2024-04-24T13:20:38.835Z

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Der 43-jährige Frank Schmidt ist am Sonntag exakt zehn Jahre Trainer der Heidenheimer Fußballer. Joachim Bolzer
Der 43-jährige Frank Schmidt ist am Sonntag exakt zehn Jahre Trainer der Heidenheimer Fußballer. Joachim Bolzer
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Trainer-Jubiläum beim FCH

Frank Schmidt ist am Sonntag zehn Jahre Coach in Heidenheim

Am Sonntag ist Frank Schmidt exakt zehn Jahre Coach der Heidenheimer Fußballer – für den 43-Jährigen ist es eine große Freude und Bestätigung, dennoch sagt er: „Ich habe keinen Freibrief.“

Wir haben gehört, dass es am Sonntag zwei Feiern geben wird – eine zum zehnjährigen Trainerjubiläum und eine zum Sieg in Bochum. Welche Torte wird Ihnen besser schmecken?

Schmidt: Das Jubiläum ist sicher etwas Außergewöhnliches, das ist mir durchaus bewusst. Das macht mich zwar nicht stolz, aber es ist einfach eine Freude und Bestätigung für das, was wir in den letzten Jahren zusammen geschafft haben. Nachdem wir erstmals einen Fehlstart in die Saison hatten – und davon darf man nach vier Niederlagen in fünf Zweitligaspielen sprechen – wären drei Punkte jetzt wichtiger. Darüber würde ich mich deutlich mehr freuen.

Zehn Jahre bei einem Verein tätig zu sein: Ist so etwas heutzutage nur noch bei einem Klub möglich, der Strukturen wie der FCH aufweist?

Es sind hier wenige handelnde Personen tätig, die sich schon lange kennen und vertrauen. In anderen Vereinen, gerade in der Bundesliga, ist alles viel größer. Aber eines darf man nicht vergessen, und das ist überall gleich: Letztendlich ist es der Erfolg, der die entscheidende Rolle spielt. Das heißt nicht, dass ich hier zehn Jahre lang nur Erfolg hatte, aber der große Misserfolg ist ausgeblieben. Wir hatten nie Abstiegskampf.

Könnte der aber in dieser Saison erstmals drohen?

Wie es der Zufall will: Zum Jubiläum ist es erstmals so, dass wir einen schlechten Start hatten. Aber, und da darf man die Ohren spitzen: Es kann auch Spaß machen, wenn man zeigen darf, dass man sich mit einer Mannschaft aus so einer Situation herausarbeiten kann. Wir haben bisher immer wieder die Kurve gekriegt und hatten nie Abstiegskampf. Das ist auch der Hauptgrund, weshalb die Ehe so lange hält.

Zurück zu den Anfängen: Was waren denn Ihre ersten Gedanken, als im September 2007 dieses Angebot kam, Cheftrainer zu werden?

Ich kann mich noch gut erinnern. Drüben im alten Business-Club gab es ein Gespräch mit meinem damaligen Chef Wolfgang Rummel, bei dessen Versicherungsagentur ich eingestiegen bin. Die Bitte an ihn: Stelle Frank Schmidt zwei Wochen frei. Wir brauchen solange, um einen Trainer zu holen. Dann folgten Siege gegen Gmünd und Kirchheim und ein zweites Gespräch. Die Botschaft diesmal: Wir brauchen Schmidt nochmals ein Dreivierteljahr. Das war alles andere als geplant. Aber im Leben ergeben sich immer wieder neue Konstellationen.

Wenn man den Fußball mit einer Leidenschaft lebt wie Sie, muss das doch wie ein Sechser im Lotto gewesen sein?

Ich habe mich einerseits schon auf ein geregeltes Leben ohne Fußball gefreut. Das habe ich in den vielen Jahren oft vermisst, in denen ich als Spieler unterwegs war. Auf der anderen Seite: Wenn man immer Fußballer war und dieser Sport schon als kleines Kind im Mittelpunkt stand, dann war dieses Angebot auch ein Geschenk. Von einem Sechser im Lotto würde ich nicht reden. Ich kann viele Dinge und beschränke mich im Kopf nicht nur auf Fußball. Das gibt mir ein Stück weit Gelassenheit.

