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EM2016
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Sie sind bei allen Spielen immer live dabei

Hubert und Beate Ilgart aus Lammersdorf lassen sich auch bei der EM in Frankreich keine Partie der Nationalmannschaft entgehen

In diesen Tagen sind Hubert und Beate Ilgart aus Lammersdorf viel unterwegs. Sie wollen alle Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei dieser Europameisterschaft sehen – nicht im Fernsehen, sondern live im Stadion. Längst haben die Eheleute sich Tickets für die Spiele besorgt, bis in das Finale. Für die ersten beiden Gruppenspiele sind sie nach Lille und Saint-Denis gereist. Auch heute sind sie wieder unterwegs, um beim Spiel der Nationalmannschaft gegen Nordirland im Prinzenpark in Paris dabei zu sein. Regelmäßig begleiten sie die Nationalmannschaft zu ihren Spielen, seit 1988 haben sie knapp 90 Spiele besucht.

Anschläge im November

Als im November während des Länderspiels Deutschland gegen Frankreich im Stade de France in Saint-Denis Terroristen auf der Straße 130 Menschen ermordeten, waren die Ilgarts auch im Stadion. Sie verfolgten das Spiel von ihren Plätzen in Reihe 77 auf dem obersten Rang. Dann gab es den ersten Knall, den auch Millionen von Fernsehzuschauern mitbekamen. „Die erste Detonation war extrem. Wo wir saßen, war die Druckwelle deutlich zu spüren. Ich dachte, eine Gasflasche sei explodiert. Jeder von uns hat sich erschrocken“, berichtet Ilgart. Nach dem zweiten Knall sei dann jedem bewusst gewesen, „dass etwas passiert ist und dass es sich um Bomben handeln könnte“.

Seitdem werden sie immer wieder gefragt, ob sie keine Angst haben, zu den Spielen zu fahren. Für die Leute im Kreis der Bekannten, Verwandten, Freunde und Arbeitskollegen, die sich Sorgen machen, hat Hubert Ilgart großes Verständnis. „Ich versuche, ihnen diese zu nehmen. Für uns selbst ist das kein Thema. Ob ein Zug entgleist, ein Flugzeug abstürzt oder eine Bombe explodiert, darauf hat man keinen Einfluss“, sagt der 57-jährige Zollbeamte. Es war nicht das erste Mal, dass er Terror hautnah mitbekam. Als 19-Jähriger erlebte er eine Schießerei in den Straßen von Belfast. Während der Europameisterschaft 1996 in England war er beim Spiel der Nationalmannschaft gegen Russland in Manchester. Dort wurden damals bei einem Bombenanschlag vor einem Einkaufszentrum 200 Menschen verletzt. Das hat die Ilgarts nicht davon abgehalten, weiterhin Fußballspiele zu besuchen.

Einfluss auf die EM in Frankreich haben die Anschläge offensichtlich schon. Im Vergleich zum ersten Spiel in Lille, sei beim zweiten Spiel in Saint Denis keine richtige Feierlaune aufgekommen, berichten die Ilgarts. „Die Polizeipräsenz war deutlich höher und man guckt doch anders auf die Leute und andere Gruppen“, sagt er. „Das ist nicht mehr so unbedarft“, sagt sie. Man merke, dass etwas über der Stadt liege, „eine andere Atmosphäre, eine merkwürdige Zurückhaltung“.

