2024-04-25T14:35:39.956Z

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Wenn‘s mal nicht laufen wollte, betätigte sich René Kerschbaum auch als Ankurbler. Hier anno 2014, als die Bezirksliga mit acht Spielen in einem Monat eröffnete und die TSG beim 1:1 gegen Winkelhaid zu kämpfen hatte. F: Giurdanella
Wenn‘s mal nicht laufen wollte, betätigte sich René Kerschbaum auch als Ankurbler. Hier anno 2014, als die Bezirksliga mit acht Spielen in einem Monat eröffnete und die TSG beim 1:1 gegen Winkelhaid zu kämpfen hatte. F: Giurdanella

René Kerschbaum: Der Kapitän geht in Roth von Bord

Nach 29 Jahren hängt René Kerschbaum seine Fußballschuhe an den Nagel

Er hat fast 800 Spiele für die Mannschaften des TSV und der TSG 08 Roth in den Beinen. Nun steht das letzte an: Am Samstag, vor dem Derby gegen Büchenbach, wird TSGKapitän René Kerschbaum verabschiedet. Zeit für ein Gespräch.

Herr Kerschbaum, Sie sind jetzt 33, 29 Jahre lang sind Sie am Wochenende auf dem Fußballplatz gestanden. Wie sehen künftig ihre Sams- und Sonntage aus?

René Kerschbaum: Ich werde das Leben genießen, langweilig wird mir sicher nicht. Ich will mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Außerdem habe ich das Laufen wiederentdeckt, will mit der Halbmarathon-Distanz anfangen. Aber der Fußball wird immer eine Rolle spielen, ein Mannschaftssportler kehrt immer zum Mannschaftssport zurück.

Die TSG hat mit einem Altersschnitt von 23,38 Jahren eine junge Mannschaft und gerade die Klassenerhalt geschafft. Sie könnte vielleicht Ihre Erfahrung brauchen - warum hören Sie jetzt auf?

René Kerschbaum: Ich hatte in meiner Karriere einige Verletzungen, am Knie, zuletzt, in der Vorrunde, am Sprunggelenk. Da war nicht klar, ob ich überhaupt nochmal Fußball spielen könnte. Ich wollte aber immer selbst den Zeitpunkt bestimmen und nicht auf die nächste große Verletzung warten. Oder mich, bis ich 38 oder 40 bin, über den Platz schleppen. In der Winterpause habe ich dem Verein Bescheid gegeben, dann waren es noch zehn Spiele, dann zwei, dann eins - das Ende ist jetzt schnell gekommen. Aber es ist der richtige Zeitpunkt, jetzt ziehe ich den Schnitt nicht mehr nach oben.

Sie haben als Vierjähriger im Tor des TSV begonnen. Wie kam das?

René Kerschbaum: Mein Vater spielte Fußball, ich hatte schon als Kind immer einen Ball dabei, in der Familie ist sogar einer auf der Skipiste überliefert. Der TSV hatte damals die Bambini und aus irgendeinem Grund landete ich im Tor. Wir haben aber jedes Spiel hoch, 6:0 oder so, gewonnen, das wurde mir bald zu langweilig. Nach einem guten Jahr wurde ich Abwehrspieler, damals Libero.

Und wuchsen mit WM-Helden auf.

René Kerschbaum: Das waren natürlich meine großen Idole, Lothar Matthäus, Andi Brehme und so weiter. ’90 habe ich zum ersten Mal bewusst verfolgt, bei der EM ’92 wurden sie ja Vizeeuropameister. Die Nationalspieler waren eigentlich immer meine Vorbilder. Klar hat man sich auch mal was bei anderen Innenverteidigern abgeschaut, aber sie hatten lange nicht die Strahlkraft.

Die hatten offensichtlich auch TSV und TSG. Warum sind Sie nie zu einem anderen Verein gewechselt?

René Kerschbaum: Ich hatte in der A-Jugend mal bei Greuther Fürth mittrainiert, später war mal Seligenporten im Gespräch. Aber zum Einen war dann das Studium in Erlangen, also war es auch eine Zeitfrage. Außerdem hatte ich mir in Roth ein Standing erarbeitet, war seit der Jugend Kapitän. Schließlich bin ich ein Typ, der überlegt, ich arbeite step by step. Und wenn etwas gut ist, bin ich zufrieden.

