2024-05-02T16:12:49.858Z

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Erste Mannschaft von 1969
Erste Mannschaft von 1969 – Foto: Polat
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Anfangs Heimat, heute ein Stück Identität

50 Jahre Spielgemeinschaft Türkischer SV: Dürener Klub war der erste türkische Sportverein in Nordrhein-Westfalen

Salim Denizici war Anfang 20 und gerade verheiratet, als er 1968 nach Düren gekommen ist. „Meine Frau, meine Familie – alle mussten in der Türkei bleiben. Ich habe in Düren im Schichtdienst bei Ford gearbeitet. Ich konnte kein Deutsch, von den anderen konnte keiner Türkisch. Uns hat damals ein Stück Heimat gefehlt. Deswegen haben wir einen Fußballverein gegründet. Und weil Fußball in der Türkei mit Abstand die beliebteste Sportart ist.“

Salim Denizici gehört zur ersten Generation türkischer Gastarbeiter in Düren und ist Gründungsmitglied der Spielvereinigung Türkischer SV. Was 1968 als eine Art Thekenmannschaft angefangen hat, wurde nur ein Jahr später, also 1969, zu einem eingetragenen Verein. Der Türkische SV war damals der erste türkische Fußballverein in Nordrhein Westfalen und der dritte in ganz Deutschland. Seit fünf Jahrzehnten nimmt der Club ununterbrochen am Spielbetrieb teil – anfangs in der Kreisliga C. In der vergangenen Saison schaffte die erste Mannschaft als Tabellenzweiter den Aufstieg in die Bezirksliga, der „Zweiten“ gelang der Sprung in die Kreisliga B.

Verbindet Fußball wirklich?

Heute, 50 Jahre nach der Vereinsgründung, spielen beim Türkischen SV ausschließlich türkisch-stämmige Fußballer. Und auch beim Festakt im Dürener Rathaus waren – außer einer Handvoll Politiker und dem Bürgermeister – nur Menschen mit türkischen Wurzeln dabei. Kann man da von einer gelungenen Integration sprechen? Von der verbindenden Wirkung des Fußballs? Oder ist es vielleicht doch zu einfach, den Vereinsmitgliedern nur deshalb den Willen,Teil dieser Gesellschaft zu sein, abzusprechen, weil ihr Verein immer noch Türkischer SV heißt und genau das auch Programm ist? Eine Spurensuche.

Für Gürsel und Zeki Polat, die beiden Brüder, die seit mehr als zehn Jahren als Vorsitzender und Geschäftsführer die Geschicke des Vereins führen, findet Integration jeden Sonntag auf dem Sportplatz statt – bei den Meisterschaftsspielen gegen die anderen Clubs der Liga. „Da treffen wir uns. Da gibt es den unmittelbaren Kontakt“, sagt Gürsel Polat. Natürlich wissen die beiden Männer um den Ruf, den ihr Verein jahrelang gehabt hat.

Schlechter Ruf

Sie wissen, dass noch in der vergangenen Saison die Mannschaft vom TuS Schmidt beim Rückspiel gegen den Türkischen SV nicht angetreten ist – aus Angst vor Auseinandersetzungen. „Ja“, sagt Zeki Polat. „Unsere Mannschaft hatte sehr lange einen sehr schlechten Ruf. Das stimmt, das können wir auch nicht wegdiskutieren.“ Sein Verein habe sich mit dem eigenen Verhalten selbst geschadet. „Das war inakzeptabel“, sagt Polat. „Und hat natürlich auch dazu geführt, dass unser Verhalten schnell das Siegel ‚typisch türkisch’ bekommen hat. Das hat einer ganzen Gruppe von Menschen nicht gut getan.“ Trotzdem sei es ihm und vor allem seinem Bruder aber gelungen, Stabilität und Ruhe in den Verein zu bringen. „Und Disziplin“, sagt Gürsel Polat. „Beim absolut friedlichen Spiel gegen den SV Kurdistan haben wir gezeigt, was möglich ist. Das ist der Weg. Und das ist auch Integration. Aber Aufbauarbeit dauert eben auch ein bisschen.“

Manfred Schultze, Vorsitzender des Fußballkreises Düren, sieht das ganz ähnlich. „Der Türkische SV“, sagt er, „fällt heute absolut nicht mehr negativ auf. Dass Schmidt im Rückspiel nicht angetreten ist, kann ich nicht nachvollziehen. Für mich ist der Türkische SV eine Bereicherung für den Dürener Fußball – auch, weil er unglaublich viele Fans zu den Spielen mitbringt. Da treffen sich jeden Sonntag ganze Familien. Das findet man sonst nirgendwo mehr.“

