2024-04-16T09:15:35.043Z

Interview
Zum vierten Mal in drei Jahren steht Johannes Reichert mit den Ulmer Spatzen im DFB-Pokal – am Samstag gegen Erzgebirge Aue.
Zum vierten Mal in drei Jahren steht Johannes Reichert mit den Ulmer Spatzen im DFB-Pokal – am Samstag gegen Erzgebirge Aue. – Foto: Horst Hörger

„Ansporn, Traum und Ziel“

Vor der Partie gegen Erzgebirge Aue spricht der SSV-Verteidiger Johannes Reichert über den kommenden Gegner, die Regionalliga und den Druck, unter dem sein Team steht

Nein, aufgeregt ist er eigentlich nicht, erzählt Johannes Reichert, als er gerade die Treppen der Haupttribüne im Ulmer Donaustadion nach oben geht. Am Samstag (18.30 Uhr) steht das DFB-Pokalspiel seines SSV Ulm 1846 gegen Erzgebirge Aue an, doch so richtig will bei dem 29-jährigen Verteidiger keine Pokalstimmung aufkommen. „Vielleicht liegt’s daran, dass kaum Zuschauer kommen dürfen“, überlegt er. „Und weil die Stimmung in der Stadt eine andere sein wird.“ Dann kommt er oben auf der Tribüne an, setzt sich hin und erklärt im Interview, warum die Partie natürlich trotzdem keine ist wie die anderen.

Herr Reichert, Sie erleben am Samstag das vierte DFB-Pokalspiel der Ulmer Spatzen innerhalb von drei Jahren. Routine für Sie?

Johannes Reichert: Routine kann man das nicht nennen. Vor Corona waren unsere Spiele im DFB-Pokal immer ausverkauft. Das ist für uns nicht gang und gäbe, wenn man sich unseren Zuschauerschnitt in der Regionalliga anschaut. Auch der Wettbewerb ist ein anderer: Er ist national und man steht im Fokus der Öffentlichkeit – was in der Regionalliga auch nicht so ist. Jedes Spiel ist ein Erlebnis, jedes Spiel ist ein Highlight.

Erzgebirge Aue heißt der Ulmer Gegner am Samstag. Was ist gegen den Zweitligisten drin?

Reichert: Wenn wir das, was uns stark macht, auf den Platz bekommen, brauchen wir uns vor niemandem verstecken. Klar wissen wir, dass Aue Qualität hat. Trotzdem können wir mutig spielen und einen guten Tag erwischen.

Nach der Auslosung hat sich die Begeisterung über das Los bei vielen in Grenzen gehalten. Aue ist nicht gerade der populärste Klub in der zweiten Bundesliga.

Reichert: Klar wünschen sich die Fans einen großen Verein und ein volles Stadion, aber das fällt ja sowieso gerade weg.

Man stelle sich nur vor, Bayern München käme und das Donaustadion müsste leer bleiben...

Reichert: Eben. Und deshalb sage ich: Aue ist gar nicht so schlecht. Ich habe mich jedenfalls gleich gefreut, denn ich wittere da eher eine Chance aufs Weiterkommen.

Als Regionalligist haben Sie im DFB-Pokal gegen einen Zweitligisten wie Erzgebirge Aue automatisch die Rolle des Underdogs inne. Nimmt das den Druck?

Reichert: Im Großen und Ganzen ist es schon so, weil wir wissen, dass wir eigentlich nichts zu verlieren haben. Aber wir wissen aus unserem Pokal, wie schwierig es oft ist, gegen zwei Klassen niedrigere Teams zu spielen, auch wenn wir der Favorit sind. Deshalb werden wir alles reinhauen, egal ob Underdog oder Favorit.

In der Liga ist es dafür genau umgekehrt, da gehören Sie zu den Favoriten und wollen oben angreifen. Eine ganz andere Ausgangssituation.

Reichert: Ja klar. Wir haben Ambitionen, die leben wir und an denen wollen wir uns auch messen lassen. Da ist es zwangsläufig so, dass wir unsere Spiele gewinnen müssen und deshalb Druck haben. Den bekommen wir aber nicht aufgezwungen, den wollen wir alle selbst.

Das heißt, der Drei-Jahres-Plan, der vom Vorstand für den Aufstieg kommuniziert wurde, ist für Sie keine Bürde, sondern eher Ansporn?

