2024-04-19T07:32:36.736Z

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Hintergrund: »Das ist ein Widerspruch in der Rechtsordnung«

Richter Jürgen Olk spricht im FuPa-Interview über ungeklärte Fragen im Unfallversicherungsschutz von Fußballern

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Jürgen Olk ist Richter am Trierer Sozialgericht und zuständig für den Fall Markus Schottes. Im Interview mit Volksfreund- und FuPa-Redakteur Marek Fritzen erklärt der 61-Jährige, warum Lücken beim Unfallversicherungsschutz von Vertragsfußballern bestehen und warum der Fall Schottes kein Einzelfall bleiben könnte.


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Herr Olk, ist der Fall Markus Schottes ein Einzelfall?

Jürgen Olk: Der Fall eines Vertragsspielers, dessen Unfallversicherungsschutz durch die Berufsgenossenschaft (BG) angezweifelt wurde, ist mir bisher nicht bekannt gewesen.

Wie kommt die Berufsgenossenschaft dazu, den Versicherungsschutz anzuzweifeln?
Olk: Die BG hat ihre Verwaltungspraxis geändert und gesagt: Der Spieler gehört nicht mehr in den Kreis der versicherten Personen, weil er keinen angemessenen Stundenlohn erzielt. Was angemessen ist, definieren wir ab sofort in Anlehnung an das Mindestlohngesetz - das sind 8,50 Euro pro Stunde. Rechnen wir allerdings den Lohn des Spielers Schottes aus, kommt er vielleicht auf acht Euro. Das ist keine angemessene Relation mehr. Daraus ziehen wir die Schlussfolgerung: Der Spieler ist nicht wie ein Arbeitnehmer beschäftigt und somit ein Freizeitsportler, der für seine Behandlungskosten selbst aufkommen muss.

Schottes war in seiner Karriere allerdings schon zweimal schwerer verletzt. Da gab es kein Problem, die Behandlungskosten wurden übernommen. Inwiefern ist die Begründung der BG nun verständlich?
Olk: Das ist nicht so einfach zu sagen. Da muss man weiter zurückgehen. Vor Erlass des Mindestlohngesetzes gab es die Besprechungsergebnisse der GKV-Spitzenverbände (bestehend aus Krankenversicherung, der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung). Da hat man die Abgrenzung zwischen nicht versicherten Freizeitsportlern und beschäftigen Sportlern davon abhängig gemacht, ob die Grenze überschritten wird, die der Gesetzgeber im Einkommensteuergesetz festgelegt hat - den Freibetrag von ehemals 2000 Euro im Jahr, der durch das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes auf 2400 Euro angehoben wurde. Dem ist die Unfallversicherung gefolgt. Danach kam das Mindestlohngesetz, nach dem alle Arbeitnehmer einheitlich Anspruch auf den Mindestlohn erhalten sollten, auch Vertragsspieler wie Markus Schottes. Das allerdings wollten Vereine und Verbände nicht.

Warum nicht?
Olk: Das hätten viele Clubs finanziell nicht stemmen können. Zudem wäre es mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden gewesen, unter anderem hätte die Arbeitszeit registriert werden müssen.

Klingt kompliziert …
Olk: Ja, das stimmt. Es gab dann ein Gespräch mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Dabei hat man sich auf die Auslegung des Mindestlohngesetzes für Sportler verständigt. Man einigte sich darauf, dass Sportler wie Marcus Schottes ehrenamtlich tätig sind. Denn es gibt eine Vorschrift, wonach ehrenamtlich Tätige keinen Anspruch auf Mindestlohn haben. So ist man dann zunächst zufrieden auseinandergegangen.

Dem hat auch der DFB zugestimmt?
Olk: Ja. Das Thema Unfallversicherung spielte dabei allerdings nur eine untergeordnete Rolle. In einer Mitteilung dazu heißt es, ich zitiere: "Nach derzeitiger Beschlusslage der Verwaltungsberufsgenossenschaft setzt der Unfallversicherungsschutz für die Sportausübung voraus, dass Sportler Geld oder Sachleistungen im Wert von 200 Euro pro Monat netto erhalten. Und dass der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn nicht unterschritten wird. Nach dem nun erzielten Ergebnis für Amateur und Vertragssportler bleibt abzuwarten, ob sich hierzu weitere Änderungen ergeben. Bis dahin werden die Prüfungen der VBG im Status-Feststellungsverfahren aufgeschoben. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird hierüber in Kürze ein Gespräch mit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft führen."