Außerdem waren Sie 2002 mit der A-Jugend in die BOL aufgestiegen.

René Kerschbaum: Wir haben uns danach die Köpfe rasiert. Wir hatten damals starke Jahrgänge, eine gute Jugend, die sich durchzog, von der der Verein lange zehrte. Und wir hatten eine bombastische Kameradschaft, das haben uns die Älteren vorgelebt. Es gab keine Konkurrenz. Mit der Zeit änderten sich dann zwar die Prioritäten, mit den Familien und so weiter, aber zu vielen hielt die Verbindung.

Wie erlebten Sie die Fusion von SC und TSV zur TSG?

René Kerschbaum: Der TSV spielte ja noch am Schleifweg, mitten im Wohngebiet fand man zu Spiel und Training schwer einen Parkplatz. Es gab einen A-Platz und einen B-Platz, als das Gelände aufgegeben wurde, haben wir das „Hüttla“, das fünf auf zehn Meter große Vereinsheim, gemeinsam abgerissen. Dann waren wir ein Jahr heimatlos, spielten auf der Kreissportanlage und trainierten in Rothaurach. Es ist spannend, zu sehen, was sich bei der TSG entwickelt hat. Aber auch diese Zeit hat uns als Mannschaft geprägt, wir wussten, aus welchen Verhältnissen wir kommen. Und weil es wie ein Wechsel mit den gleichen Gesichtern war, ein weiterer Grund, nie zu einem anderen Verein zu gehen.

Außer den WM-Idolen: Wer hat Sie fußballerisch geprägt?

René Kerschbaum: Natürlich Jürgen Wellert. Ich habe ein Jahr unter Bernd Müller gespielt, dann übernahm er und brachte uns den Fußball nochmal neu bei. Er war der erste, der mit einer Viererkette agieren ließ und Taktik an der Tafel erklärte. Nachdem wir 2005 in der Relegation scheiterten, sind wir mit ihm 2006 in die Bezirksoberliga aufgestiegen. Später übernahm Oliver Wellert und führte die Linie seines Vaters fort. 2012 wurden wir mit ihm Fünfter und stiegen, weil die BOL abgeschafft wurde, in die Landesliga auf. Deswegen war der erste Aufstieg eigentlich der schönere.

Wie ging es weiter?

René Kerschbaum: Wir wurden in die Landesliga Mitte eingeordnet. Das war schade, denn wir mussten fast nur in die Oberpfalz fahren. In der BOL waren die ganzen Nürnberger Vereine versammelt gewesen, das war echt gutes Niveau. In der Landesliga holten wir zwar 42 Punkte, mussten aber Relegation spielen und verloren. Ich war zwar einige Zeit verletzt, aber es war trotzdem das Highlight, eine tolle Erfahrung.

Wie hat sich der Fußball und das Drumherum verändert?

René Kerschbaum: Es gab Spiele mit 700, 800 Zuschauern. Das hat sich in den Derbies mehr als halbiert, heute kommen etwas mehr als 100, um die TSG zu sehen. Dabei versuchen die Amateurvereine, der Bundesliga zeitlich aus dem Weg zu gehen und auch der Amateurfußball ist sportlich attraktiver geworden. Die Trainer sind meist besser.

Und die Spieler?

René Kerschbaum: Auch sie sind besser geworden. Aber heute gibt es viel mehr Möglichkeiten und Angebote und breitere Interessen als früher - bei weniger Kindern. Ich bin mit dem Fußball groß geworden, habe hier Freundschaften geschlossen, der Verein hat mich geprägt. Bei Jüngeren steht er nicht mehr so im Vordergrund, heute braucht man einen 50-Mann-Kader, weil nicht mehr alle zum Training und zu spielen kommen. Damit ist auch der Mannschaftsgeist und die Kameradschaft etwas zurückgegangen.

Sie sind Diplom-Sportwissenschaftler. Was kann der Fußball tun, um wieder attraktiver zu werden?

René Kerschbaum: Vielleicht würde es helfen, wenn sich die Stimmung verbessert, die Leute sich mehr mit den Vereinen identifizieren. Heute ist die Fluktuation der Spieler vielleicht größer, 80 Prozent der Akteure in der Landesliga haben fünf Vereine in ihrer Vita stehen. Und von Seiten der Zuschauer: Einst kamen sie, um eine Mannschaft anzufeuern, heute auch, um ein Team verlieren zu sehen.

