2024-05-02T16:12:49.858Z

FuPa Portrait

"Ohne den Fußball wäre ich verloren gewesen!"

Der Harsewinkeler Leichtathletiktrainer Joao Afonso Mfilu erzählt in einem Buch mit schonungsloser Ehrlichkeit die dramatische Geschichte eines Asylsuchenden in Deutschland. Der Sport spielt dabei eine große Rolle.

Zwei Menschen, vereint in einer Figur. In Erzählungen geht so etwas. Joao Afonso Mfilu hat die Geschichte erzählt. Seine Geschichte und die eines Freundes, miteinander zur Unkenntlichkeit verwoben, auf 189 Seiten. „Wenn ein Traum zum Albtraum wird“, hat der Harsewinkeler sein Buch betitelt. Es handelt von der „Odyssee durch das Leben eines Asylsuchenden in Deutschland“. Der 42-Jährige konnte dieses Buch schreiben, weil die „dramatische und wahre Geschichte“ für ihn ein glückliches Ende nahm. Für seinen Freund, den er bei der Arbeit im Schlachtbetrieb Tönnies kennenlernte, leider nicht. Antonio Costa, so der erfundene Name, wurde in sein Heimatland Angola abgeschoben, verkraftete das nicht und verstarb nach eineinhalb Jahren.
„Ich weiß, wie zahlreiche Menschen in Deutschland über Asylsuchende denken und habe versucht, die andere Seite darzustellen.“ Joao Afonso Mfilu, den sie in Harsewinkel kurz „John“ rufen, war es ein Anliegen, die persönliche Härte zu schildern, die ein langwieriges Asylverfahren für die Betroffenen mit sich bringt: „Das Leben als Asylsuchender, es ist nicht rosig, es gibt viele Hindernisse und riesige Probleme.“ Die beschreibt er in seinem Buch ohne literarische Eleganz. Er wählt einen schlichten Erzählstil. Das vermittelt Authentizität und Spannung.

Das schwierige Zusammenleben im Asylantenheim am Rande von Harsewinkel, die persönliche Verzweiflung und die Zukunftsangst, das Abdriften in Alkohol, Depression und Suizidgedanken, die Probleme mit Behörden und Anwälten, die schmerzhafte Trennung von der Familie, die Geldsorgen – einiges davon hat Mfilu selbst durchgemacht, vieles hat er hautnah bei anderen miterlebt.

Noch zu den kleineren Problemen gehörte, dass er die tägliche Fahrt zur Arbeit von Harsewinkel nach Rheda (hin und zurück zirka 60 Kilometer) mit dem Fahrrad erledigte, bei Wind und Wetter, bei Tag und Nacht. Schlimmer war die zeitweise Verwahrlosung bei seinem Freund Antonio, der sogar in die Psychiatrie eingeliefert werden musste. Der Traum von einem wohlhabenden Leben in Deutschland, daheim mit blinder Euphorie begonnen, wurde für ihn (wie für viele andere) zu einem Albtraum.

»Nicht alle lügen, aber bei einem Großteil ist das so«


John Mfilu drückt in seinem Buch aber nicht auf die Tränendrüse, und schon gar nicht bezeichnet er sich und seine Figur Antonio Costa als Opfer des deutschen Asylsystems. Er legt sogar eine schonungslose Ehrlichkeit an den Tag, was die Asylbeantragung angeht.

So lässt er die Ich-Figur Antonio Costa dezidiert schildern, wie er eine neue Identität mit falschem Namen und Alter schafft und auch eine Geschichte erfindet, wie und warum er aus Angola nach Deutschland geflohen ist. „Nicht alle lügen, aber bei einem Großteil ist das so“, glaubt Mfilu. Er weiß: „Man muss den Behörden eine Geschichte erzählen, die so passt, dass die Voraussetzungen für Asyl gegeben sind.“ Und er beschreibt in dem Buch, basierend auf der politisch noch nicht so brisanten Situation zur Zeit seines Asylverfahrens, dass die Behörden keine allzu großen Anstrengungen unternahmen, die falschen Identitäten zu enttarnen. Dennoch scheitert ein Großteil der Asylanträge.

