2024-04-25T10:27:22.981Z

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Christian Bradtke war Trainer von Viktoria Birten und erzählt von einem Spiel für die Ewigkeit - mit einem absolut talentfreien Haufen.
Christian Bradtke war Trainer von Viktoria Birten und erzählt von einem Spiel für die Ewigkeit - mit einem absolut talentfreien Haufen. – Foto: Verein

"Das war der talentfreieste Haufen, den ich je gecoacht habe"

"Mein schönster Fußballmoment" - eine Serie von FuPa Niederrhein. Diesmal erzählt Christian Bradtke von einem talentfreien Haufen, der für Viktoria Birten ein Spiel für die Ewigkeit bestritt.

In "Mein schönster Fußballmoment" sollen die FuPaner am Niederrhein über ihre besten und einprägsamsten Erfahrungen und Erinnerungen in ihren Amateurfußball-Karrieren berichten. Christian Bradtke, ehemals Trainer von Viktoria Birten II, erzählt von einem legendären Spiel, das er niemals vergessen wird. Und die Art und Weise, wie er das tut, könnte amüsanter nicht sein.

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Christian Bradtke, ehemals Viktoria Birten II, berichtet

Als Coach in der Kreisliga C eines Dorfklubs sind die Anekdoten vielleicht etwas anderes als heroische Siege, Aufstiege und Triumphe. Es war vor einigen Jahren im Dezember.

Für einen Freitagabend stand das Gastspiel unseres Viktoria Birten II beim SSV Rheintreu Lüttingen II an. Kurz zur Ausgangslage: Wir kämpften wie immer ums Überleben und darum, nicht die rote Laterne zu halten, Lüttingen war klarer Aufstiegsfavorit und thronte mit Zwei-Punkten-Vorsprung auf Platz eins. Es war also alles angerichtet für ein echtes Schützenfest.

Im Laufe der Woche sammelten sich Absage um Absage in der WhatsApp-Gruppe. Alles, was irgendwie Talent hatte, meldete sich nach und nach ab. So verblieben noch sieben Spieler - und das 24 Stunden vor Anpfiff. Es stellte sich also die Frage, was wir machen. Hinfahren und ein Debakel versuchen, zu verhindern? Schnell zwei Verletzte und um Abbruch bitten? Direkt Absagen? Ich überließ der Truppe die Entscheidung und so richtig Elan hatten die Verbliebenen auch nicht. Folglich sollte ich das Spiel absagen. Kam mir ganz entgegen, weil ich dann zur Weihnachtsfeier der Arbeit könnte. Ich schrieb Björn van Wesel (Lüttingen) an und erklärte die Sachlage und dass wir nicht antreten können. Er erklärte das seinen Jungs und die wollten unbedingt zocken. Wir sollten schauen, dass wir neun Leute zusammen bekommen und dann spielen wir 9 vs. 9. Die Absicht war klar: Die Lüttinger hatten richtig Bock, uns nach Strich und Faden zu vermöbeln. Also probierten wir es.

Spiel von Viktoria Birten war ein Himmelsfahrtkommando

Aus dem Kader der Ersten konnte noch ein Spieler überredet werden, sich diesem Himmelsfahrtkommando anzuschließen. Außerdem nahm der Torwart der Ersten noch Kontakt zu einem ehemaligen Spieler auf, der sich nie abgemeldet hatte. Und der sagte tatsächlich zu. Dummerweise war er schon vor seiner mehrjährigen Pause nicht so gut und die Abstinenz sollte nicht gerade zur Steigerung seines Könnens geführt haben.

Apropos Torwart: Die hatten zu allem Elend auch alle abgesagt. Aus der Altherren hatte man auch kein gesteigertes Interesse, sich vom Tabellenführer vorführen lassen. Folglich musste einer der verbliebenen Feldspieler in den Kasten. Und wer meldet sich für den Posten? Na klar, einer der wenigen verbliebenen ordentlichen Kicker.

Das sollte was werden: 9 gegen 9 auf vollem Feld gegen einen Haufen junger Rennfrikadellen beim Gegner - und was hatten wir entgegenzusetzen? Einen Feldspieler im Tor, ein Talentfreier mit fünf Jahren Pausen und ohne eigene Schuhe, zwei weitere Spieler, die man immer da hinstellt, wo man den geringsten Schaden anrichtet und mindestens sieben von neun im adipösen Bereich.

Vor meinem geistigen Auge sah ich schon die Schlagzeilen in der Bild-Zeitung. "Rekord-Sieg in Kreisliga: Drölftausend zu Null". Doch beim Aufwärmen plötzlich der Hoffnungsschimmer: Flutlicht aus, alles dunkel. "Astrein, das ist unsere Chance", dachte ich mir. Dummerweise kam der Schwager meines besten Freundes um die Ecke und reparierte die defekte Sicherung zur Freude der Gastgeber noch gerade rechtzeitig bevor der Schiedsrichter abreisen wollte.

Wer kennt es nicht? Das klassische 5-2-1

Also ging es los. Wir im klassischen 5-2-1 mit Schwarzmeier aus der Ersten vor der Abwehr mit den Zweien, die… ihr wisst schon...

2. Minute: 1:0 Lüttingen. Innenpfosten und rein. Wir hatten nicht einen Ballkontakt bis dahin. Wiederanpfiff und sofortiger Ballverlust - wupp wupp wupp und Abschluss mit gefühlten 120 km/h an den gleichen Innenpfosten. Der Ball trudelt parallel zur Torlinie und geht auf der anderen Seite des Pfostens ins Toraus.

