2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
Seit Dezember ist Oliver Seitz als Videoanalyst beim SSV Ulm 1846 mit dabei. Beim Filmen kommt ein besonderes Stativ zum Einsatz (Bild oben). Außerdem sind Spieler mit GPS-Sendern ausgestattet (rechts oben). Jeder Kicker hat seinen eigenen. Die Daten werden am Computer analysiert (rechts Mitte) und in besonderen Unterhemden befestigt (rechts unten).  Fotos: Alexander Kaya
Seit Dezember ist Oliver Seitz als Videoanalyst beim SSV Ulm 1846 mit dabei. Beim Filmen kommt ein besonderes Stativ zum Einsatz (Bild oben). Außerdem sind Spieler mit GPS-Sendern ausgestattet (rechts oben). Jeder Kicker hat seinen eigenen. Die Daten werden am Computer analysiert (rechts Mitte) und in besonderen Unterhemden befestigt (rechts unten). Fotos: Alexander Kaya

Die Vermessung des Fußballs

Die Ulmer Spatzen nutzen seit dieser Saison mehr moderne Systeme im Training und in Partien, um ihr Spiel zu verbessern +++ Das wirft zwei Fragen auf: Was bringt es? Und: Warum müssen die Profis dafür BHs tragen?

Keiner kann sich verstecken. Jeder Anflug von Faulheit, jeder lahme Sprintversuch und jeder schlampige Pass – die Trainer bekommen alles mit. Wenn nicht mit dem bloßen Auge, dann mit dem seiner Videokamera. Technik spielt beim SSV Ulm 1846 seit dieser Saison eine so große Rolle wie nie zuvor.

Die Spatzen ackern zurzeit auf dem Kunstrasenplatz an der Ulmer Jahnhalle, um sich auf die Restrunde der Regionalliga Südwest vorzubereiten, die an diesem Samstag startet. Laufeinheiten, Technikübungen, Schießtraining, das normale Programm eben. Oliver Seitz ist als Videoanalyst mit dabei. Mit einem übergroßen Kamerastativ steht er an der Seitenlinie und zeichnet auf, was die Spieler gerade tun. Das Stativ lässt sich auf bis zu zehn Metern Höhe ausfahren, auf Hüfthöhe ist ein kleiner Monitor montiert und an der Spitze thront eine Kamera, die im Vergleich zur ganzen Apparatur winzig und unscheinbar wirkt. Ihre Funktion ist ungleich wichtiger. „Sie ist eine enorme Hilfe“, erklärt der 38-jährige Seitz, der als Spieler unter anderem bei den Spatzen, beim FV Illertissen und beim VfR Aalen auf dem Platz stand. „Im modernen Fußball geht’s gar nicht mehr ohne.“ Aus seinen Videoaufnahmen kann er Sequenzen erstellen, um den Spielern zu zeigen, was gut funktioniert und was weniger.

Einen eigenen Videoanalysten gibt es an der Donau erst seit dieser Saison, davor hat sich Co-Trainer Sven Ackermann darum gekümmert. Trainer Holger Bachthaler hat die ausgiebige Videoanalyse in seiner Tätigkeit als Jugendtrainer bei RB Salzburg kennen und schätzen gelernt. In Ulm wollte er darauf nicht verzichten und hatte deshalb neben der Technik Philipp Maier im Schlepptau, als er im vergangenen Sommer zum SSV kam. Maier ist ein Experte auf dem Gebiet, hat den Regionalligisten aber im Dezember aus persönlichen Gründen verlassen. Oliver Seitz sprang ein – auch wenn er als U16-Trainer schon eine wichtige Position im Verein inne und von der Technik nur wenig Ahnung hatte. „Ich wurde ins kalte Wasser geworfen“, sagt er. Um sich in das neue Hilfsmittel reinzufuchsen, hospitierte er zwei Tage lang beim Bundesligisten FC Augsburg, der auf das gleiche System schwört wie der SSV. Für Seitz ist die Vorbereitungszeit seiner Mannschaft auf die Restrunde eine spannende Phase. Bisher hat er die Technik nur bei den Testspielen eingesetzt, in der Liga noch nicht. Dabei wird es dann richtig interessant.