Eine andere Frage, die den beiden Fußballfans oft gestellt wird, ist die nach den Kosten. „Dafür fehlt mir das Verständnis. Die scheinen keine Ahnung von Erlebnissen, Emotionen und dergleichen zu haben. Wobei man schon ein gewisses Verständnis aufbringen muss, wenn man in Metropolen wie Paris für ein Bier 9,50 Euro, für eine Cola 8,50 Euro oder für einen Hamburger mit ein paar Fritten 17,50 Euro bezahlen muss“, sagt Ilgart. Für die Karten zahlt er nur den Preis, der auch auf den Karten angegeben ist. Über langjährige Kontakte gelangt er an Karten für alle Spiele. „Man organisiert sich und spricht sich ab. Leider machen die Chaoten das auch nicht anders“, sagt Ilgart. Ein Event-Fan sei er nicht, früher habe er auch oft im Zelt geschlafen. Heute ist Ilgart froh, überhaupt dabei sein zu können. „Da ich vor der EM gesundheitlich schwer angeschlagen war, stellte sich die Frage, ob ich überhaupt mit meiner Frau an der EM teilnehmen kann. Nicht dabei zu sein, wäre für mich ganz schwierig zu akzeptieren gewesen. Sicherheit hin, Geld her – solche Fragen stellen sich dann erst gar nicht“, sagt Ilgart. Sonst reisen die Lammersdorfer immer auf eigene Faust. „Man weiß ja nicht, wer mit im Bus sitzt und nachher wird man dann in Sippenhaft genommen“, erklärt der 57-Jährige. Wegen der gesundheitlichen Probleme haben sie sich aber kurzfristig doch dazu entschieden, mit dem Bus zu reisen. „Aufgrund unserer langjährigen Begleitung der Nationalmannschaft besitzen wir natürlich ein riesiges Netzwerk. So kommt es, dass uns die Fansektion Berlin/Hannover an der Grenze einlädt und mitnimmt“, erläutert Ilgart. Von der Grenze in Lichtenbusch bis Paris dauert die Fahrt circa sechs Stunden. „Das reicht uns auch, mehr könnte ich zurzeit nicht. Wenn man jedoch sieht, was zum Beispiel die Berliner für körperliche Anstrengungen auf sich nehmen – 16 Stunden Hin- und 16 Stunden Rückfahrt und zehn Stunden vor Ort – dann ist das unglaublich. Das machen ‚normale‘ Menschen nicht“, sagt Ilgart.

Wenn die leidenschaftlichen Fans aus Lammersdorf von ihren Erlebnissen erzählen, glänzen die Augen und sie geraten ins Schwärmen. Ein besonderes Erlebnis für sie war das Elfmeterschießen gegen England bei der EM 96 im alten Wembley-Stadion. „Das war mit Abstand eines der extremsten Erlebnisse. Der Geräuschpegel war unglaublich. Das hab ich so noch nie erlebt“, sagt er. „Das war einfach Gänsehaut“, sagt sie. Gerne erinnern sie sich auch noch an das erste Golden Goal der Fußballgeschichte durch Oliver Bierhoff. „Das war kurios. Keiner konnte sich im ersten Moment richtig freuen. Jeder fragte sich, was ist jetzt? Es dauerte etwas, das zu realisieren. Das war gewöhnungsbedürftig“, sagt Ilgart. Ein anderer Höhepunkt ihrer Reisen war das Treffen beim Einkaufen in Moskau mit Oliver Bierhoff und Sebastian Schweinsteiger.

Aber auch nach schlechten Spielen haben sie ihre Reisen nie bereut. „Im Gegenteil, ich kann die Häme oft nicht verstehen“, sagt Ilgart. Er bewerte die Spiele nicht nach Sieg oder Niederlage. Es gehe darum, Menschen zu treffen und überhaupt dabei sein zu können. „Das ist das Wichtigste. Man muss eine positive Einstellung haben“, sagt er.

Nach der EM gibt es nur eine kurze Pause für die Nationalmannschaft und damit auch für die Ilgarts. Die Flüge für das WM-Qualifikationsspiel am 4. September in Oslo in Norwegen sind schon gebucht, am 8. Oktober werden sie in Hamburg dabei sein, wenn die Mannschaft gegen Tschechien spielt, und beim Spiel gegen Nordirland am 11. Oktober in Hannover werden die Ilgarts natürlich auch wieder im Stadion sein. Ob es am 11. November gegen San Marino klappen wird, steht noch in den Sternen. Für die Spiele im kommenden Jahr sind aber auch schon die ersten Karten bestellt. Wie das Spiel heute Abend ausgehen wird, ist für die Ilgarts klar: 2:0 für Deutschland lautet ihr Tipp.


„Nicht dabei zu sein, wäre für mich ganz schwierig zu akzeptieren gewesen.“

- Hubert Ilgart, Fußballfan aus Lammersdorf

Aufrufe: 021.6.2016, 21:00 Uhr
Andreas Gabbert | AZ/ANAutor