2024-05-02T16:12:49.858Z

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Vorerst am Nagel – schlimm genug.	Foto: Dittrich
Vorerst am Nagel – schlimm genug. Foto: Dittrich

Schuhe im Karton, Ruhe im Karton

HUMOR: +++ Ein Wochenende ohne Fußball ist wie ein Wochenende ohne Fußball / Von verlorenen Strukturen, die einen Balla-balla machen können +++

giessen. Vergangene Woche haben wir Fußballschuhe gekauft. C-Junioren-Fußballschuhe. Der Mode bewusste junge Mensch greift in diesem Fall gerne zu buntem Material mit Sockenaufsatz. Die Sockenschuhe oder Socken an den Schuhen aber riechen ganz fürchterlich, so sie denn in häufigem Gebrauch sind. Warum man Socken oben an Fußballschuhe pappt, ist dem alten Herrn nicht geheuer. Warum Fußballschuhe bunt sind, auch das ist ihm ein Rätsel.

Ehedem gab es die Schuhe mit den drei Streifen, die waren schwarz und weiß. Fertig, ab. Drei Sorten Fußballschuhe, die Beckenbauer, Seeler oder Netzer hießen. Unten konnte man Stollen dran drehen, 18er Alu mit Unterlegscheibchen für Fälle tiefsten Geläufs, wenn der Boden matschig war wie eine Schweinesuhle. Heute ist kein Boden mehr tief und matschig, heute ist der Boden künstlich. Matsch auf Kunstrasen gibt‘s nicht. Aber es gibt Schuhe, die sich quietschgelb oder schweinchenrosa vom Plastikgrün unterscheiden, auf dem sie getragen werden. Aber egal. Früher, heute. Fußball bleibt Fußball – ein Spiel für die Götter. Fußballgötter. Wenn denn gespielt wird. Und so kauften wir blassrote Schuhe für den kickenden Nachwuchs, ohne Socken oben dran, aber mit klingendem Namen: Mercurial – Gott-weiß-was. Es will Frühjahr werden, der Ball wird rollen.

Am Samstag sollte es losgehen, Magenkribbeln (auch beim betreuenden Vater immer noch), Frühstück, Treffpunkt – dann kommen sie, die 13-/14-jährigen Nachwuchs-Messis, Trikottasche dabei, Platz vorbereiten, Motivations- und Aufstellungsrede des Trainers. Der Samstag ist der Fußballtag. Und die Spiele dauern 90 Minuten.

Außer bei den C-Junioren, da sind es deren 70. Anpfiff um 11 Uhr, dann nach dem Testspiel-Triumph umziehen, Tasche nach Hause bringen, aufs Fahrrad, ab zum FC Gießen. Anpfiff um 14 Uhr, danach nach Hause. Fernseher an: Sky – Topspiel der Bundesliga schauen. Ja woll, die Welt ist kugelrund, der Ball bestimmt das Bewusstsein. Das Sein bestimmt den Strafraum, das Leben ist ein Einwurf und wenn die Ecke gut kommt, dann steigen wir alle gemeinsam in die Höhe – wir werden ihn versenken. Eckball, Kopfball. Tor.

Doch es sind kopflose Zeiten: Cut! Nothing. Nichts geht mehr. Alles abgesagt. Erst, wenn etwas weg ist, wissen wir, wie sehr es fehlen kann. Denn es gibt – auch wenn manchmal von der weiblichen Seite der Familie als „ganz schön viel Fußball heute“ beklagt – Halt und Struktur. Und Freude in seiner grenzenlosen Begrenzung. 90 Minuten. Das ist auch dann ein Glücksfall, wenn das Spiel anödet, weil die Erregung und der Austausch darüber genauso fruchtbar sein können, wie ein butterweicher Pass über 60 Meter, der auf dem Spann des Stürmers landet, der ihn dann... – aber ich schweife ab. Kein Fußball am Samstag, kein Fußball am Sonntag, kein Fußball, koan Neuer und kein alter Fußball. Wer einst in der Regentschaft eines Helmut Schmidt schon zweimal die Woche zum Training hastete, auf Gestrüpp artigem Untergrund die Stollentreter schnürte, wer das durchhielt, bis die Knochen lauter knackten als der Torjubel in Köln-Müngersdorf, wer sogar seine (journalistische) Arbeit dem Fußball widmete – kurz: Wer im Wechsel der sieben Jahreszeiten – Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommerpause, Winterpause, Bundesliga – sein Leben verbrachte, wer dann mit dem Nachwuchs das Ganze weiter macht, der ist nicht zu retten.

Was sollen wir nur tun an diesem Samstag, wenn unser Biorhythmus doch daran gewöhnt ist, zu rollen? Wenn er tief in sich fühlt, dass das Leben nur Vollspann einen Sinn ergibt, wenn dieser betörende Wechsel zwischen den kickenden Kids, dem FC Gießen und dem Bundesliga-Abendspiel uns als Ritual ein Versprechen gibt: Eben jenes, dass das Runde im Eckigen mehr sein kann als nur ein Ball hinter der Linie? Was haben wir für Geschichten zu erzählen, die wie Torpfosten in unserer Lebenszeit verankert sind. Da machen wir dann ein Netz dran – und fischen im Trüben. Und es kommt stets was Schönes raus.

Und nun? Pause? Die roten Schuhe sind noch im Karton. Ohne Socken. Das riecht nach einer Zeit – ohne Fußball. Es stinkt uns jetzt schon.



Aufrufe: 020.3.2020, 08:00 Uhr
Rüdiger DittrichAutor