2024-04-25T14:35:39.956Z

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"Vergesst die Bundesliga!" - In ihrer neuen Ausgabe widmen sich die "11 Freunde" dem Amateurfußball in Deutschland. Bild: 11 Freunde
"Vergesst die Bundesliga!" - In ihrer neuen Ausgabe widmen sich die "11 Freunde" dem Amateurfußball in Deutschland. Bild: 11 Freunde

"Schon wieder der Fünfer!"

In ihrem neuen Heft sind die Redakteure von "11 Freunde" unterwegs in Deutschlands Amateurligen

Warum gehen Menschen zum Amateurfußball, wenn um die Ecke der große Bundesligist spielt? Für die neue Ausgabe des Fußball-Magazins "11 Freunde" unternahmen die Andreas Bock und Ron Ulrich eine Reise durch die Kreisklassen Deutschlands. Auch nach Gülzow.

Ein Gastbeitrag von 11 Freunde

Auswärts ist es immer noch am schönsten. Selbst wenn es nicht per Nachtzug nach Sevilla oder Dnjepropetrowsk geht, sondern mit dem Linienbus ins Nachbardorf. So wie heute: Freitagabendspiel, Flutlichtspiel, Escheburger SV III gegen den TSV Gülzow, zehn Minuten Fahrt, drei Knollen für den Weg, mindestens. Willkommen in der Kreisklasse 8.

Monty und seine Freunde warten mit einer mobilen Kühlbox am ZOB Geesthacht, 30 Kilometer südöstlich vom Hamburger Zentrum. Er, ein gemütlicher Mann Ende 20, Bauch, Bart, Baseball-Cap, ist früher regelmäßig zum HSV gegangen, aber vom Profifußball habe er sich entfremdet, sagt er. Alles zu gigantisch, zu anonym. Nun also Gülzow, Heimatort, Heimatliebe. Alles ein wenig kleiner, ein wenig wilder, vielleicht sogar ein wenig wie früher.

»Wer seid ihr denn?«

Im Bus, auf dem Weg zum Spiel, fühlt es sich wirklich so an wie damals, späte achtziger, frühe neunziger Jahre, als im Profisport nicht alles powered by oder sponsored by war. Als Fans noch schräg angeguckt wurden, nur weil sie eine Kutte trugen.

»Wer seid ihr denn?«, will der Fahrkartenkontrolleur kurz vor Besenhorst wissen. »Fußballfans!«, sagt Monty. »Gülzow spielt heute in Escheburg!« Der Kontrolleur schaut auf ihre Schals, auf denen »Gülzower Support Elite« steht, GSE, ein nicht ganz ernst gemeinter Verweis auf die »Green Street Elite«, der fiktiven Gang in dem Film »Hooligans«. »Oh, aha«, sagt der Nahverkehrsmitarbeiter, und sein Gesicht verzieht sich zu einem einzigen Fragezeichen.

Warum fiebern Fußballfans mit Verteidigern, die weiter stoppen können, als Cristiano Ronaldo schießen kann? Was finden sie an Stürmern, neben denen Reiner Calmund wie ein Fitnesstrainer aussieht? Warum trauern sie, wenn ihr Verein in der zweiten Runde irgendeines Kreispokals ausscheidet? Wieso, verdammt noch mal, geht jemand zum Amateurfußball, wenn Sky ihm sieben Tage die Woche Fußball aus einer anderen Galaxie serviert?

Die heutige Partie findet immerhin auf einem anderen Planeten statt, ein roter Ascheplatz, irgendwo hinter einer Escheburger Wohnsiedlung, drum herum Wald und Hügel. Bisschen »Der Marsianer«, bisschen »Blair Witch Project«. Anfangs waren sie bei solchen Spielen nicht mehr als fünf Leute. Heute kommen bei besonderen Dorfderbys schon mal über 300.