Die große Verbundenheit der – zum größten Teil türkischen – Fans mit ihrem Verein, liegt auch in der Geschichte begründet. „Es war für uns als türkische Gastarbeiter nicht leicht“, sagt Salim Denizici. „Auch nicht, als unsere Frauen und Kinder nachgekommen sind. Es gab damals sehr viel Ablehnung gegenüber Ausländern, vor allem gegenüber uns Türken. Der Verein war von Anfang an ein Ort, an dem wir uns sicher fühlen konnten und anerkannt waren. Und das ist er immer noch.“

Keine Abschottung

Hinzu komme, ergänzt Zeki Polat, dass Gemeinschaft und Familienzusammengehörigkeit bei vielen Türken sehr groß geschrieben würde. „Außerdem bedeutet dieser Verein für uns Identität. Das heißt aber nicht, dass wir uns irgendwie abschotten wollen. Im Gegenteil.“

In seiner 50-jährigen Geschichte habe der Türkische SV auch deutsche Trainer und sogar zeitweise einen deutschen Vorsitzenden gehabt. „Heute ist das anders“, sagt Gürsel Polat. „Aber das liegt meiner Meinung nach nicht an unserem Vereinsnamen oder so. Ich glaube, es liegt daran, dass wir keine eigene, vernünftige Sportanlage haben.“

Der Türkische SV teilt sich die Anlage Veldener Hof an der Malteser Straße in Nord-Düren mit dem Dürener Spielverein und den „Düren Demons“, der American Football-Mannschaft der Rurstadt. Gürsel Polat: „Wir haben keine guten Trainingsbedingungen und kein eigenes Vereinsheim. Wenn alle immer von Integration sprechen, sollten wir auch ein eigenes Gelände bekommen. Das gehört auch dazu.“ Dann, betont der Vorsitzende, könne man wieder eine Jugendabteilung aufbauen und sei auch für nicht-türkischstämmige Spieler deutlich attraktiver.

„Wir fühlen uns absolut als Teil dieser Stadt“, wird der Vorsitzende noch einmal deutlicher. „Deswegen war es uns ja auch so wichtig, unser offizielles Vereinsjubiläum im Rathaus der Stadt Düren zu feiern.“ Und wirklich: Der Türkische SV ist der erste Dürener Fußballverein, der sein Jubiläum im Rathaus feiert, an dem an diesem Tag übrigens die türkische Flagge gehisst ist. „Die türkischen Gastarbeiter“, sagt Bürgermeister Paul Larue (CDU), „haben in der Industrie mitangepackt. Sie haben einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung unserer Stadt.“

Die Gründung eines eigenen Fußballvereins ist für den Verwaltungschef ein Hinweis darauf, dass die Menschen damals den Wunsch, das große Bedürfnis nach Beheimatung verspürt haben. „Sie wollten in der neuen Heimat einen sicheren Stand bekommen. Und das machen Deutsche im Ausland ganz genauso oder warum gibt es Karnevalsvereine in Namibia und Oktoberfeste in den USA?“

Die eigenen Traditionen zu pflegen und sich gleichzeitig in die Riege der anderen Fußballvereine einzureihen und sich nicht abzukapseln, sei kein Widerspruch.Larue: „Beides geht zusammen und gehört auch zu sammen.“

Auch Sabine Kieven, Integrationsbeauftragte der Stadt Düren, ist davon überzeugt, dass der Türkische SV kein Verein ist, der sich nur mit sich selbst beschäftigt. „Natürlich stimmt es, dass Sport verbindet“, sagt sie. „Die Männer vom Türkischen SV nutzen ihren Verein als Mittel zur Integration. Dabei geht es aber eben nicht nur um Fußball. Es geht insgesamt um einen Austausch der Kulturen. Dabei übernimmt der Türkische SV eine wichtige Brückenfunktion.“

ANGEMERKT

Beide Seiten müssen sich öffnen

Auf den ersten Blick klingt ein Fußballverein, der Türkischer SV heißt und bei dem nur türkischstämmige Spieler kicken, nicht nach einem gelungenen Beispiel für Integration. Und mein erster Impuls war: Warum brauchen türkische Fußballer im Jahr 2019 noch einen eigenen Club? Dass die Männer, die Ende der 60er Jahren nach Deutschland und in den Kreis Düren kamen, ein Stück Heimat gesucht haben, kann ich gut nachvollziehen. Und vielleicht ist es wirklich so, dass zur Identitätsfindung und -wahrung ein eigener Verein hilfreich ist. Trotzdem ist es zu einfach, wenn Gürsel Polat sagt, dass es nur an der schlechten Sportanlage liegt, dass sich kaum Nicht-Türken für seinen Verein interessieren. Integration ist niemals eine Einbahnstraße. Der Türkische SV muss sich noch deutlicher öffen. Und auch die Dürener müssen noch Berührungsängste abbauen.

Aufrufe: 010.7.2019, 06:00 Uhr
Sandra Kinkel | AZ/ANAutor