2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines
<b>F: Talash</b>
<b>F: Talash</b>

SSV Hagens Präsident Ömür Turhan im Interview

Über den verpatzten Saisonstart, die Unruhen, die Neuzugänge und die Zukunft des Vereins

Ömür Turhan, Präsident des SSV Hagen, hat nach dem schwachen Saisonstart und den Unruhen im Verein Rede und Antwort gestanden. Der Chef-Adler stellt im exklusiven Interview nicht nur seinen Posten zur Verfügung, sondern erklärt auch die Gründe der jüngsten Zu- und Abgänge. Die Oberliga Westfalen und die Jugendarbeit sind ebenso wie die Außendarstellung des Klubs zentrale Themen.

Ömür, ihr habt gegen Bad Berleburg auf dem Platz die richtige Reaktion gezeigt, aber nicht gewonnen (0:0). Wie bewertest du die Partie im Nachgang?
Ömür Turhan: Wenn man die Umstände betrachtet, die im Fußball passieren können, dann ist die Reaktion auf dem Platz zufriedenstellend gewesen. Fehlende Leidenschaft wie Kampf und Herz waren diesmal da, gefehlt hat nur das Sahnehäubchen, ein Tor. Wir hätten aber noch drei weitere Tage spielen können und nicht getroffen, aber das ist nicht weiter schlimm.

Besonders war im zweiten Heimspiel, dass du wieder am Seitenrand Platz genommen hast und mit Marcel Ramsey (Westfalia Herne) und Kerim Dastan (Fortuna Düsseldorf) zwei neue Akteure im Aufgebot standen. Wie hat es sich einerseits angefühlt, wieder aktiv mitzuwirken, und andererseits, wie ist es zu den Neuverpflichtungen gekommen?
Turhan: Dass ich an der Seitenlinie stand, war eine einmalige und technische Lösung. In der Landesliga achten die Schiedsrichter exakt darauf, wer Anweisungen gibt. Da unser Trainer Giovanni Federico gespielt hat, habe ich für die Partie die Trainerfunktion von außen übernommen. Mit den beiden Spielern standen wir zuvor schon in Kontakt und da uns einige Akteure verlassen haben, wollten wir nochmal reagieren. Ramsey ist in NRW bekannt und ein Top-Stürmer. Er wird uns genauso wie Kerim sehr viel Freude bereiten. Bei Kerim, der in den letzten fünf Jahren in der Junioren-Bundesliga gespielt hat, ist es aber so, dass er sich erstmal an den Seniorenfußball gewöhnen muss und langsam an das Team herangeführt wird. Er wird uns aber gewiss weiterbringen.

Euer A-Jugendtrainer Ercan Aktan ist nun neuer Co-Trainer. Wie sehen seine Aufgaben konkret aus?
Turhan: Die interne Aufteilung überlasse ich ihm und Giovanni. Das ist aber ganz normal, sie sprechen sich ab, er bringt sich ein und wird der Mannschaft helfen. Sein Fokus wird aber nach wie vor auf der A-Jugend liegen, die wir in den nächsten Jahren weiter pushen möchten. Für die Spieler ist das zudem ein besonderer Anreiz, denn sie wissen, dass ihr Trainer den direkten Draht zu ersten Mannschaft hat. Zudem werden wir wohl auch das spielerische System übernehmen, um eine leichte Eingewöhnung zu garantieren. Hier haben wir aber noch andere Pläne auf dem Schirm.

Wie sehen diese Pläne aus?
Turhan: Die Historie des SSV ist die, dass wir früher die beste Jugendarbeit im ganzen Kreis Hagen hatten. Wenn es Spieler in den Profibereich geschafft haben, dann waren es Adler. Da wollen wir wieder hin, wissen aber auch, dass es ein langfristiger Prozess ist. Momentan laufen Gespräche mit einem anderen Verein, um in der Jugend zu fusionieren. Ziel ist es, eine private Kunstrasenplatzanlage zu bekommen, damit wir nicht mehr auf die Stadt Hagen angewiesen sind, um bestmöglich arbeiten zu können. Die Jugend muss auch beim SSV wieder die Zukunft sein.

