Anders als die Profis, die sich in der Regel im Eins-gegen-Eins gegenüberstehen, hat der 30-Jährige die Nische der so genannten Pro-Club-Community bei FIFA 20 für sich entdeckt. Die unterscheidet sich von den gängigen Varianten. „Jeder einzelne Spieler wird von einem echten Menschen gesteuert, der wie auf dem Rasen seine eigene Position hat. Ein echtes Elf gegen Elf also“, erklärt Carrino, der im realen Leben seit sechs Jahren beim SV Millingen Fußball spielt. Teamplay und Taktik braucht es definitiv auch beim Denksport an der Konsole, den Carrino mit Sportarten wie Snooker oder Schach vergleicht. Schon länger hatte der Außendienstmitarbeiter den Plan, am NGL Premiership Ligabetrieb teilzunehmen. Um in die National Gaming League einzutreten, muss jede Mannschaft allerdings für einen eingetragenen Fußballverein „auflaufen“.
Da kam dem Familienvater eine Idee. „Ich bin an den Vorstand des SV Millingen herangetreten“, erinnert sich Carrino. Der Vorsitzende Ulrich Glanz kannte sich in der Materie nicht so gut aus, stand der Idee aber sofort positiv gegenüber. „Er war von Anfang an nicht abgeneigt. Ich habe es ihm erklärt, und er hat mir das Vertrauen geschenkt.“ Der Verein gab die Rechte mit einer Unterschrift frei, alles war ohne großen Aufwand erledigt.
Kosten entstanden bei der Gründung der E-Sport-Gruppe keine. 20 Personen, darunter eine Frau, gehören dem Millinger Kader an. Menschen aus allen Ecken Deutschlands sowie der Schweiz im Alter von 18 bis 46 Jahren trainieren vier Abende die Woche für gut zwei Stunden und organisieren sich wie ein echter Verein. Sieben bis acht von Carrinos Mitspielern kommen aus der näheren Umgebung.
Mit dem Wappen des SV Millingen geht’s gegen große E-Sport-Vertreter wie Rot-Weiß Oberhausen, den FC St. Pauli oder Austria Wien. Eine Profiliga gibt es in der Pro-Club-Community allerdings (noch) nicht. Die Elitespieler der großen Vereine Deutschlands spielen Turniere in ganz Europa, sahnen dicke Preisgelder ab und ziehen Sponsoren-Verträge an Land. „Das kann man nicht miteinander vergleichen. Wir wollen in erster Linie den SV Millingen erfolgreich repräsentieren“, sagt Carrino.
Doch wie läuft so ein Spiel genau ab? Die NGL stellt einen externen Turnierplan auf. Neueinsteiger starten automatisch in der untersten Liga. „Seit dieser Saison gibt es zwei Ligen, in denen ausschließlich reelle Vereine mitspielen dürfen. Wir haben die Erfahrung im Team, um ein Wörtchen im Aufstiegsrennen mitzureden“, ist sich Kevin Carrino sicher. Dann wären die Millinger erstklassig.
Bis in die Dörfer ist der Trendsport mittlerweile vorgestoßen. Über einen eigenen Facebook-Auftritt informiert der SVM regelmäßig über das Abschneiden seines E-Sport-Teams. Der Ehrgeiz, sich stetig zu verbessern, ist da. Angetrieben werden Kevin Carrino und Co. immer wieder auch von zahlreichen Kollegen des SV Millingen. Jedes Spiel (mittwochs ab 21.30 Uhr) wird live auf dem Streaming-Portal Twitch (www.twitch.tv/SV_Millingen) übertragen. „Die Unterstützung ist groß. Das ist eine große Motivation, wenn waschechte Millinger zuschauen und einen anfeuern.“ Jedes Team-Mitglied steuert seinen virtuellen Spieler vom eigenen Sofa aus, taktische Absprachen während einer „Party“ werden über Headsets kommuniziert.
Kevin Carrino ist engagiert. Der E-Sport befindet sich in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. Viele versuchen, auf den Zug der professionellen Schiene aufzuspringen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Sollte Carrino mit seinen Mitspielern tatsächlich der Aufstieg in die 1, Liga gelingen, wäre der SV Millingen zwar noch meilenweit davon entfernt, mit dem E-Sport seine Vereinskassen zu füllen.
Als einer der wenigen Dorfvereine am unteren Niederrhein hat der SVM aber den Schritt in den E-Sport gewagt. Und macht so auch in der virtuellen Fußball-Welt auf sich aufmerksam.