2024-05-08T11:10:30.900Z

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Schon 1959 war Karl-Heinz Kalbfleisch (zweite Reihe, 1. von rechts) mitten drin bei den Senioren und Betreuern des Sportvereins „Glückauf“ Elbenrod. Das Foto entstand anläßlich des zehnjährigen Bestehens. 	Foto-Repro: gkr
Schon 1959 war Karl-Heinz Kalbfleisch (zweite Reihe, 1. von rechts) mitten drin bei den Senioren und Betreuern des Sportvereins „Glückauf“ Elbenrod. Das Foto entstand anläßlich des zehnjährigen Bestehens. Foto-Repro: gkr

Er spielte vor Herberger und Schön

GESCHICHTE/KREIS ALSFELD: +++ Der „Elbenrod-Libuda“ Karl-Heinz Kalbfleisch zauberte vor zwei Bundestrainern / Angebot von Westfalia Herne ausgeschlagen +++

Elbenrod. In den 60er und 70er Jahren avancierte er zu einem der torgefährlichsten Rechtsaußen, war superschnell und trickreich. Seine Dribblings und Flankenläufe absolvierte er in Manier der Schalke-Legende Stan Libuda, war kaum vom Ball zu trennen. Und wenn er zum Abschluss kam – zappelte der Ball meistens im Netz. Die Rede ist von Karl-Heinz Kalbfleisch, der in einer Saison in der A-Klasse Alsfeld allein 60 (!) Tore für seinen SV Elbenrod schoss. Am Samstag feierte Kalbfleisch seinen 80. Geburtstag.

In der Jugend des SV 06 Alsfeld begann – mangels Jugendmannschaft des SV Elbenrod – 1953 seine „Fußball-Geschichte“. Mit gerade einmal 17 Jahren kehrte er zum SV Elbenrod zurück, spielte sofort in der ersten Senioren-Mannschaft. In den 60er Jahren wechselte er zum VfB Schrecksbach in die II. Amateurliga, kehrte später aber zu seinem Heimatverein zurück, baute in Elbenrod ein Haus und kickte noch mit 42 Jahren in der ersten Mannschaft.

Die sportliche Vergangenheit ist bei Karl-Heinz Kalbfleisch noch immer präsent. Aber Dokumentationen in Wort und Bild mochte er schon in seinen Glanzzeiten als Fußballer nicht. Fußball-Bilder aus seiner sportlich erfolgreichen Vergangenheit sind kaum vorhanden. „Die Zeit ist vorbei“, sagt Karl-Heinz Kalbfleisch und fügt an: „Es war eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Fußball und Beruf haben mein Leben geprägt.“

60 Tore in einer Saison

In der Tat: Fußball-Talent besaß Karl-Heinz Kalbfleisch schon als Kind. Schnell wurde der SV 06 Alsfeld, der dominierende Fußballverein der gesamten Region, auf den „Elbenröder“ aufmerksam. In den B- und A-Jugend-Mannschaften unter Jugendleiter Hannes Geisel wurde in der „Rambach“ gespielt. Mitspieler waren unter anderem Helmut Planz, Wilfried Tost und Wolf Schmidt. Über die A-Jugend wechselte Karl-Heinz Kalbfleisch dann als 17-jähriger mit Ausnahmegenehmigung des Hessischen Fußballverbandes (HFV) direkt in die Seniorenmannschaft seines Heimatvereins SV Elbenrod. Der SVE spielte in der A-Klasse Alsfeld. Karl-Heinz Kalbfleisch avancierte zum „Goalgetter“. Am Saisonende landete Elbenrod auf Rang zwei hinter dem FC Mücke. Garant für diesen sportlichen Aufschwung war nicht zuletzt Karl-Heinz Kalbfleisch. Es sollte noch besser kommen: 1963 gewann der SV Elbenrod unter Trainer Hans Heipel den Landratspokal. Im Endspiel gegen den FSV Angenrod gehörte Karl-Heinz Kalbfleisch erneut zu den Torschützen. Schnelligkeit, Dribblings und gekonnte Torabschlüsse weckten großes Interesse bei den anderen Fußballvereinen. Als Coach „Hennes“ Heipel den SVE verließ und zum VfB Schrecksbach ging, nahm er Karl-Heinz Kalbfleisch mit. Zwei Spielzeiten kickte der Offensivmann in der zweithöchsten hessischen Amateurliga für die „Schwälmer“. Hier wird die Erinnerung von Kalbfleisch auf die Spiele gegen Hermania und Hessen Kassel (Amateure), CSC 03, FSV Lohfelden wieder wach. „Fußballerisch meine beste Zeit“, sagt Kalbfleisch und schmunzelt. 1965 kam ein überaus reizvolles Angebot auf den Tisch.

Tilkowski-Club klopfte an

Absender: Westfalia Herne, der Heimatverein von Torhüter Hans Tilkowski, der ein Jahr später bei der WM 1966 in England das Tor der deutschen Nationalmannschaft hütete. Tilkowksi war allerdings kurz zuvor von Herne zu Borussia Dortmund gewechselt. Doch Kalbfleisch nahm das reizvolle Angebot nicht an – der Liebe wegen, die er gerade in der Schwalm entdeckt hatte.