Dass es noch zu Veränderungen gekommen ist, liegt an den Entscheidungen der Vorwoche. Co-Trainer Boris Decker und Dominik Lipki sind gegangen beziehungsweise wurden gegangen. Hier scheidet sich die öffentliche Wahrnehmung. Dein Kommentar dazu?
Turhan: Bei Dominik ist es klar, dass er aussortiert wurde. Was ich halt sehr schwach finde, dass man im Fußballgeschäft nicht damit leben kann, dass Entscheidungen gefällt werden, die einem unangenehm sind. Deshalb finde ich es unfair, dass Herr Decker die Sachen verdreht, denn auch wurde gegangen. Das sieht man in der Bundesliga auch, aber so ist das nun mal. Ich finde es nicht gut, aber jeder Mensch ist anders. Wer bei einer so banalen Geschichte schon die Sachen verdreht, dann kann man sich auch schon vorstellen, dass die anderen Sachen, die er so rumerzählt, nicht der Wahrheit entsprechen. Ich möchte das mit Herrn Decker jetzt nicht in die Länge ziehen, weil ich ihm persönlich nicht schaden möchte. Hätte es an den Ergebnissen gelegen, wäre auch Giovanni Federico gegangen. Unter anderem lag es daran, wen er als Scout eingesetzt hat.

Infolgedessen haben Anjo Wilmanns, Sebastian Niesewicz und auch Rückkehrer Marko Schott, der ja auch erst zwei Wochen dabei war, ihren Rücktritt erklärt, um sich mit Lipki zu solidarisieren. Das spricht nicht gerade für das Klima innerhalb der Truppe.
Turhan: Man muss einfach mal eine Sache bedenken: Mit Schott, Ramsay und Kerem haben wir insgesamt 20 Neuverpflichtungen. Wenn man sich bei einem irrt, das ist bei Lipki passiert, ist das eine gute Fehlerquote. Dass sich dann die eigenen Freunde solidarisieren, die sich seit Jahren kennen und Fahrgemeinschaften machen, ohne jetzt zu gucken, ob wir Recht haben oder nicht, ist das kein Beleg dafür, wie es innerhalb der Mannschaft ist. Hätten andere Spieler genauso reagiert, würde es gegen das Klima sprechen. Wir haben Spieler, die noch höher gespielt haben, die das ganze ganz anders sehen. Sie würden dann sicherlich nicht mehr bei uns spielen, wenn es bei uns eine schlechte Atmosphäre gäbe.

Hast du Verständnis für die freundschaftliche Solidarität?
Turhan: Wenn man das so hört, ist das natürlich eine tolle Aktion. Man muss aber auch mal schauen, ob der Freund einen im Stich gelassen hat mit so einer Aktion. Ich kann das mit der Solidarisierung wegen Freundschaft schon verstehen, aber man steht andererseits auch mit dem Verein im Wort. Es sind super Jungs und ich wünsche ihnen nur das Beste. Wir haben uns friedlich geeinigt und wir werden niemanden Steine in den Weg legen.

Kommen wir zurück zur laufen Saison. Vier Spiele, vier Punkte. Auswärts beide Begegnungen verloren. Für mich liest sich das bei den Ansprüchen des SSV Hagen nach einem Fehlstart.
Turhan: Wenn man von zwölf möglichen Punkte nur vier hat, kann man nicht von einem erfolgreichen Start sprechen. Man muss aber auch mal schauen, gegen wen wir gespielt haben: Meinerzhagen (2:3), Dröschede (4:1) und Werdohl (2:3) gehören zu den besten Teams der Liga, deshalb muss man mal überlegen, ob man mit zehn oder zwölf Punkten wirklich hätte rechnen müssen. Die zwei verlorenen Punkte gegen Bad Berleburg schmerzen auf jeden Fall. Ein unbedingter Fehlstart ist es allerdings aufgrund unseres Umbruchs und des Programms nicht, bezieht man sich nur auf die Punkte, dann schon.

Du behandelst die Mannschaft bekanntlich mit einem wirtschaftlichen Pragmatismus, sprich: Wer seine Leistung nicht bringt, muss gehen. In den letzten Jahren hast du in der Rückrunde zum Frühjahresputz angesetzt. Müssen sich die Spieler auch in diesem Jahr wieder um ihren Kaderplatz fürchten?
Turhan: Es kommt darauf an, welche Kriterien man als Leistung nimmt. Gegen Bad Berleburg haben alle eine gute Leistung gebracht, nur wir haben das Tor nicht getroffen. Was soll ich den Jungs deshalb einen Vorwurf machen? Wenn alle eine gute Leistung bringen und wir nach der Hinrunde auf Platz acht stehen, wieso sollte ich dann einen Frühjahresputz machen? Wenn wir alle wissen, woran es liegt, ist es eine andere Sache. Wenn ich aber davon überzeugt bin, dass ich eine super Mannschaft habe, aber die Einstellung nicht stimmt und die Leistungen nicht gebracht werden, dann müssen die entsprechenden Leute gehen. Punkt. Man muss aber auch fairerweise eingestehen, dass wir im ersten Jahr stets Anlaufschwierigkeiten hatten und erst im zweiten Jahr unsere Ziele erreicht haben – so war es zumindest zuletzt. Es ist eigentlich noch zu früh und nicht gerechtfertigt, jetzt darüber schon nachzudenken. Mit den letzten beiden Verpflichtungen haben wir eine unnormale Qualität im Kader und ich glaube an meine Jungs. Sie werden zeitnah eine Siegesserie hinlegen.