Monty und seine Freunde haben eine Trommel und eine Musikanlage samt Mikrofon mitgebracht, wummernde Bässe, Electro, HipHop, anfangs animierten sie sich selbst sogar noch per Megafon, Ultra-Style, aber auch ultra-übertrieben, wie Monty bald feststellte. Er öffnet die Kühlbox, Bier, ein paar Flaschen Pfeffi und Berliner Luft, los geht’s, singen, saufen, schnacken. Kurz vor der Halbzeit schnappt er sich das Mikro und ruft: »Der Gästeblock ist mit 38 Zuschauern wie immer ausverkauft.«


Vom Kunden zum Akteur

Wenn man hier in Escheburg am Seitenrand steht, ist es, als hätten sich junge Menschen selbst eine Bundesliga in Miniaturform nachgebaut, nur dass ihr Modell vieles hat, was dem aufgeblasenen Profiapparat abhanden gekommen ist: Humor, Partizipation, Zusammenhalt.

Dazu dieses Gefühl, nicht nur Zuschauer oder Kunde, sondern Akteur zu sein. Eigene Gesänge, eigene Fahnen, eigene Medien, eigene Geschichten. Das Gefühl, dass ihnen niemand vorschreibt, wann und wie sie die Klatschpappen zu falten haben.

The Kreisliga-Revolution will be televised

Dass die GSE in der Hamburger Kreisklasse für gute Stimmung sorgt, hat sich mittlerweile rumgesprochen. Neulich wurde Monty von einem benachbarten Oberliga-Klub kontaktiert, der zwar von einem reichen Geldgeber unterstützt wird, aber von nur sehr wenigen Fans.

Der Verein fragte Monty, ob er mit seiner Gruppe nicht lieber den ambitionierten Fünftligisten unterstützen wolle, das sei doch aufregender. Monty war perplex und sagte ab. »Was glauben diese Leute eigentlich? Als könnte man seinen Verein einfach wechseln wie die Unterhose.«

Zurück zum Kleinen

Der Amateurfußball wird wieder populärer. In Zahlen kann man das nicht messen, aber Gruppen wie die von Monty findet man in etlichen Orten Deutschlands, in der brandenburgischen Provinz, auf Ascheplätzen im Ruhrpott, in den weit verzweigten Amateurklassen Bayerns. Monty sagt, das habe etwas mit Verdruss zu tun. Die Fans wenden sich wieder dem Kleinen zu, weil sie der Sterilität der Bundesligaarenen entfliehen wollen. Weil sie genug haben von der wachsenden Distanz zwischen Spielern und Zuschauern.

Und es hat auch damit, dass der Amateurfußball auf medialer Ebene so präsent ist wie nie. Es gibt Print- und Online-Magazine wie »Fussifreunde« oder »fupa.net«. Dazu Facebook-Seiten wie »Kreisligafußball – Das Bier gewinnt«, die von über 350.000 Fans abonniert werden, oder TV-Webshows wie »Elbkick TV« oder »Amateure unter sich«, the Kreisliga-Revolution will be televised.

»Stellt uns einfach einen Kasten Bier hin«

Nach dem Spiel, Gülzow sichert sich durch ein 4:1 die Tabellenführung, starten Monty und seine Freunde eine kleine Pyroshow. Über der Asche das Feuer. Alles in Absprache mit der gegnerischen Mannschaft (»Stellt uns einfach einen Kasten Bier hin«) und dem Schiedsrichter (»Erst wenn ich in der Kabine bin und nichts mehr mitkriege«). Und dann ist das Bier alle. Fährt noch ein Bus zurück? Ist jemand mit dem Auto da? Wenn ja: Ist er noch nüchtern? Und was ist überhaupt nächste Woche?

Nächste Woche geht es zur zweiten Mannschaft des FC Bingöl, Hamburg-Wilhelmsburg, fast 30 Kilometer westlich von Gülzow. Auswärtsfahrt in der S-Bahn, vier Knollen für den Weg, mindestens.


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Die zehnseitige Titel-Reportage »Wir müssen Montag alle wieder arbeiten!« der neuen Ausgabe #147 von "11 Freunde" zu lesen: Seit dem 28. April am Kiosk erhältlich, auf 11Freunde.de im Shop, im iTunes-Store oder im Google-Play-Store. Das komplette Inhaltsverzeichnis von 11FREUNDE #174 gibt es hier.

Aufrufe: 02.5.2016, 16:30 Uhr
Andreas Bock, Ron UlrichAutor