Das Ziel der Videoanalyse ist der kurz- und langfristige Erfolg. Langfristig, weil sich eine Mannschaft durch den Einsatz auf lange Sicht verbessern soll. Kurzfristig, weil die Technik sogar schon in der Halbzeitpause helfen kann. Jedes Spiel der Regionalliga wird aufgezeichnet und hinterher den Teams zur Verfügung gestellt. Aber schon während einer Partie können Mannschaften auf das Material zugreifen. Die Bilder laufen live auf dem Computer der Videoanalysten ein und die haben die Möglichkeit, direkt Sequenzen zu erstellen. Auf einem Bildschirm in der Kabine werden diese Sequenzen den Spielern dann gezeigt. Einerseits, um Schwachstellen im eigenen Spiel und dem des Gegners aufzuzeigen und andererseits, um die eigenen Kicker zu motivieren. „Wir zeigen ihnen auch positive Dinge“, erklärt Seitz. „Und wollen ihnen so Mut zusprechen.“ Zudem könnten Spieler besser auf Eventualitäten vorbereitet werden. Wird der Fußball dadurch berechenbarer? Seitz ist deutlich: „Ja.“

Ein Allheilmittel ist die Videoanalyse aber natürlich nicht. Denn wenn eine Mannschaft auf Videos des Gegners zugreifen kann, kann er das umgekehrt auch. Erkennt eine Mannschaft Muster im eigenen Spiel, erkennt das der Gegner vielleicht ebenso. Wie soll man sich also auf das nächste Spiel vorbereiten? „Grundsätzlich ist es wichtig, dass ein Trainer einen Plan B hat und eine Mannschaft flexibel ist in ihrem System“, erklärt Seitz. Die Vorbereitung auf ein Spiel am Wochenende beginnt in der Regel am Montag davor. Dann wertet Oliver Seitz das Spiel der eigenen Mannschaft und die vergangenen drei Partien des kommenden Gegners aus. Seine Erkenntnisse fließen anschließend ins Training ein. Doch da gibt es noch eine andere Hilfe.

Nach einzelnen Hinrundenpartien und besonders nach den Spielen des DFB-Pokals im Sommer wurden einige Zuschauer auf ein besonderes Kleidungsstück der Ulmer aufmerksam, das die Kicker unter ihrem Trikot trugen – und die aussahen, als seien sie BHs. Sven Ackermann lacht. „Wir nennen sie tatsächlich BHs für Männer“, sagt der Co-Trainer. Was ulkig klingt und aussieht, hat aber einen praktischen Nutzen: in die Oberteile können GPS-Sender gesteckt werden. Das sind kleine Kästchen, die ein Signal zu einem Satelliten aufbauen, wenn sie eingeschaltet werden. So zeichnen sie jeden Schritt auf, den ein Fußballer im Training oder im Spiel macht. Wegen einer gewissen Technik-bedingten Ungenauigkeit zwar nicht hundertprozentig akkurat, aber genau genug. So entstehen Daten, die am Ende einer Einheit oder einer Partie ausgelesen werden. Sie geben Auskunft darüber, welche Strecke ein Spieler zurückgelegt hat, wie viele Sprints er angezogen hat, wie schnell er dabei war und so weiter. Das Ziel: „die Vergleichbarkeit“, sagt Ackermann. Denn durch die Daten kann das Trainerteam auslesen, wie sehr sich ein Spieler reinhängt. Schon ein paar Meter können einen Unterschied machen.

Sven Ackermann steht an einer Magnettafel im Ulmer Trainerbüro, das unter der Haupttribüne des Donaustadions liegt. Neben den vielen Laptops, dem großen Flachbildfernseher an der Wand und dem Koffer mit den GPS-Sendern wirkt die Magnettafel aus der Zeit gefallen. Wichtig bleibt sie trotzdem. Generell sei es so, erklärt Ackermann: Durch Daten habe man über die Zeit festgestellt, dass im Duell zweier gleich starker Teams tendenziell häufiger die Mannschaft gewinnt, die in einem Spiel mehr läuft. Ihr Einsatz ist größer, die Spieler geben mehr. Da kann ein einzelner, der nicht so viel läuft, schon auffallen. Leider meist dann, wenn durch seine fehlende Laufbereitschaft Lücken entstehen, die der Gegner für einen Angriff nutzt.

Was die Empfänger messen, dient also den Trainern als Auskunft darüber, wie viel Leistung ein Spieler bringt und dem Profi selbst sagt es, in welchen Bereichen er sich verbessern muss. Außerdem kann eine Mannschaft so die Belastung im Training besser steuern – weil sie sichtbar wird. Bei den Kickern selbst kommt das gut an: „Sie können es kaum erwarten, neue Daten zu bekommen“, sagt Ackermann. Doch wie bei der Videoanalyse gilt auch hierbei: „Pauschalisieren kann man gar nichts“, erklärt der Co-Trainer. Das mussten die Spatzen in der Hinrunde selbst feststellen. Gegen Waldhof Mannheim waren sie klar besser, auch die Daten sprachen deutlich für den SSV. Am Ende verlor er mit 0:2.

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Aufrufe: 024.2.2019, 10:38 Uhr
Neu-Ulmer Zeitung / Gideon ÖtingerAutor