alles, da ist es egal, ob es laut oder leise ist. Coaching im Spiel hat in der Regel eher motivierenden Charakter. Das Problem im Moment: Die größte Motivation geht von unseren Fans aus. Momentan muss ich die Fans ein wenig ersetzen und mehr reinbrüllen, damit manche in die Spur kommen bzw. dort bleiben. (lacht) Unsere Fans sind für uns ein hoher emotionaler Faktor, der uns im Moment verloren geht. Spieler wie Sascha Mölders leben von solch einer hohen Emotionalität.

»Ich bin bei Sechzig wunschlos glücklich.«


Den Löwen erwächst in der Stadt ein Rivale, der vor drei, vier Jahren noch so gut wie keine Rolle gespielt hat. Türkgücü hat 20 (!) Neuzugänge für die 3. Liga verpflichtet. Sind Sie neidisch auf ihren Kollegen Alexander Schmidt?
Neid ist der falsche Ausdruck. Ich bin kein Mensch, der jemand anderem etwas neidet. Wenn jemand 20 Neuzugänge zur Verfügung gestellt bekommt, dann gönne ich ihm das. Ich möchte nichts haben, was Türkgücü hat. Ich bin bei Sechzig wunschlos glücklich.

Nehmen Sie Türkgücü als Konkurrenten wahr?
Ich kann mich noch an die 1980er oder 90er Jahre erinnern, als Türkgücü in der damaligen Bayernliga eine gute Rolle gespielt hat. Deswegen würde ich nicht sagen, dass uns ein neuer Konkurrent erwachsen ist. Sie sind dann - auch aus finanziellen Gründen - vom Radar verschwunden. Jetzt kommen sie wieder. Ich kenne Alex Schmidt sehr gut und habe auch ein paar Spieler schon trainiert, die nun im Kader von Türkgücü stehen. Das war`s aber dann auch schon mit Berührungspunkten.

Das Interview führte Mathias Willmerdinger. Im zweiten Teil erzählt Michael Köllner, warum er die Formulierung "den nächsten Schritt machen" partout nicht ausstehen kann, warum er unter die Autoren gegangen ist und warum das Leben als Fußballprofi gar nicht so schön angenehm ist, wie immer alle denken.





Aufrufe: 06.10.2020, 15:55 Uhr
Mathias WillmerdingerAutor