Und Sie haben diese Entscheidung nie bereut?

Bereut nie. Aber: Man zahlt schon seinen Preis.

Was ist der Preis?

Dass die Qualität der verfügbaren Zeit teilweise sehr schlecht ist. Dass das kein Job ist, bei dem man mal zwei, drei Tage Pause machen kann, um etwas mit der Familie zu unternehmen. Man muss auf vieles verzichten, aber das nimmt man auch in Kauf. Anders ausgedrückt: Man lernt, die Zeit, die man noch hat, sinnvoll zu nutzen.

Das habe ich in den letzten zwei, drei Jahren gelernt. Eigentlich: seit Sommer. Als mir dieses kleine Missgeschick passierte (Anmerkung der Redaktion: Schmidt musste sich wegen einer Thrombose im Klinikum behandeln lassen). Da betrachtet man dann alles noch einmal in einem anderen Licht. Es bringt nichts, nur am Anschlag zu sein.

Emotionaler Stress – ist das auch ein Preis des Jobs?

Nein, das ist für mich eigentlich eher das Benzin, das ich brauche und das mich antreibt. Wenn dieser Stress fehlen würde, dann könnte ich den Job auch nicht mehr machen. Ich brauche diese Emotionalität, ich brauche das Knistern, ich brauche den Druck. Und wenn es keinen Druck gibt, dann macht man sich selbst einen.

Wie haben Sie sich selbst verändert in den zehn Jahren – im Umgang mit Spielern oder auch mit den Medien?

Je mehr du in der Öffentlichkeit bist, umso mehr baut man einen Schutzschild um sich herum. Das meine ich nicht wertend oder negativ. Es ist ganz normal, dass ein Fan eine besondere Wahrnehmung für Spieler und Trainer hat. Aber: Man ist eben auch Privatperson und diesen Freiraum muss man sich auch nehmen. Wenn ein Spieler sagen würde, ich hätte mich als Mensch grundlegend verändert, das würde mich treffen. Weil ich glaube, dass ich als Mensch, als Typ, so geblieben bin, wie ich immer schon war. Aber natürlich nicht mehr so nahbar, wie es vielleicht noch in der Regionalliga oder Oberliga war.

Gibt es dafür Beispiele?

Es ist ja nicht nur, dass man angesprochen wird. Es ist das Gefühl, dass du nie privat rumläufst. Es gibt die Leute, die am Einkaufswagen vorbeilaufen, das kurze Gespräch suchen, aber einem nicht in die Augen, sondern in den Einkaufswagen schauen. Es gab schon mal einen Straßenkehrer, der gesagt hat: Wenn ihr nicht gewinnt, stehe ich mit meiner Schaufel vor der Kabine und haue jedem einen rein. Da hat man sich früher aufgeregt, jetzt wird man gelassener.

Zur spielerischen Entwicklung des FCH in den zehn Jahren: Viele Beobachter meinen, seit dem Zweitliga-Aufstieg werde nicht mehr so attraktiv nach vorn gespielt, die Defensive stehe im Vordergrund. Wie sehen Sie das selbst?

Der Gegner spielt seit dem Aufstieg eine größere Rolle. Je länger wir in der 3. Liga waren, umso mehr war uns egal, was der Gegner macht. Jetzt wissen wir: Wir sind so aufgestellt, dass wir konkurrenzfähig sind, aber wir können nicht gegen jeden Gegner bestimmen, wie das Spiel zu verlaufen hat. Es ist viel Qualität in der Liga, es ist alles ausgeglichener. Deshalb hat die Taktik im Laufe der Jahre einen höheren Stellenwert eingenommen. Du musst gut stehen, aber du musst auch deine Chancen verwerten. Bei uns hakt es momentan in beiden Bereichen.

Es ist bekannt, dass es während Ihrer zehnjährigen Tätigkeit auch Anfragen anderer Profiklubs an Sie gab. Können Sie denn mit etwas Abstand auch die Namen nennen?