Kurz durchatmen, aber nur ganz kurz: Missglückter Abstoß und der Mittelstürmer aus Lüttingen steht frei vor dem Tor: Reflex von Mirco im Tor und Ecke. Diese kommt scharf vors Tor: totales Tohuwabohu. Mehrfach werden Abschlüsse geblockt und letztlich klären wir standesgemäß mit der Picke ins Seitenaus. Ich schaue auf die Uhr: 3:30 Minuten gespielt... und es könnte schon 4:0 stehen. Wenn mir da einer ein 16:0 angeboten hätte, ich hätte nicht eine Sekunde gezögert anzunehmen.

Aber wir fuchsten uns so langsam ins Spiel. Pierre (der mit der Pause) spielte einen sehr passablen Rechtsverteidiger in der langsamsten Abwehrkette, die der Planet je gesehen hatte. Aber Tempo war auch nicht gefragt, wir standen ja sowieso dauerhaft mit sieben Mann im 16er. Mirco im Tor hielt einen Ball nach dem anderen und beim Gastgeber wurde man langsam ungeduldig. Immer mehr Fahrkarten und den einen oder anderen Abschluss, bei dem man besser quergelegt hätte, taten dann ihr Übriges.

So nach 20 Minuten geschah es dann: Wir waren das erste Mal in der gegnerischen Hälfte in Ballbesitz. Schwarzmeier bekam kurz hinter der Mittellinie den Ball, spielte drei Mann aus und schoss dann mangels Alternativen aus 25 Metern aufs Tor. Kein richtiger Strahl und auch nicht perfekt platziert, aber irgendwie fand der Ball den Weg ins Tor. Unfassbar... 1:1! „Ja gut, dann halt 20:1“, dachte ich innerlich.

Mannschaft von Viktoria Birten mutiert zum gallischen Dorf


Aber nichts da! Dieser wild zusammengewürfelte Haufen leistete erbitterten Widerstand. Am Spiel änderte sich dennoch nichts: Lüttingen fuhr Angriff um Angriff, aber wir konnten weitere Einschläge erfolgreich verhindern. Es war die 35. Minute und unser Spieler Pascal W. kam mit Tasche zum Platz. Ein genialer Typ mit dem Herz am rechten Fleck, aber wenn wir ehrlich sind: Verstärkt hätte er uns nur am Glas. Es ging auf die Halbzeit zu und ich überlegte schon, wie ich den Jungs erkläre, dass wir hier auf keinen Fall Punkte mitnehmen dürfen. Dem Gegner hatten wir schließlich zu verdanken, dass wir keine Strafe wegen Nichtantritt zahlen mussten. Da können wir ihnen nicht als Dank den Aufstieg kaputt machen.

Dann aber die 44. Minute und Lüttingen ging wieder in Führung. Danach der Pausenpfiff. Auf dem Weg in die Kabine kam der Heimcoach zu mir, vergrub sein Gesicht in den Händen und sagte nur "wir spielen dann jetzt aber 10:10 weiter". Also gut: Das ist dann für zwei Leute sicher der erste 90-Minuten-Einsatz und auch für Pascal mehr als das doppelte seiner normalen Spielzeit, aber was soll's?

Aber was soll ich sagen? Als ich in die Kabine kam freute man sich nicht über das bisher sensationelle Zwischenergebnis, sondern ärgerte sich über den späten Führungstreffer der Gäste. Bei einem Ballbesitzanteil im niedrigen einstelligen Bereich und einem Torschussverhältnis von 1:83 ist das natürlich eine logische Auffassung.

Ein Erlebnis für die Ewigkeit

Ich kürze etwas ab: Wir gaben wirklich alles, wir rackerten und kämpften. Wir hatten Spieler, die in diesem Spiel mehr Zweikämpfe gewonnen haben, als in der ganzen Restsaison. Pierre spielte wirklich gut so, dass ich mir wünschte, er käme öfters. Auch Pascal hatte zwei Ballkontakte, indem er beide Male versuchte, einen Abschlag unseres Torwarts in die gegnerische Hälfte zu verlängern. Das Ergebnis war dummerweise nur eine Ecke für den Gegner und einmal drosch er den Ball postwendend zurück in die Arme unseres Keepers, aber der gute Wille war erkennbar.

Zu allem Überfluss verloren wir noch Schwarzmeier in der 65. Minute aufgrund von Krämpfen. Die verbliebenen neun Leute - und das sage ich mit allem Respekt - waren der talentfreieste Haufen, den ich je gecoacht habe. Und dass, obwohl ich mit einer Rumpftruppe mal 13 Dinger von Sonsbeck IV kassiert habe, mit denen wir uns eigentlich auf Augenhöhe befanden. Aber diese Truppe, die gegen Sonsbeck spielte, hätte uns auseinandergenommen. Das war wie bei Asterix und Obelix gegen das römische Heer. Nur das wir nicht mit ganz Gallien da waren, sondern nur mit einem Gallier, der nur ein Bein hatte, schielte und sich im Kampf eher selbst verletzte als den Feind.

Wir verloren trotz 25-minütiger Unterzahl mit nur 1:3. Völlig fertig saßen alle beim verdienten Bierchen und bis heute weiß niemand, wie das passieren konnte. Aber manchmal sind eben auch Niederlagen Highlights, denn sie zeugen von Einsatz und Kameradschaft.

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Aufrufe: 03.1.2024, 18:00 Uhr
André NückelAutor