Reichert: Genau. Es ist mein Ansporn, mein Traum, mein Ziel. Ich bin froh, dass der Verein auch dieses Ziel hat und alles dafür tut, um dieses Ziel zu erreichen. Ich bin froh über den Druck, weil ich sehe, dass es jetzt einfach klappen muss. Jetzt sind wir sportlich gefordert und können uns nicht mehr mit einem Mittelfeldplatz zufriedengeben, wie es in den vergangenen Jahren der Fall war.

Sie beschreiben den Druck von innen. Dann gibt es aber auch noch den der Fans, von denen einige ganz ungeduldig in Richtung Aufstieg blicken.

Reichert: Das ist normal, wenn man als Verein so einen Drei-Jahres-Plan herausgibt und konkret sagt, dass man aufsteigen möchte. Wir hatten ja das erste Beispiel nach dem 0:0 gegen Koblenz. Da kommt dann von außen eine Stimmung oder Kritik, die wir alle mitbekommen, bei der man aber auch sieht, dass sie nicht ganz verhältnismäßig abläuft. Aber trotzdem: Damit müssen wir umgehen, das wird immer so sein und es wird auch immer Rückschläge geben.

Ist das Ulmer Umfeld schwieriger als woanders?

Reichert: Ja, weil die Namen in unserer Liga oftmals zwar nicht so groß sind, die Spieler aber trotzdem gut. Und wenn man dann unseren Namen sieht, SSV Ulm, denken viele eben, dass wir ganz klar gewinnen müssen. Das ist aber nicht so, weil die Leistungsdichte in der Regionalliga extrem ist. Aber wie gesagt: Da müssen wir durch und dem Druck standhalten.

Sie kennen den Verein seit der Jugend, nur von 2014 bis 2016 spielten Sie in Kaiserslautern. Wenn Sie den Klub von heute mit dem von früher vergleichen, was ist das für ein Unterschied?

Reichert: Ein krasser Unterschied, in allen Bereichen. Ob das jetzt Trainingsplätze sind, ob das die Professionalität ist, unsere Auswärtsfahrten mit dem Bus, Hotels – da gibt es so viele Dinge, die sich zum Positiven verändert haben, dass ich echt stolz bin. Vor sechs, sieben Jahren war es für mich immer ein Traum, dass der Verein mal so ist, wie er heute ist.

Ist die dritte Teilnahme am DFB-Pokal in Folge der Beweis für die gute Entwicklung?

Reichert: Auf jeden Fall. Dass man drei Jahre nacheinander den WFV-Pokal gewinnt, ist nicht selbstverständlich.

Sie sind mit vier Punkten aus zwei Spielen in die neue Regionalliga-Saison gestartet, die sehr anders sein wird als die zurückliegenden. Allein schon, was den sehr engen Spielplan angeht.

Reichert: So viele Englische Wochen hat, glaube ich, noch nie jemand von uns erlebt. Da ist die Professionalität von jedem gefragt, darauf zu achten, wie er mit seinem Körper umgeht. Die Regeneration wird in dieser Saison sehr wichtig.

Professionalität wird auch beim Thema Rotation verlangt, die zwangsläufig kommen wird. Da kann nicht jeder immer auf seine Einsatzzeiten pochen.

Reichert: Eine gute Mannschaft lebt von ihrer positiven Stimmung, das ist sehr wichtig. Wir haben eine große Konkurrenzsituation und da ist jeder gefragt, für das große Ziel auch mal eine Pause zu akzeptieren.

Wie schwer fällt das einem Fußballer?

Reichert: Natürlich ist das schwer. Jeder würde am liebsten immer spielen, aber das ist einfach nicht möglich, vor allem bei der Anzahl an Spielen, die wir gerade haben. Deshalb muss jeder sein Ego ein bisschen zurückschrauben.

In den vergangenen beiden Saisons sind mit Mannheim und Saarbrücken Teams aufgestiegen, die extrem konstant auf hohem Niveau gespielt haben. Kann das Ulm auch?

Reichert: Auch Mannheim und Saarbrücken haben davor nie so konstant gespielt, das war eine Entwicklung. Sie haben sich die Konstanz erarbeitet. Auch bei uns ist das ein Prozess, wir haben es in den vergangenen Jahren nie geschafft, konstant zu sein und hatten immer unsere Schwankungen. Und mit Schwankungen kann man halt nicht aufsteigen. Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem wir sagen: Wir wollen uns diese Konstanz erarbeiten und die Mentalität, alles gewinnen zu wollen. In den nächsten Jahren sehe ich uns da aber schon.


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Aufrufe: 011.9.2020, 20:37 Uhr
Neu-Ulmer Zeitung / Gideon ÖtingerAutor