Nein, das finde ich auch im Nachhinein nicht notwendig. Es gab einzelne Anfragen. Holger Sanwald war stets informiert darüber. Aber ich sah in keinem Fall die Notwendigkeit, die Flucht zu ergreifen, um vielleicht – womöglich nur kurzfristig – einen Karrieresprung zu machen. Zu Verhandlungen ist es nie gekommen. Nur in einem Fall hat ein Verein meine Absage nicht akzeptiert und ich sollte eine Nacht darüber schlafen. Am nächsten Tag war meine Antwort dieselbe.

Besteht nicht die Gefahr, dass in zehn Jahren eine Platte auch einmal abläuft? Dass die Ansprachen nicht mehr ankommen, neue Methoden oder Reizpunkte nötig sind und es für Verein und Trainer Zeit für einen Wechsel ist?

Natürlich kann der Zeitpunkt da sein, wo sich etwas abgenutzt hat. Aber das ist bis zum heutigen Tag nicht der Fall gewesen. Wir haben es als Trainerteam immer geschafft, die Spieler über Inhalte zu überzeugen und Begeisterung zu wecken. Ich kann nicht zaubern und mich jede Woche neu erfinden. Ein Spieler muss selbst wissen, was wichtig ist, um erfolgreich zu sein und dass es nicht darauf ankommt, in jedem Spiel vom Trainer neu für eine Aufgabe motiviert zu werden.

Ist Fußballtrainer nach wie vor Ihr Traumjob für Sie?

Absolut. Das ist ein Pri- vileg, eine Berufung, etwas außer der Reihe, nichts Normales. Ich weiß für mich, dass ich auf dem richtigen Posten sitze.

Die zehn Jahre FCH und Frank Schmidt wären ohne ihr außergewöhnliches Verhältnis zu Holger Sanwald nicht vorstellbar. In der Öffentlichkeit werden Sie als Duo wahrgenommen, das immer auf der selben Wellenlänge liegt. Gibt es im täglichen Umgang auch mal Streit?

Streit weniger, aber Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Positionen schon. Auseinandersetzung ist für mich überhaupt nicht negativ. Das heißt doch, man lässt die Dinge nicht einfach so laufen. Das gibt es bei uns fast täglich. Wir profitieren voneinander. Das Schöne ist, dass man sich die Meinung sagen und über alles reden kann, ohne das als Schwäche zu empfinden.

Sie sind beide Alphatiere, also Menschen, die bestimmen wollen und auch gerne Verantwortung an sich reißen. Kann das gutgehen?

Wir sind beide Alphatiere, das stimmt. Zu unseren Stärken gehört, dass wir nicht nur miteinander, sondern auch füreinander sprechen. Ich glaube, dass das in diesem Job etwas Besonderes ist.

In zehn Jahren haben Sie als Trainer in keinem Pflichtspiel gefehlt. Waren Sie nie krank?

Während der letzten Saisonvorbereitung habe ich drei Testspiele verpasst.

Wie war das für Sie?

Schlimm.

Gab's auch im Punktspielalltag mal die Gefahr, nicht dabei sein zu können?

Einmal hätte ich fast ein Zweitligaspiel verpasst. Das war der Rückrundenauftakt im Januar dieses Jahres in Aue. Ich hatte Fieber, Schüttelfrost, das komplette Programm. Als wir mit dem Bus abfahren wollten, wusste ich nicht, soll ich jetzt oder nicht. Ich bin eingestiegen und hatte die schlimmste Nacht meines Lebens. Im Nachhinein muss ich sagen: Da wäre es besser gewesen, ich wäre zu Hause geblieben. Das Spiel haben wir dann ja auch mit 1:2 verloren. Wenn man so will: ein blöder Start ins Jahr 2017.

Wie lauten Ihre persönlichen Ziele für die weitere Laufbahn?

Ein großes Ziel habe ich: am Sonntag in Bochum zu gewinnen.

Darüber hinaus?