Also braucht die TSG eine Ultra-Gruppierung?

René Kerschbaum: Bestimmt nicht. Ich rede von packenden, intensiven Spielen, die Zuschauer auch sehen wollen. Die beste Zeit war, als wir mit Schwabach, Büchenbach und der Spielvereinigung Roth in einer Liga waren, da war richtig Feuer, dafür spielen wir Fußball. Ich spiele lieber gegen Büchenbach als gegen Vilzing - da ist niemand da, außer Vilzing bringt einen Bus mit.

Dann ist es ja gut, dass Sie Ihr letztes Spiel gegen Büchenbach machen, das Beste zum Schluss, sozusagen.

René Kerschbaum: Auf jeden Fall, ich freue mich richtig darauf. Wir haben die Büchenbacher etliche Jahre bespielt. Hut ab vor dem, was sie dort aufgebaut haben und leisten. Das verdient Respekt. Und mehr brauchst du in der Liga nicht, das ist nicht die Bundesliga, auch wenn das manche meinen.

Es war das große Ziel, vor dem Derby die Bezirksliga in der Tasche zu haben.

René Kerschbaum: Ja, und ich hätte nicht gedacht, dass der Punkt in Pölling reicht. Es ist gut, dass wir die Liga halten, ich hätte mich nicht mit einem Abstieg in die Kreisliga verabschieden wollen. Wir haben wieder mal eine schlechte Vorrunde gerettet. So ein Herzschlagfinale ist mir aber fast lieber, als wenn man fünf Spieltage vor Schluss nur noch um einen Punkterekord oder die Goldene Ananas spielt. Auch das bringt Spannung und Intensität.

Wie geht es mit der TSG weiter?

René Kerschbaum: Das Team hat ein Riesenpotenzial. Mit den Wellerts stand die TSG einst für Kontinuität, das ist mit den Trainern Rainer Gerlitz und Tomas Di Stasio etwas abhanden gekommen. Ich hoffe, dass das zurückkommt und der Trainer nicht nur für ein Jahr bleibt. In zwei Jahren rückt eine gute Jugend nach. Es kann nicht das Ziel sein, jedes Jahr gegen den Abstieg zu spielen.

Steht schon fest, wer der neue Kapitän der TSG wird? Und was werden Sie ihm mitgeben?

René Kerschbaum: Das ist noch offen. Kapitän zu sein, bedeutet viel Arbeit auf und neben dem Platz, also viel Engagement. Es war schön die Binde zu tragen, aber es gab nicht nur mich, sondern auch andere Führungsspieler. Fußball ist ein Mannschaftssport, ein Geben und Nehmen. Du gehst voraus und hast gleichzeitig dein Team im Rücken.

Haben Sie Angst, dass Ihnen Intensität, Zusammenhalt und der Sport fehlen werden?

René Kerschbaum: Der Blickwinkel ändert sich insgesamt, die Interessen verlagern sich. Heute sehe ich Spiele nicht mehr so verbissen. Ich gebe zwar alles, freue mich aber, wenn ich ohne Verletzung vom Platz komme oder wenn es auch mal nur ein Punkt ist. Als ich mit Christopher Buckreus in die Vollmannschaft wechselte, hätten wir beide noch A-Jugend spielen können. Lange Zeit war ich der Jüngste, dann bist du plötzlich der Älteste. Wir hatten einen sehr engen Zusammenhalt, das war ein Lebensgefühl, das hatten nicht viele. Und ein Mannschaftsspieler wird nie zu einem Tennisspieler. Das Verhalten im Team, der Umgang mit Niederlagen im Team, das finde ich gerade für die Jugend sehr wichtig.

Also wird man Sie dann bald als Jugendtrainer sehen?

René Kerschbaum: Wie gesagt, ich will mir Zeit für meine Familie nehmen. Aber ich habe seit Jahren die C-Lizenz, ich könnte mir vorstellen, irgendwann einmal ein Team im Jugend- oder Herrenbereich zu übernehmen.

Aufrufe: 020.5.2017, 11:51 Uhr
Stefan Bergauer (RHV)Autor