So kehrte der Torjäger später als Spielertrainer nach Elbenrod zurück, baute hier ein Haus – mit Unterstützung zahlreicher Elbenröder Spieler. Für die Hilfe ist er heute noch dankbar. Bis zu seinem 42. Lebensjahr spielte er in der ersten Mannschaft. Und noch heute stellt er zufrieden fest: „Damals wie heute hatte und habe ich kein Gramm zu viel – das hat mir geholfen, mich locker sozusagen bei den Dribblings durch die gegnerischen Reihen mit dem Ball am Fuß zu bewegen.“

Für die Kreisauswahl Alsfeld, die in den 60er und 70er Jahren von Horst Seum (Eudorf) betreut wurde, war Karl-Heinz Kalbfleisch ob seiner fußballerischen Qualitäten gesetzt. „Wenn es möglich war, habe ich gespielt. Und es machte auch riesigen Spaß“, so Karl-Heinz Kalbfleisch rückblickend. „Mehr als 20 Spiele für die Kreisauswahl dürften es gewesen sein“, erzählt Kalbfleisch. Zwei Partien sind ihm besonders in Erinnerung geblieben „weil wir damals sozusagen unter den kritischen Augen der DFB-Bundestrainer Sepp Herbeger (1967) und Helmut Schön (1968) gespielt haben. Beim FC Mücke wurde 1967 ein neues Sportheim auf den Namen von Sepp Herberger eingeweiht“, erzählte Karl-Heinz Kalbfleisch. Die guten Verbindungen des damaligen Kreisfußballwartes August Wittich (gleichzeitig auch Vorsitzender des FC Mücke) halfen, Herberger nach Mücke zu locken. Das Treffen mit Herberger vergisst Kalbfleisch nie: „Gesprächig und menschlich redeten wir Spieler vor und nach dem Spiel mit dem ‚Chef‘, wie Fitz Walter Herberger immer bezeichnete. Einmalig“, so Kalbfleisch heute.

Helmut Schön schweigt

Ein Jahr später weihte der SV Ehringshausen sein Sportheim ein. Erwin Fiedler, dem Vorsitzenden war es gelungen, den Nachfolger von Sepp Herberger, Helmut Schön, für die Einweihung zu gewinnen. „Der Unterschied zu Herberger war groß“, erinnert sich Karl-Heinz Kalbfleisch. Helmut Schön, der spätere Weltmeistertrainer, „hat nicht mit uns gesprochen. Man begegnete sich beim Anstoß wortlos. Die Hoffnung, dass es nach dem Auswahlspiel gegen den damaligen Hessenligisten FV Breidenbach zu einem kleinen Treffen mit dem aktuellen Bundestrainer kommen würde, musste ich begraben. Offensichtlich schon während des Spieles hatte sich Helmut Schön weggemacht aus der Fußballprovinz.“

Nach seiner aktiven Zeit blieb Karl-Heinz Kalbfleisch den Fußballern in Elbenrod treu. Seine Erfahrung und sein Wissen gab er an die Jugend weiter, arbeitete im Vorstand mit. Der einstige Dribbel-König hatte die B-Lizenz erworben, trainierte die A-Jugend. Er spielte weiter in den AH-Mannschaften und half das eine oder andere Mal auch noch in der Reserve aus.

Nur ein Stadion-Besuch

Dem Fußball ist Karl-Heinz Kalbfleisch weiter verbunden, aber eine enge Verbundenheit ist es nicht. „Fußball erleben heißt selbst Fußball spielen oder Mannschaften trainieren. Zuschauen und ‚rummeckern‘, war noch nie meine Sache“, sagt er. So war der Mann, der bei dem Angebot von Westfalia Herne vor einem Sprung nach „ganz oben“ stand, erst ein einziges Mal in einem Fußball-Stadion und das ist schon viele Jahre her: In der „Glückauf-Kampfbahn“ des FC Schalke 04 in Gelsenkirchen. Der Grund: Der SV Elbenrod hat in seinem Vereinsnamen auch „Glückauf“ stehen. „Ansonsten habe ich jeden Stadionbesuch vermieden. Das wird auch so bleiben“, so Kalbfleisch. Fußball schaut er sich heute dennoch weiter an – aber im Fernsehen. Sein Fazit: „Der Fußball ist viel schneller, athletischer, taktischer und vor allem kommerzieller geworden. Das individuelle Dribbling von damals, der ‚Libuda-Stil‘, blieb auf der Strecke.“

Karl-Heinz Kalbfleisch, der jahrzehntelang als Elektriker bei der SAG in Alsfeld arbeitete und dadurch in Deutschland viel unterwegs war, lebte nach einer Scheidung zuletzt mit seiner Lebensgefährtin in Bebra. Im vergangenen Jahr kehrte er nach Elbenrod zurück. Drei Kinder und vier Enkel gratulierten ihm – neben vielen Fußballkameraden von einst – am Samstag zu seinem 80. Geburtstag.

Aufrufe: 03.1.2021, 06:10 Uhr
Günther Krämer (Oberhessische Zeitung)Autor