2024-05-08T14:46:11.570Z

Allgemeines
– Foto: Rocco Bartsch

Der Ritt auf der Corona-Rasierklinge

Analyse: Im Fußball, Handball und Tischtennis beginnt die Saison. Doch die Pandemie hängt als schwerer Schatten darüber. Von einer Rückkehr zur Normalität kann noch lange keine Rede sein. Die Sorge vor einem erneuten Lockdown schwingt überall mit.

Meik Kozak hat die Situation treffend auf den Punkt gebracht. Der neue Trainer des A-Kreisligisten SV Nütterden nennt als Ziel für die kurz vor dem Anpfiff stehende Fußball-Saison, dass er mit seiner Mannschaft schnell so viele Punkte wie möglich sammeln wolle.
„Denn niemand weiß ja, wie lange die Spielzeit dauern wird. Die aktuelle Situation birgt so viele Ungewissheiten“, sagt Kozak.

Im Tischtennis und vereinzelten Handball-Klassen wird schon ab diesem Wochenende wieder um Punkte gespielt – mit Bauchschmerzen und Kritik am Verband. Der Fußball startet eine Woche später. Fast sechs Monate, nachdem der Sport durch Corona gestoppt wurde, geht’s wieder los. Doch die Vorfreude ist nicht ungetrübt. Die Pandemie hängt wie ein schwerer Schatten über dem Sport. Die Sorge, dass es einen erneuten Lockdown geben könnte, schwingt überall mit. Es ist ein Ritt auf der Corona-Rasierklinge.

Vor allem dann, wenn in manchen Fußballklassen bei der Planung der Saison der gesunde Menschenverstand ausgeschaltet wurde. Die Klubs in der Regionalliga, in die der SV Straelen zurückgekehrt ist, und der Oberliga, in der es für den 1. FC Kleve erneut um den Klassenerhalt geht, haben sich mit Mehrheit dafür ausgesprochen, mit allen Teams in einer Staffel zu spielen. 21 sind es in der Liga vier, gar 23 in der Oberliga.

Das bedeutet eine Saison mit 42 beziehungsweise 46 Spieltagen, vielen Englischen Wochen und einer Winterpause, die diese Bezeichnung nicht einmal im Ansatz verdient – ein Wahnsinns-Programm. Und eine enorme Belastung nicht nur für die Spieler, sondern auch für die Verantwortlichen in den Vereinen, die Hygienekonzepte umsetzen müssen, viel Arbeit dafür leisten müssen, dass die Partien nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen werden.

Der 1. FC Kleve kann ein Lied davon singen, was das bedeutet. Das Halbfinal-Spiel des Niederrheinpokals gegen den 1. FC Bocholt vor 300 Besuchern austragen zu können, war ein Kraftakt, bei dem die ehrenamtlichen Mitarbeiter an ihre Grenzen gehen mussten. Den wird der 1. FC in der Oberliga zwar nicht leisten müssen, damit Zuschauer ins Stadion Bresserberg dürfen. Aber auch so sind strenge Hygieneregeln zu beachten, müssen Kabinen und Duschen etwa nach Spielen oder dem Training desinfiziert werden, ehe die nächsten Mannschaften sie benutzen dürfen. Das gilt nicht nur für den Fußball.

Mancherorts verzichten Vereine in anderen Sportarten schon aufs Training, weil sie es nicht schaffen oder es sich finanziell nicht leisten können, was die Kommunen von ihnen in puncto Reinigung der Sportstätten verlangen, um die Hygieneregeln einzuhalten. Teils sind die Duschen in den Sportstätten geöffnet, teils nicht. Eugen Brück, Vorsitzender des Tischtennis-Vereins TTC BW Geldern-Veert, hat Recht, wenn er von einem „kommunalen Flickenteppich“ bei den Hygieneverordnungen spricht.

Auf welch schmalen Grat sich nicht nur der Fußball bewegt, zeigt das Beispiel SV Hönnepel-Niedermörmter. Drei Kicker des Landeslisten wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Sie haben sich vermutlich nicht beim Sport mit ihren Teamkollegen, sondern im privaten Umfeld infiziert. Zwei Wochen musste die komplette Mannschaft, Trainer und Betreuer in Quarantäne. Zwei weitere Wochen gesteht der Verband der SV Hö.-Nie. jetzt zu, sich aufs nächste Pflichtspiel vorzubereiten. Das Team startet deshalb mit Verspätung in die Saison. Kaum auszudenken, wie sehr der Spielplan aus den Fugen geraten würde, wenn dies während der Saison in der Regionalliga oder Oberliga passiert.

Noch ist fast überall der Wille da, in eine Spielzeit zu starten, von der niemand weiß, ob und wann sie beendet wird. Wie groß die Unsicherheit aber aufgrund steigender Infektionszahlen ist, beweist die Tatsache, dass etwa der Handball-Verband Mittelrhein seinen Saisonbeginn schon verschoben hat. Der Handball-Verband Niederrhein belässt es beim angedachten Termin an diesem und dem übernächsten Wochenende. Der Westdeutsche Tischtennis-Verband hat derweil wegen der Pandemie entschieden, erst einmal auf Doppel zu verzichten. Und, und, und.

Fast alle Sportverbände haben längst schon Papiere erarbeitet, wie gewertet wird und wie es weitergehen könnte, wenn es wieder zum Corona-Abbruch kommen sollte. Auch das zeigt, dass alle wissen, wie angespannt die Lage immer noch ist, obwohl im Fußball oder Handball in den vergangenen Wochen Hunderte von Freundschaftsspielen über die Bühne gegangen sind.

Es ist kein unbeschwerter Start in die Saison, wie es in den vergangenen Jahren der Fall war. Es sind eine Menge Bauchschmerzen dabei, die Sorge vor Infektionen in der Mannschaft oder im Verein – gerade mit Blick auf Betreuer und ehrenamtliche Mitarbeiter, von denen viele der Risikogruppe angehören. Dabei wird den Ehrenamtlern in den Klubs, die dafür sorgen müssen, dass strenge Hygienekonzepte umgesetzt werden, damit der Ball wieder rollt oder fliegt, eine enorme Verantwortung aufgelastet.

Aber: Bei den Ballsportarten ist wenigstens etwas Licht am Ende des Tunnels, weil der Sportbetrieb wieder anläuft – unter Einschränkungen und mit der Sorge, wie lange das der Fall ist. Andere Sportarten sind noch lange nicht so weit. Im Kreis Kleve wird in diesem Jahr vermutlich keine Lauf-, Triathlon- oder Radsportveranstaltung stattfinden, weil die Ausrichter die immensen Auflagen, die mit der Organisation dieser Veranstaltung verbunden wären, nicht stemmen können. Sie können nur auf einen Neustart im kommenden Jahr hoffen.

Aufrufe: 030.8.2020, 08:00 Uhr
RP / Joachim SchwenkAutor