Die große Fluktuation in den letzten Jahren, die Freistellung von Lipki und die Rücktritte der drei weiteren Kicker… Ich könnte mir vorstellen, dass es sich ein Spieler demnächst zweimal überlegt, zu euch zu wechseln.
Turhan: Man muss immer genau beleuchten, was genau da passiert. Das wird immer passieren, egal wo. Wenn man eine Clique holt und einen Leitwolf aussortiert oder dieser wechselt, werden die Spieler den Verein immer wieder verlassen. Das wird im Januar passieren oder auch in den nächsten Jahren, bei uns oder sonst wo. Wir als Verein müssen uns aber genau überlegen, ob wir zukünftig Cliquen holen, damit wir nicht wieder in eine solche Zwickmühle kommen. Zur Fluktuation: Es ist ja so, dass wir innerhalb von vier Jahren von der Kreisliga in die Landesliga aufgestiegen sind. Man muss die Ziele von Vereinen vergleichen: Will ich jetzt die nächsten Jahre in einer Liga bleiben oder schnellstmöglich beispielsweise in die Landesliga aufsteigen. Unter dem Aspekt muss halt auch der Kader angepasst werden. Diesmal haben wir es allerdings so gemacht, dass wir ein Gerüst für die nächsten zwei, drei Jahre zusammengestellt haben. Wir wollen langfristig in die Oberliga und dafür muss hier etwas zusammenwachsen. Anjo Wilmanns hat uns Marcel Ramsey beispielsweise empfohlen. Marcel hat seine eigenen Erfahrungen mit uns gemacht und diese waren scheinbar nicht allzu schlecht. Timo Reinhard ist vor der Saison eigentlich zu TSC Eintracht Dortmund gewechselt, wollte aber nach vier Wochen unbedingt wieder zurück und steht jetzt wieder bei uns zwischen den Pfosten. Wir sind garantiert keine Unmenschen, sonst wären diese Leute nicht zu uns gekommen. Es wird immer eine individuelle Entscheidung bleiben.

Trainer Giovanni Federico ist geblieben, lief allerdings zuletzt öfters auf. Wie ist es um seine kurzfristige Zukunft als Spieler und mittelfristige Zukunft als Übungsleiter bestellt?
Turhan: Ich bleibe dabei, ich bin allgemein kein Freund von Spielertrainern. Das hat jetzt nichts mit Spielertrainer Giovanni zu tun. Es gibt Kritiker, die gerne ein Bild malen, das vor allem mich als reine Ergebnismaschine darstellt und mir unterstellt, dass ich nur auf die Vita gucke. Das muss man mal hinterfragen. Ein Boris Decker hatte vorher keine große Vita, ihn habe ich trotzdem als Sportlichen Leiter geholt und ihn dann mit der Mannschaft arbeiten lassen. Das stimmt also nicht. Wenn es nur danach gehen würde, wäre Giovanni nicht mehr im Amt, denn wenn man die Zahlen betrachtet, ist es ein Fehlstart. Ich hätte jetzt natürlich sagen können, unabhängig von den Gründen, dass auch der Cheftrainer gehen muss. Intern im Verein gehen wir ehrlich und respektvoll mit der Aufgabe um. Das wissen alle. Es ist Giovannis erste Trainerstation als Chefcoach. Er macht sich große Gedanken und will den Erfolg. Ich stehe hinter ihm, aber das will ja keiner sehen.

