2024-03-28T15:56:44.387Z

Interview
Es gibt viel zu besprechen: Kickers-Präsident Rainer Lorz (re.), Aufsichtsratschef Christian Dinkelacker. Pressefoto Baumann
Es gibt viel zu besprechen: Kickers-Präsident Rainer Lorz (re.), Aufsichtsratschef Christian Dinkelacker. Pressefoto Baumann

Lorz: „Die Qualität der Liga ist hoch“

Stuttgarter Kickers-Chef Rainer Lorz äußert sich im Gespräch zur Lage bei den Blauen

Rainer Lorz, der Präsident des Fußball-Regionalligisten Stuttgarter Kickers, äußert sich vor dem Spiel beim SSV Ulm 1846 (Samstag, 14 Uhr/Donaustadion) zur Lage bei den Blauen.

Die Situation der Stuttgarter Kickers Anfang 2017 erinnert ans Vorjahr: Neuer Trainer, etliche Zu- und Abgänge und in zwei Spielen kein Sieg. Das stimmt wenig optimistisch.

„Ich glaube, man kann die zwei Spielzeiten nicht miteinander vergleichen. Klar ist, dass wir auch in dieser Spielzeit bislang deutlich hinter den sportlichen Erwartungen geblieben sind. In der letzten Saison hatten wir aber neben der emotionalen Trennung von Horst Steffen die Integration neuer Spieler in einen gewachsenen Kader zu bewältigen, mit entsprechenden Problemen. Dies war eine sehr herausfordernde Situation in einer sehr schwierigen Liga. Dieses Jahr sind wir mit einer völlig neu zusammen gestellten Mannschaft in die Saison gestartet, die wir nun verstärkt und ergänzt haben. Dies ist ein anderer Übergang, der auch viel geräuschloser bewältigt werden konnte: Wir konnten uns jedenfalls in der Winterpause gut auf die Rückrunde vorbereiten und konnten konzentrierter arbeiten. Das stimmt mich positiver.“
Aber auch dieses Mal gab es wieder einen großen Umbruch, mit fünf Ab- und sechs Zugängen. Das kann mehr Qualität bringen – oder mehr Unruhe.
„Wir hatten vor dieser Saison ja eine Ausnahmesituation mit – abgesehen von Sandro Abruscia – 20 neuen Spielern. Im Endergebnis haben wir einen ordentlichen Stamm zusammen bekommen, der aber nicht in allen Belangen auf die Anforderungen der 4. Liga ausgerichtet war. Die Analyse in der Winterpause hat jedenfalls ergeben, dass wir uns auf bestimmten Positionen verbessern und insgesamt stabiler und kompakter werden müssen. Ursprünglich bestand die Überlegung, bis zu drei neue Spieler zu holen. Nun hat sich aber beispielsweise die Möglichkeit ergeben, einen Spieler wie Jesse Weißenfels unter Vertrag zu nehmen, der uns perspektivisch voran bringt. Auf der anderen Seite haben uns keine Spieler verlassen, die in der Hinrunde eine tragende Rolle gespielt haben, deshalb ist der Umbruch nicht so groß, wie er auf den ersten Blick erscheint. Zudem konnten wir die Neuverpflichtungen vornehmen, ohne dass sich der Etat erhöht hat.“
Auch wenn die Transfers bereits ein Vorgriff auf nächste Saison waren, sind Veränderungen im Sommer nie ausgeschlossen, vor allem wenn auch die zweite Halbserie nicht wie gewünscht läuft.
„Unser Kader ist perspektivisch zusammengestellt worden. Wir mussten nun zwar nachjustieren, haben dies aber auch schon mit Blick auf die neue Saison gemacht, so dass es im Sommer zu keinem weiteren großen Umbruch kommen soll, sondern nur zu punktuellen Verstärkungen. Die meisten Verträge gelten bis 30. 6. 2018, insoweit sind wir gut aufgestellt.“
Primär geht es erst einmal um Klassenverbleib. Der Blick auf die dritte Liga ist da nicht gerade beruhigend, weil dort etliche Mannschaften aus dem süddeutschen Bereich runterkommen können und so die Zahl der Regionalliga-Absteiger auf bis zu sechs steigen könnte.
„Das stimmt, aber wir müssen auf uns selbst schauen, damit wir unabhängig sind von den anderen. Was mich mit Blick auf die dritte Liga aber auch irritiert, ist zu sehen, wie viele Clubs – Aalen, Chemnitz, Zwickau oder Erfurt – mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfen. Unser letzte Hoffnung im Sommer, trotz des sportlichen Abstiegs über das Lizenzierungsverfahren doch noch in der Liga zu bleiben, war also nicht aus der Luft gegriffen.“
