2024-05-10T08:19:16.237Z

FuPa Portrait
Die Flüchtlingsmannschaft des SV Weiterstadt beim Training mit Initiator Wilfried Meyer (rechts).
Die Flüchtlingsmannschaft des SV Weiterstadt beim Training mit Initiator Wilfried Meyer (rechts).

Frieden finden beim Kicken

Integration: Beim SV Weiterstadt ist eine Flüchtlingsmannschaft in der D-Liga am Ball

Der Kunstrasenplatz des SV Weiterstadt liegt in der Sommerabendsonne. Junge Männer spielen sich in zwei Gruppen den Ball zu. Immer wieder Gelächter, es wird bei lockerer Stimmung auf Arabisch gescherzt. Ab und an gesellt sich ein Ruf in deutscher Sprache hinzu. „Da musst du enger am Gegner sein“, ruft der Übungsleiter. Auch zwei ältere Herren am Spielfeldrand mischen sich mit Kommentaren ein. Einer der beiden ist Wilfried Meyer aus der Altherrenmannschaft des SV Weiterstadt. Er hat vor zwei Jahren das Projekt ins Leben gerufen, das er gerade beobachtet: eine Mannschaft aus Geflüchteten.

Als die Flüchtlingskrise im Frühherbst 2015 ihren Höhepunkt erreichte und Kanzlerin Angela Merkel ihre berühmten Worte „Wir schaffen das!“ sagte, saß Meyer vor dem Fernseher und stellte sich die Frage: „Wer sind denn ‚Wir‘? Sind das Sigmar Gabriel oder Angela Merkel? Wir, das ist die Zivilgesellschaft. Wir schaffen das!“ In seinen Augen musste sich etwas tun. Der „Sicherheitstrakt von Flüchtlingsheim“ in der Weiterstädter Albrecht-Dürer-Halle war für Meyer nicht das, was er sich unter einer gesunden Willkommenskultur vorstellt. In seinem Arbeitsleben in der Entwicklungszusammenarbeit war er immer schon weltweit unterwegs und gerade von einem Einsatz in Ghana zurückgekehrt. Das verbindende Element für ihn und seine Familie war in den fremden Ländern immer der Fußball. Dieses Integrationsprojekt wollte er nun auch in Weiterstadt starten. Mit dem Flüchtlingsbeauftragten der Stadt besuchte er die Albrecht-Dürer-Halle, um seine Idee vorzustellen. Der Andrang war riesig, „die Jungs brauchten etwas, um ihre Kraft rauszulassen“. Zum ersten Training kamen 25 Syrer, Iraker, Afghanen, Eritreer und Somalier. Erst wurde einmal die Woche trainiert, dann auch bei Turnieren gespielt. Schließlich bekam das Team der Flüchtlinge einen Trainer und wurde als dritte SVW-Mannschaft gemeldet. Das für Sonntag geplante Debüt in der Kreisliga D verzögert sich jedoch, da die Spielerpässe noch nicht vorliegen.

Die wichtigsten Punkte sind für Initiator Meyer, der von AH-Kollege Karl-Heinz Wild unterstützt wird, dass die jungen Männer „mal aus der Mühle aus Schule und Integrationskursen rauskommen. Wir machen aber auch soziales Engagement, das über den Fußball hinaus geht“. So werden die meist 18 bis 25 Jahre alten Flüchtlinge durch Netzwerke von Vereinsmitgliedern und Sponsoren wie Merck bei der Suche nach Praktika, Ausbildung und Jobs unterstützt. Meyer will aber auch Vereinsmitglieder und die Gemeinde sensibilisieren und Vorurteile abbauen, was nach anfänglichen Berührungsängsten auch schon sehr gut klappt.

„Ich dachte, mein Job hier würde Konfliktmanager sein, der den Spielern die Messer aus den Stutzen zieht.“ Die eigenen Vorurteile bewahrheiteten sich glücklicherweise nicht. Spannungen und Streit zwischen den Spielern, die alle verschiedene ethnische und religiöse Hintergründe haben, gab es kaum. Anfängliche Grüppchenbildung wich bald gutem Zusammenhalt, erklärt Karl-Heinz Wild. Nach anfänglichen Kommunikationsproblemen („wir unterhielten uns auf Englisch und mit Händen und Füßen“) etablierte sich mit steigendem Niveau der Kenntnisse Deutsch als Sprache zwischen Spielern und Betreuern. Meyer und Wild hoffen, dass die Spieler, von denen nur wenige ein langjähriges Bleiberecht haben, auch zusammenbleiben und nicht abgeschoben oder innerhalb Deutschlands verlegt werden.

Sportlich profitiert der SV Weiterstadt auch von den geflüchteten Fremden. So konnte mit Unterstützung von Jugendlichen, die meist ohne Begleitung nach Deutschland kamen, nach zwei Jahren Pause wieder eine A-Jugend-Mannschaft angemeldet werden.

Traurige Geschichten von der Flucht und aus der Heimat

Die Geschichten, die die jungen Männer erzählen, sind erschreckend. Eine Gruppe Jesiden, religiös verfolgt im Irak, flüchtete vor zwei Jahren zu Fuß durch die gesamte Türkei und Bulgarien bis nach Ungarn, von wo sie nach Deutschland gebracht wurde. Afrikaner kamen vor allem über das Mittelmeer und mussten teilweise bis zu fünfstellige Dollarbeträge an Schlepper zahlen. Heute zeigen die Männer, deren Familien teilweise noch in der Heimat sind, den Deutschen grausame Bilder.

„Noch bevor ich am Abend in den Nachrichten von den Bombenangriffen auf Aleppo hörte, zeigten die Fußballer mir tagsüber die Bilder von toten Babys auf der Straße. Schrecklich“, sagt Wilfried Meyer bestürzt. Nicht nur er hofft, dass der Krieg irgendwann ein Ende nimmt und die Männer wie beim Fußball ihren Frieden finden.

Aufrufe: 07.8.2017, 11:22 Uhr
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