Das heißt konkret?
Turhan: Giovanni Federico wird so lange beim SSV Hagen im Amt bleiben, solange der SSV mit seiner Arbeit zufrieden ist. Das bezieht sich nicht nur auf die Ergebnisse und ist darauf nicht fixiert. Wir konzentrieren uns auf die Arbeit. Er gibt alles in seiner Machtstehende und das sehen wir. Es ist seine erste Trainerstation und deshalb brauchen wir auch irgendwo Geduld. Wie lange es dauern wird, werden wir sehen. Es ist ein kurzlebiges Geschäft, aber heutzutage ist es schwierig, das zeigt der Profifußball und das wirkt sich auch auf uns Amateure aus. Der Druck, abliefern zu müssen, den hat jeder beim SSV Hagen; ob ich, Trainer, Spieler oder Betreuer. Unter Druck entstehen halt Diamanten – und abliefern müssen alle beim SSV Hagen. Ich wäre jetzt nicht fünf Jahre beim Verein, wenn ich keine gute Arbeit gezeigt hätte. Von daher ist es natürlich auch möglich, dass Giovanni in zehn Jahren noch Trainer bei uns ist.

Natürlich ist die Saison noch jung. Es wurden gerade mal vier Spiele gespielt, allerdings ist beim SSV Hagen schon viel passiert. Auf welchem Tabellenplatz sehen wir die Adler nach dem letzten Spieltag?
Turhan: Wenn man nur die ersten vier Spiele betrachtet, sollten wir froh sein, dass wir nicht auf einem Abstiegsplatz stehen. Unabhängig von unserer Qualität, bin ich davon überzeugt, dass wir auf einem einstelligen Tabellenplatz landen werden, obgleich wir jetzt wegen des Saisonstarts mit minus sechs Punkten starten. Ob es jetzt Rang eins oder neun wird, das spielt keine Rolle. Vor der Saison werde ich immer gefragt, ob wir aufsteigen wollen. Wenn wir jetzt Dritter werden sollten, nehmen es die Leute einfach so hin. Sie vergessen unsere drei Meisterschaften in vier Jahren. War das alles nicht so wichtig? Das erneut zum Thema Kurzlebigkeit.

Zum Abschluss: Was wünschst du dir für den SSV Hagen?
Turhan: Ich glaube, wenn man den unseren Ausgangspunkt von fast tot zur höchst spielenden Mannschaft betrachtet, müsste jeder Adler glücklich sein. Ich wünsche mir, dass wir langsam dahinkommen, dass wir geschlossen noch radikaler arbeiten, um das Ziel „Oberliga“ zu realisieren. Das fängt bei uns im Vorstand an und hört beim zahlenden Mitglied auf. Das muss verinnerlicht werden. Ansonsten hoffe ich, dass der SSV auf das Fundament, das wir gebaut haben, weitere Stockwerte errichten kann, wenn es Ömür Turhan nicht mehr gibt. Ich hatte niemals die Absicht, Präsident zu werden. Es gab nur einen kommissarischen Vorstand, als ich Trainer war. Am Freitag finden bei uns Wahlen statt und ich würde es mir wünschen, dass sich ein neuer Vorstand vorstellt und alles viel besser machen wird, damit die Leute nichts mehr zu meckern haben. Ich würde es mir wünschen, dass auch andere Leute Verantwortung übernehmen und nicht nur blöde Sprüche auf Facebook oder in der Zeitung raushauen, sondern jetzt endlich mal Taten folgen lassen. Ich klebe nicht auf diesem Stuhl und bin bereit, jedem die Unterstützung zu geben, dem SSV in jeglicher Funktion zu dienen. Wir haben eine Demokratie und das ist halt sehr schön. Ich bin nicht auf Lebzeiten gewählt. Wenn der Kapitän oder Kurs falsch sind, dann sollen die Menschen jetzt handeln. Wenn sie mich aber jetzt wieder wählen, kann ich davon ausgehen, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich wünsche mir eine Entscheidung, ob der Kurs richtig oder falsch ist, indem sie mich eben wählen oder nicht. Ich akzeptiere jede Entscheidung. Sollte gegen mich gestimmt werden, würde ich niemals dem Klub schaden, sondern als Vereinsmitglied erhalten bleiben. Sollte ein neuer Vorstand sagen, wir möchten Sie, Herr Turhan, nur noch als Zuschauer beim SSV haben, würde ich dem nachkommen. Auch hier würde ich erneut Vorreiter sein wollen und zeigen, dass es anders geht. Ich gebe öffentlich mein Wort: Wenn sich nur einer zur Gegenwahl aufstellen lassen sollte, werde ich diese Person in erster Linie dahingehend unterstützen, indem ich mich nicht aufstellen lasse. Ich unterstütze den SSV Hagen – egal, in welcher Konstellation. Es ist jetzt viel einfacher, Verantwortung für den SSV zu übernehmen, als noch vor vier Jahren.

Aufrufe: 06.9.2017, 12:00 Uhr
André NückelAutor