Die Kickers liegen aktuell im schlimmsten Fall auf einem Abstiegsplatz. Offenbach davor kämpft noch gegen einen Neun-Punkte-Abzug, der VfB II als Zwölfter hat schon vier Zähler mehr. Da kann es eng werden.
„Dies ist uns nach dem bisherigen, sehr enttäuschenden Saisonverlauf mehr als bewusst. Wir nehmen die Situation auch keinesfalls auf die leichte Schulter. Dass beispielsweise Eintracht Trier letztes Jahr vorne mitgespielt hat und jetzt Viertletzter ist, zeigt zum einen, wie schnell man abrutschen kann und zum anderen, wie hoch die Qualität der Liga in dieser Saison ist. Jedenfalls haben wir bisher zu viele Punkte verschenkt, vor allem zu Hause, da sind wir Letzter der Tabelle – das kann nicht sein und muss besser werden.“
Der Drittligist VfR Aalen hat einen Insolvenzantrag gestellt und bekommt somit neun Punkte abgezogen – wäre aber schuldenfrei.
„Zunächst einmal müssen sie das Insolvenzplanverfahren zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Das heißt, die Gläubiger müssen zu Verzichten bewegt werden und der Verein finanziert die Gehälter drei Monate über das Insolvenzausfallgeld und kann so die Saison erst einmal ordentlich zu Ende spielen. Aber dann braucht es auch neue Mittel, um den Spielbetrieb weiter zu finanzieren.“ Auch die Kickers drückt eine Schuldenlast. Da wäre es eine Überlegung wert, sich mittels einer Insolvenz neu aufzustellen.
„Wir haben bisher alles dran gesetzt und werden dies auch weiter tun, dass wir einen solchen Weg nicht gehen müssen. Eine Insolvenz ist immer zweischneidiges Schwert, es gibt andere Vereine, die brauchen sehr lange, um dann wieder hochzukommen. Siehe Reutlingen oder Ulm.“
Nicht nur die Kickers klagen über die Rahmenbedingungen in der Regionalliga. Insgesamt erscheint die Lage für die Vereine unterhalb der DFL nicht allzu rosig.
„Der DFB rühmt sich ja immer, wie gut seine Ligen dastehen. Aber die Probleme abseits der ersten und zweiten Liga nehmen zu, die dritte Liga wurde ja bereits angesprochen. Wenn man z.B. in der Regionalliga professionelle Bedingungen beibehalten möchte, ist dies allein aus den Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen nicht stemmbar, so dass man auf nicht planbare Zusatzeinnahmen wie den DFB-Pokal oder auf Mäzene und Gönner angewiesen ist. Im Ergebnis bleibt also nur der Weg nach oben oder eine Änderung von Rahmenbedingungen und Ansprüchen.“
Die Kickers sind stolz auf die Nachwuchsarbeit, und es ist keine Selbstverständlichkeit, dass bei einem Viertligisten alle Jugendmannschaften in der höchsten Klasse spielen. Aber der Ertrag hält sich in Grenzen, zuletzt stand in Nico Blank nur noch ein Eigengewächs im 18er-Kader.
„Wir haben auch noch Enis Küley und Spieler wie David Müller, die früher schon bei uns gewesen sind. Man darf aber nicht zu viel erwarten, auch die Regionalliga ist eine Profiliga, in der sich auch sehr talentierte Jugendspieler nicht ohne weiteres etablieren. Ziel muss es dennoch sein, dass zwei bis drei Spieler pro Saison den Sprung in den Kader schaffen und die realistische Chance haben, in die Mannschaft zu kommen.“
Eine gute Jugendarbeit lebt auch vom Scouting, wo es möglicherweise Defizite gibt. So hatte Udo Bauer mit Guido Buchwald einst einen mündlichen Vertrag, kam dann aber mit Michael Zeyer nicht zurecht und ist freiwillig gegangen. Heute arbeitet er für den Ligarivalen SV Waldhof – durchaus erfolgreich. „Ich würde dies nicht an Personen festmachen, man muss auch zwischen Scouting und Spielbeobachtung trennen. Ohne Frage haben wir aber hier in der Region ein großes Potenzial an Talenten, zumal die Aufnahmekapazitäten von Hoffenheim und dem VfB beschränkt sind, also immer wieder vielversprechende Spieler aus den NLZs kommen, die dort nicht übernommen werden können. Auch wenn mit Heidenheim und Sandhausen im Jugendbereich starke Konkurrenten heran wachsen, gibt es immer noch genügend Spieler, die uns helfen könnten. Dieses Potential müssen wir künftig noch effektiver ausschöpfen.“
Aufrufe: 024.2.2017, 10:45 Uhr
Stuttgarter Nachrichten / Joachim KlumppAutor