Breiten Raum widmet der Harsewinkeler auch der Suche nach einer deutschen Frau. Keinen Hehl macht Antonio Costa daraus, dass neben der Sehnsucht nach echter Liebe auch taktische Überlegungen, über Heirat und Kinder ein Bleiberecht zu erwirken, eine Rolle spielen. „Ich nehme an, dass ich mir mit dieser Ehrlichkeit nicht nur Freunde mache“, sagt Mfilu: „Aber ich bin kein Verräter.“

»Sie haben mich als Mensch betrachtet«


Joao Afonso Mfilu hat ein reines Gewissen, was seine persönliche Biographie angeht. 1978 in der angolanischen Exklave Cabinda geboren, flüchtete seine Familie zunächst nach Südafrika und wechselte von dort in die Demokratische Republik Kongo. Dort ging Mfilu zur Schule und begann nach dem Abitur in Kinshasa ein Studium der Politikwissenschaften.

Nach zwei Jahren musste er das Studium abbrechen, weil die Familie es nicht mehr finanzieren konnte und zog in die angolanische Hauptstadt Luanda um. „Hier herrschte zwar immer noch Krieg, aber man konnte in wirtschaftlicher Hinsicht dort besser leben als im Kongo.“ 2003 ergab sich die Chance, das Studium in Deutschland fortzuführen, doch letztlich scheiterte das Vorhaben an formellen Problemen: „Es fehlten einige Dokumente aus der Heimat.“ Mfilu stellte einen Asylantrag.

Nach Ablehnung, Klage, Ablehnung und Einspruch wurde dem Antrag 2008 stattgegeben. Mfilu ist seit 2015 verheiratet und lebt mit seiner Frau zwei Töchtern in Harsewinkel. Er arbeitet inzwischen in einem Metallbauunternehmen in Borgholzhausen und studiert im 5. Semester Politikwissenschaften an der Fernuniversität Hagen. Die Eltern und vier Geschwister leben weiterhin in Angola.

„Afrikaner gegen Araber“


Das vor der Veröffentlichung einer Juristin vorgelegte und anschließend „entschärfte“ Buch widmet er seinem verstorbenen Freund. Die glückliche Wendung seiner eigenen Geschichte verdankt John Mfilu neben seiner persönlichen Stärke manchen hilfreichen Menschen und auch dem Sport. „Ohne den Fußball und die TSG Harsewinkel wäre ich verloren gewesen“, sagt er rückblickend. Nachdem schon im Asylantenheim das Fußballspielen („Afrikaner gegen Araber“) für etwas Ablenkung gesorgt hatte, besuchte Mfilu regelmäßig das Training bei der TSG und spielte seit 2004 für die TSG in der Kreisliga. Weil aufgefallen war, wie gut er Jugendliche beim Fußballspielen anleitete, sprachen ihn 2006 die Verantwortlichen des Harsewinkeler Jugendzentrums an, überzeugten ihn, eine Übungsleiterausbildung zu absolvieren und übertrugen ihm die Leitung eines Fußballangebots.

„Sie haben in mir nicht den Asylbewerber gesehen, sondern mich als Mensch betrachtet und mir eine Chance gegeben“, sagt Mfilu dankbar. Nachdem er zwei Jahre als Jugendtrainer tätig war, bat die TSG ihn im Jahr 2008 sogar, die brach liegende Leichtathletikabteilung neu zu beleben. Das gelang Joao Afonso Mfilu mit beachtlichen Erfolgen. In seinem Buch kommt das aber ebenso wenig vor wie seine Aktivität als Ringer beim KSV Gütersloh. Beides sind bereits Kapitel einer neuen persönlichen Geschichte, die nicht mehr vom Albtraum handelt.
Aufrufe: 019.11.2020, 15:00 Uhr
Wolfgang TemmeAutor