2024-05-10T08:19:16.237Z

Vereinsnachrichten

Von der brasilianischen Armee zum SV Häger

Leandro Bernardes Silva prägt eine bewegte Vergangenheit: Wegen einer Verletzung platzte der Traum vom Profifußball. Als Soldat bekämpfte der Brasilianer dann unter anderem Waffen- und Drogenschmuggler. Jetzt hat er im Altkreis eine neue Heimat gefunden.

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Als Leandro Bernardes Silva kürzlich zusammen mit anderen Vereinsmitgliedern des SV Häger beim Bau des neuen Vereinsheims die Spitzhacke schwingt, ist er ganz in seinem Element. „Immer voller Einsatz“, lautet das Motto des 34-jährigen Brasilianers. Und wenn dies aufgrund der Corona-Pandemie nicht auf dem Fußballplatz geht, dann eben daneben. Dass Bernardes Silva mit dem Klischee des filigranen Samba-Kickers nicht viel gemein hat, haben seine Mannschaftskameraden schnell gemerkt. Schon bei seinem ersten Training Ende Oktober 2018 beeindruckt er beim Aufwärmspielchen Fünf gegen Zwei mit gesunder Härte.

„Football is full contact“, erklärt er damals noch auf Englisch. Mittlerweile ein geflügeltes Wort rund um den Oberwelland-Park. „Die jungen Nachwuchsspieler in Brasilien streben alle eine Karriere als Stürmer und Torschützenkönig an“, sagt Bernardes Silva, der in Rio de Janeiro direkt an der weltberühmten Strandpromenade im Stadtteil Copacabana aufgewachsen ist. „Ich habe auch so begonnen, aber mein damaliger Trainer hat erkannt, dass ich ein besserer Abwehrspieler bin, der ohne viele Fouls den Gegner entwaffnen kann.“

Bis zu seinem 15. Lebensjahr spielt er bei Cruzeiro in einer Art brasilianischen Jugend-Bundesliga. Dann muss er wegen einer Verletzung aufhören und der Profi-Traum platzt. Bernardes Silva entscheidet sich nach der Oberstufe für eine Karriere bei der Armee und ist seit dem Jahr 2004 Soldat bei der brasilianischen Marine. Dort bringt er es bis zum Sergeant und ist Teil der Fallschirmjäger sowie des Spezialkräfte-Kommandos. Über hitzige Kreisliga-Partien hierzulande kann er daher nur schmunzeln. Wer Waffen- und Drogenschmuggler im Dschungel an der kolumbianischen Grenze oder in den engen Gassen von Favelas bekämpft hat, sieht die Probleme und Konflikte in Deutschland eben aus einem anderen Blickwinkel.

Nach Einsätzen zur Terrorprävention bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016, wird Bernardes Silva für acht Monate als Blauhelm-Soldat auf Haiti stationiert. Dort ist er Teil einer UN-Friedensmission, die das durch ein großes Erdbeben im Jahr 2010 stark zerstörte Land beim Wiederaufbau unterstützt. In seinem Urlaub im Dezember 2016 lernt er in der Dominikanischen Republik seine heutige Lebensgefährtin kennen. „Nachdem ich zurück in Haiti war, schrieben wir uns jeden Tag Nachrichten und führten viele Videotelefonate“, erzählt Bernardes Silva.

Im März 2017 ist er schließlich das erste Mal zu Besuch in Deutschland und nach weiteren gemeinsamen Urlauben, „war mir klar, dass das so nicht bleiben konnte und ich beschloss mein Leben zu ändern“, sagt Bernardes Silva, der seit Oktober 2018 dauerhaft in Deutschland ist. Seitdem büffelt er bis zu fünfmal die Woche in einem Kurs Deutsch und hat sich schnell in seiner neuen Heimat eingelebt. Auch, weil er sich über den Bruder seiner Freundin kurz nach seiner Ankunft dem SV Häger anschließt.


Ein Freund von Bernardes Silva stirbt an Corona

Dennoch vermisst er Brasilien manchmal: „Fußball ist in Brasilien wie eine Religion. Jeder liebt es und hat einen Verein, für den er alles geben würde. An den Spieltagen sind alle Bars voll und es wird heiß diskutiert und manchmal auch geweint. Daher vermisse ich es am meisten, zusammen mit meinen Freunden meine Lieblingsmannschaft Fluminense im Maracana-Stadion anzufeuern. Selbstverständlich vermisse ich auch meine Familie.“

Um diese macht er sich aufgrund der aktuellen Lage mit stark steigenden Covid-19-Infektionszahlen natürlich Gedanken. Denn während sich die Sorgen der Menschen im Kreis Gütersloh trotz des Ausbruchs bei Tönnies scheinbar vorwiegend um abgesagte Urlaube drehen, bringt die Krankheit Brasiliens Gesundheitssystem an seine Grenzen und darüber hinaus.

„Wer über 50 Jahre alt ist, hat Probleme im Krankenhaus aufgenommen zu werden“, erzählt Bernardes Silva, der selbst bereits einen Freund aufgrund der Krankheit verloren hat. Ähnlich wie über die Streitigkeiten auf hiesigen Fußballplätzen, kann er über die Proteste gegen die derzeitigen Beschränkungen des Lebens daher nur schmunzeln. Verurteilen will er aber niemanden dafür. Er hat halt nur einen anderen Blickwinkel.

Aufrufe: 07.7.2020, 07:30 Uhr
Sven Hauhart / FuPaAutor