Das hängt also alles ziemlich in der Luft, oder?
Olk: Kann man so sagen. Ob dieses Gespräch jemals stattgefunden hat, weiß ich nicht, ich habe dazu nichts gefunden. Ich weiß nur, dass die offizielle Haltung der VBG Folgende ist: Es muss ein angemessenes Verhältnis von Bezahlung und aufgewendeten Stunden im Bereich 8,50 Euro vorliegen.

Das wäre ja im Fall von Markus Schottes und vieler Vertragsspieler nicht der Fall.
Olk: Das konnte im Fall von Schottes nicht genau aufgeklärt werden, da wir die genaue Arbeitszeit nicht kennen. Das ist in einem Fußballclub ohnehin schwer, denn hier werden ja keine Arbeitszeitnachweise geführt.

Dennoch hat Markus Schottes Recht bekommen. Warum?
Olk: Sagen wir so: Er hätte Recht bekommen, wenn es zu einem Urteil gekommen wäre. Ich habe die Meinung des Gerichts zu diesem Zeitpunkt bekanntgegeben. Der Fall gilt als erledigt, da die BG-Vertreterin die Klage anerkannt und die Übernahme der Behandlungskosten zugesagt hat - das ist wie ein Vergleich der Beteiligten. Von daher ist das Gericht ohne offizielles Statement geblieben.

Wieso hätten Sie für ihn entschieden?
Olk: Ich habe mich da in erster Linie an den Besprechungsergebnissen des GKV-Spitzenverbandes orientiert (siehe Antwort auf Frage 3). Der GKV-Spitzenverband hat nochmal bekräftigt, dass man in solchen Fällen diese Grenze des Einkommensteuerrechts anwendet. Hinzu kommt die Regel DFB-Spielerstatut, die besagt, dass Vertragsspieler mindestens 249,99 Euro verdienen müssen. Schließlich ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Fall einer Handballspielerin der 1. Bundesliga) zu beachten, wonach es für die Frage des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes beim Vorliegen einer vertraglich vereinbarten Eingliederung in einen Beschäftigungsbetrieb auf die Entgelthöhe nicht entscheidend ankommt.

Verdient ein Aktiver 249,99 Euro oder mehr, gilt er als Vertragsspieler und genießt damit auch Unfallversicherungsschutz …
Olk: Genau. Dort wird eine bewusste Abgrenzung zwischen reinen Amateuren und Berufsspielern geschaffen. Man hebt sie aus der Gruppe der Freizeitkicker heraus. Vertragsspieler sind durch ihre Verträge verpflichtet, ihre Leistung dem Club zur Verfügung zu stellen, haben jede Menge Pflichten zu erbringen. Das ist sanktioniert. Durch diese vertragliche Beziehung ist eine arbeitnehmerbezogene Eingliederung in einen Betrieb erkennbar.

Klingt aber dennoch, also müsse dringend eine offizielle Linie gezogen werden.
Olk: Das stimmt, klar und eindeutig ist das nicht. Es ist auch ein gewisser Widerspruch in der Rechtsordnung, wenn in einem Gesetz gesagt wird: Ihr seid Ehrenamtliche und die anderen sagen, nein das sind Beschäftigte. Eine Möglichkeit wäre, ins Mindestlohngesetz eine Ausnahme zu schreiben. Weil man diesen Sportbereich aus Gründen des allgemeinen Wohls nicht dem Mindestlohngesetz unterwerfen möchte.

Schottes’ Anwältin hätte gerne ein offizielles Urteil gehabt, vielleicht auch, um einen Präzedenzfall zu schaffen - verständlich??
Olk: Sicher, das kann man verstehen. Sie hätte allerdings kein Rechtschutzbedürfnis gehabt, die Anerkenntnis durch die BG-Vertreterin abzulehnen. Die Gegenseite hat alle Forderungen des Klägers anerkannt, damit war die Sache erledigt.

Glauben Sie, dass sich Fußballer in ähnlichen Fällen nicht vor Gericht trauen, weil sie die Kosten scheuen.
Olk: Das kann ich nicht beurteilen. Nur so viel zu den Kosten: Die Verfahren vor dem Sozialgericht sind für Versicherte kostenfrei. Sie brauchen auch nicht zwingend einen Anwalt. Sie können durchaus klagen, wenn Sie sagen, dass sie mit der Entscheidung der BG nicht einverstanden sind. Aber es kann schon sein, dass es eine gewisse Hemmschwelle gibt.

Also doch, okay.
Olk: Bislang dürfte das Problem auch selten aufgetreten sein, weil die BG in ihrer bisherigen Verwaltungspraxis bei diesen Personengruppen regelmäßig Versicherungsschutz bejaht hat. Aber das könnte sich in Zukunft tatsächlich ändern. mfr

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Aufrufe: 04.8.2016, 13:19 Uhr
volksfreund.de/Marek FritzenAutor