Wir hatten einen schlechten Saisonstart. Sich aus der jetzigen Situation herauszuarbeiten, darauf habe ich Bock, auf diese Herausforderung freue ich mich. Und wenn ich an das Spiel letztes Jahr in Stuttgart denke – vor über 50 000 Zuschauern – oder auch an das Spiel vor Kurzem in St. Pauli vor ausverkauftem Haus: Da will ich mehr davon. Da haben wir Blut geleckt. Eine solche Atmosphäre gibt's natürlich am meisten in der 1. Liga. Das ist mein Ziel, ganz klar.

Mit dem 1. FC Heidenheim?

Das wäre die ideale Variante. Unsere Vision ist es schon, in Heidenheim in einer perfekten Saison auch um den Aufstieg zu spielen. Man sollte sich nicht vom Kopf her beschränken und sagen: Das ist unmöglich. Allerdings: Im Augenblick sollte man von solchen Themen nicht sprechen.

Ist es denkbar, dass Sie Ihren Vertrag beim FCH über 2020 verlängern?

Das ist jetzt überhaupt kein Thema. Jetzt muss man sich der aktuellen Aufgabe stellen. Aber: Im Fußball etwas auszuschließen, das gibt's nicht. Natürlich kann ich mir das vorstellen.

Zurzeit ist nicht nur die sportliche Situation schwierig, es gibt auch Probleme im Umgang mit einigen Fans. Wie stark tangiert Sie das Geschehen abseits des Spielfelds?

Mich belastet es, dass momentan so viele Dinge in der Öffentlichkeit stehen, die man eigentlich aus der Welt räumen könnte. Das können wir aus Regionen lernen, wo der Fußball nochmals einen ganz anderen Stellenwert hat, wo die Mentalität herrscht: Wenn's schlecht läuft, muss man zusammenstehen. Wenn man Lust hat auf 2. Liga, und auch als Fan nie mehr in die 3. Liga will, sollte man einfach mal reflektieren, was jetzt am besten hilft – nämlich Zusammenhalt. Ich verstehe auch den Verein, der sich logischerweise an Regeln halten muss und nicht jedem gerecht werden kann.

Ist Ihnen bewusst, wie schnell man als Trainer aus dem Geschäft sein kann? In der 2. Liga mussten nach fünf Spieltagen schon vier Ihrer Kollegen vorzeitig gehen.

Ich kann es nicht verstehen, dass man schon nach so kurzer Zeit den Trainer in Frage stellt. Bestes Beispiel ist Janos Radoki. Für mich ist es Wahnsinn, dass er so früh entlassen wird, nachdem er es letzte Saison geschafft hat, Fürth in ruhige Gewässer zu führen. Dass Trainer grundsätzlich eine Halbwertszeit von ungefähr eineinhalb Jahren haben, das weiß ich, das ist der Job.

Sie haben schon vor Jahren mal gesagt, Sie wollen der neue Volker Finke werden, der mit 16 Jahren in Freiburg bis heute dienstältester Trainer bei ein und demselben Klub war. Ist das weiter ein Ziel?

Anfangs habe ich das mit einem Augenzwinkern gesagt. Aber mittlerweile kann man ja daran glauben. Was ich damals sagen wollte, war nichts anderes als: Wenn ich etwas mache, will ich es richtig und nachhaltig machen. Aber ich habe keinen Freibrief, weil ich zehn Jahre hier Trainer bin. Das möchte ich auch gar nicht.

Ist es für Sie vorstellbar, selbst vorzeitig aufzuhören, wenn Sie beispielsweise das Gefühl hätten, die Mannschaft nicht mehr zu erreichen?

Allein schon der Gedanke daran würde mir total negative Energie geben. Das ist für mich gar kein Thema. Ich bin total positiv und ich möchte erfolgreich sein.

Wenn Sie zum Zehnjährigen noch einen Wunsch hätten, außer drei Punkte in Bochum, wie würde der lauten?

Dass man nach der Saison sagen kann: Wir haben wieder ein tolles Abschlussfest hier zusammen und erinnern uns mit einem Lächeln daran, wie wir diese Phase zu Saisonbeginn bewältigen konnten und dass wir viel daraus gelernt haben.

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Aufrufe: 015.9.2017, 17:57 Uhr
Südwestpresse / Thomas Grüninger und Thomas JentscAutor