2024-04-25T14:35:39.956Z

Halle
Teil eins des Wunders ist vollbracht: die Futsaler des SSV Jah 1889 um ihren Spielertrainer Lucas Kruel (rot, ganz re.) stehen im Finale der Deutschen Meisterschaft. F: Würthele
Teil eins des Wunders ist vollbracht: die Futsaler des SSV Jah 1889 um ihren Spielertrainer Lucas Kruel (rot, ganz re.) stehen im Finale der Deutschen Meisterschaft. F: Würthele

Das perfekte Werbespiel für Futsal

1:4, 3:5, noch 251 Sekunden: Der SSV Jahn 1889 Regensburg schien gegen Hamburg verloren zu haben – und steht doch im Finale. Das findet am 30. April in Zwickau statt.

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Jetzt konnte nur noch ein Leibchen helfen. Kein blaues – das trugen ja die Wechselspieler des SSV Jahn 1889. Kein grünes – das war für die Hamburg Panthers reserviert. Die Regensburger suchten hektisch nach dem so wichtigen Zusatztrikot für ihren Feldspieler-Torwart: Orange wurde zur Farbe der Hoffnung. Und tatsächlich: Aus einem 1:4 und 3:5 machten die Regensburger ein 5:5 und schließlich 9:8 nach Sechsmeterschießen. Regensburg beendete damit zumindest vorerst die Hamburger Futsal-Dominanz in Deutschland und zog ins Finale ein, das am 30. April (17 Uhr) in Zwickau gegen das osteuropäisch geprägte Team aus Hohenstein-Ernstthal ausgetragen wird.

Andre Luiz Peres hatte sich jenes orangene Leibchen als zusätzlicher Feldspieler anstelle eines Torhüters übergestreift: 251 Sekunden vor dem Ende half bei einem Zwei-Tore-Rückstand in der Regensburger Nord-Halle nur noch das letzte Mittel im Futsal, der fliegende Torwart bei leerem Tor.

Oft geht das schief. Sehr oft sogar. Die Gegner hatten es in der Saison öfter mal probiert gegen die Jahn-Brasilianer – und immer Schiffbruch erlitten. Der SSV Jahn 1889 aber machte es gut. Es funktionierte ein erstes Mal. Luis Gustavo, der Denker und Lenker im Spiel, genannt Alemao, gelang 122 Sekunden vor dem Ende das vierte Jahn-Tor. Nicht herausgespielt, sondern nach einer Ecke. Egal, aber es fehlte ja noch immer ein Tor.

Geduld bis zum 15. Pass

Die Regensburger passten und passten im Dreieck weiter – ein Ballverlust wäre bei verlassenem Tor tödlich. Sechs Pässe am Stück. Foul an Perez. Freistoß. 64 Sekunden bis zum Ende. Noch einmal Geduld. Wieder schoben sich Spielertrainer Lucas Kruel und Co. die Bälle zu. Der 15. Pass war der entscheidende. Marquinhos, die nach der Regionalliga-Meisterschaft nachverpflichtete Kraft, die den in die brasilianische Profiliga abgewanderten 45-Tore-Mann Mauricio Naimayer ersetzen sollte, stand ganz rechts außen frei. Dem 25-Jährigen gelang ein Kunstschuss aus spitzestem Winkel gegen den deutschen Nationaltorwart Yalcin Ceylani – 5:5! 42 Sekunden vor Schluss!

Es war der erste Teil des Happyends eines Werbespiels für Futsal mit all seinen Reizen und mit einem Drehbuch, das aus Siegersicht nicht besser geschrieben hätte werden können. Hamburg machte aus einem frühen 0:1 ein 4:1. Es sah nach einer Machtdemonstration jenes eingespielten und breit besetzten Teams mit einem kompletten Nationalspieler-Block zu werden, das in vier der vergangenen fünf Jahre Meister geworden war.

Alle Szenen vom packenden Spiel finden Sie hier:




Aufmerksamer Analysator unter den 350 Zuschauern in der Regensburger Nordhalle war Marcel Loosveld. Der 54-jährige Niederländer stand 1989 im WM-Finale, trainierte zuletzt sieben Jahre das niederländische Nationalteam (jetzt Platz 26 der Weltrangliste), das schon 1977 sein erstes Länderspiel absolvierte, und sondiert gerade die Lage als neuer Nationaltrainer in Deutschland. „Hamburg hat schwach angefangen, dann die Initiative übernommen. Regensburg hat die zweite Hälfte gut gespielt, aber Hamburg hat mitgeholfen, weil sie nicht mehr Pressing gespielt haben“, fasste Loosveld zusammen.

Alemaos 1:0-Führung beantworteten die Gäste in 7:26 Minuten mit den Treffern von Mohamed Labiadh, Saboor Khalili, Nico Zankl und Michael Meyer. „Doch im Futsal ist ein Spiel niemals entschieden“, wies Loosveld hin und sprach schon zur Pause von der Bedeutung der letzten fünf Minuten, in denen es noch einen Tiefschlag für Regensburg setzte. Doch auch Stefan Winkels 5:3 war nicht das Siegtor für Hamburg.

„Das geht eigentlich gar nicht“

Es folgte die erfolgreiche Aufholjagd mit fliegendem Torwart. Und auch die Zuschauer taten für Regensburger Verhältnisse Ungewöhnliches: Sie feuerten trotz Rückstand an. In der Verlängerung schnauften die Regensburger durch. „Erstaunlich, dass Regensburg das Niveau hält mit fünf Feldspielern. Das geht eigentlich gar nicht. Aber sie haben es geschafft, Gratulation“, sagte Hamburgs Trainer Jos van Gerven, auch ein Holländer – und trauerte den verpassten Chancen nach. „Wir hätten das ganze Spiel den Unterschied größer machen müssen, vielleicht 6:2, 6:3. Dann wäre es klar gewesen.“

Dem Sechsmeterschießen hatte Oliver Vogel, der Abteilungsleiter des SSV Jahn 1889 und Initiator des Regensburger Futsal-Projekts, voller Optimismus entgegengeblickt: „Da war ich mir sicher. Unser Torwart Raul macht das sein ganzes Leben. Der steht einfach da und bewegt sich keinen Millimeter“ – und hielt so drei der sechs Versuche.

Das Sechsmeterschießen war Teil zwei des Happyends. Nach Treffern von Alemao und Lucas Kruel schien der Weg bereitet. Doch auch Rauls Kollege Ceylani parierte: Erst gegen Marquinhos im Duett von Hand und Pfosten, dann gegen Halison Goncalves – plötzlich schien Hamburg wieder auf der Siegerstraße. Bis Ceylani selbst verschoss und Leonardo Dias Ceresa, der dritte Keeper des SSV Jahn 1889, seinen Versuch verwandelte. „Leo kann das“, sagte Vogel. „Es war eben ein Spiel der Torwarte. Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Das war einer der geilsten Tage meines Lebens.“ Vielleicht kommt ja bald noch ein besserer.


Aufrufe: 018.4.2017, 15:45 Uhr
Claus WotrubaAutor