2024-04-16T09:15:35.043Z

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Den alten Johhanis 83-Pulli (in Weiß) hatte Redakteur Sebastian Gloser sogar noch hinten im Schrank, die Fitness hat er aber verloren. F: Giulia Iannicelli
Den alten Johhanis 83-Pulli (in Weiß) hatte Redakteur Sebastian Gloser sogar noch hinten im Schrank, die Fitness hat er aber verloren. F: Giulia Iannicelli

Schmerzhafter Weg in die Vergangenheit

Alltag in der A-Klasse - Folge 26: Mehr als ein paar Zufallsbekanntschaften: Ein Besuch im Training der zweiten Mannschaft von Johannis 83

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Ein holpriger Sandplatz, in der Kabi­ne eine Kiste Bier, das Trikot riecht nach Zigaretten — man erzählt viel über die A-Klasse. Aber auch, dass man dort den Fußball noch so erle­ben kann, wie er ursprünglich einmal war. Wir wollen herausfinden, wie es wirklich ist in den Niederungen des Amateurfußballs. Diesmal haben wir die A-Klasse 6 nicht nur begleitet, wir haben sogar selbst mittrainiert.

Natürlich kenne ich den Weg noch, ich bin ihn ja so oft gelaufen – na ja, meistens bin ich ihn gerannt, weil ich spät dran war; vom Parkplatz vorbei an dem kleinen Bolzplatz, weiter zur Gaststätte, die ich nur bei den Weih­nachtsfeiern von innen gesehen habe, und dann hinter zu den Kabi­nen. Den Duft von nassen Socken, verschwitzten Leibchen und von der Erde, die an ungeputzten Stollen­schuhen klebt, habe ich bereits in der Nase, bevor ich durch die Tür trete.

Hinter der Tür werden die im Kopf abgespeicherten Geruchsmoleküle zur Realität und die Bilder einer gan­zen Entwicklung, vom Kind bis zum, nun ja, Mann, kommen wieder hoch. Zehn Jahre habe ich für den TSV Johannis 1883 Fußball gespielt, von der ersten bis zur zehnten Klasse, von der F- bis zur B-Jugend. Fast 15 Sommer sind seitdem vergangen, viel verändert hat sich hier trotzdem nicht. Nur die Wände wurden offen­bar gestrichen und strahlen jetzt in den Vereinsfarben.

Warum ich zurückgekommen bin? Weil wir die A-Klasse 6 begleiten – eine ganze Saison lang. Auch die zweite Mannschaft von Johannis 83 spielt in dieser Liga und das nicht ein­mal schlecht. Zur Zeit stehen sie auf dem vierten Tabellenplatz, nur ein paar Punkte trennen sie von der Auf­stiegsrelegation und wenn man ihren Trainer richtig versteht, dann wäre der Sprung in die höhere Spielklasse gar nicht so unrealistisch, hätte sein Team nur einen etwas ausgeprägte­ren Trainingseifer.

Im Herbst erlaubte sich die Mann­schaft eine Schwächephase, als „Kol­lektiv von Zufallsbekanntschaften“ traten sie in der letzten Partie vor der Winterpause auf, wie es der Kollege Marco Schrage damals so schön for­mulierte, und hinterher durfte Elmar Renninger, der Trainer, so schöne Sätze wie diesen hier sagen: „Normalerweise würde ich die Jungs für dieses Spiel im Trai­ning richtig hart rannehmen, aber sie kommen ja eh nicht.“ Ein Satz als Steilvorlage für einen Ortstermin. Sind das bei Johannis 83 wirklich nur Zufallsbekanntschaf­ten? Kommen da tatsächlich nur ein paar Übereifrige ins Training, um ihr Ronaldo-Trikot und die neuesten adi­das Predator aufzutragen? Halten die unter der Woche nur ein bisschen den Ball hoch und verzichten auf Laufeinheiten? Und wenn ja, warum stehen die dann trotzdem so weit oben in der Tabelle?

Das fragt sich auch Elmar Rennin­ger an manchen Sonntagen. Der Trai­ner der Zweiten kann wunderschön mit seiner Mannschaft schimpfen, gleichzeitig ist er auch ein sehr herz­licher Übungsleiter, der seinen Jungs einiges nachsieht. „Es ist ja nicht so, dass sie nicht wollen“, sagt er, als wir von der Kabine auf den Platz gewech­selt sind, sich die Reserve gerade am Torschusstraining versucht und die meisten Bälle hinten im Fangzaun landen, „aber manchmal fehlt es dann eben doch am Talent“.

Deswegen spielen seine Jungs ja in der A-Klasse und nicht in der Landes­liga und deshalb darf die Selbstdiszi­plinierung im Alltag auch mal hinten anstehen. „Wir hätten sicherlich noch mehr Punkte holen können“, meint Renninger, „aber dann müss­ten sie sich eben mal beherrschen und abends weniger ausgehen.“

Vorbereitung im Biergarten

Als Renninger diesen Satz mit einem tadelnden Kopfschütteln vor­trägt, fühle ich mich ertappt. Am Abend zuvor bin ich im Biergarten extra noch etwas länger sitzen geblie­ben, um mich auf die Atmosphäre in der A-Klasse einzustimmen, das rächt sich jetzt. Das Aufwärmpro­gramm ist nicht übermäßig hart, bringt mich als Amateurfußballer a.D. aber trotzdem schon an, stellen­weise über meine Grenzen. Laufen, dehnen, Liegestütze, Sit-ups – soweit kann ich mithalten, für solche Herausforderungen hat mich ja erst vor wenigen Wochen ein Personal Trainer fit gemacht. Doch dann kom­men die Sprintübungen.

Während ich gegen das böse Ge­fühl in meinem Magen ankämpfe, bli­cke ich mich um und muss feststel­len, dass schmerzverzerrte Grimas­sen die Ausnahme sind. „Noch ein Durchgang“, ruft Renninger, „und wenn jetzt einige wieder nur joggen, dann wiederholen wir das Ganze noch ein paarmal.“ Schon wieder füh­le ich mich ertappt und gebe noch ein­mal alles, um nicht schon beim Warm­laufen den Zorn meiner Teamkolle­gen auf Zeit auf mich zu ziehen. Immerhin, beim abschließenden Trai­ningsspiel gebe ich einen ganz passablen Außenverteidiger, das Stel­lungsspiel funktioniert – vielleicht gerade wegen der mangelnden Fit­ness – besser denn je, mir gelingt so­gar ein Tor bei unserem 3:2-Sieg.

Dass an diesem Tag 18 Mann ins Training gekommen sind, darüber wundert sich auch Renninger, viel­leicht liegt es an meinem Besuch, viel­leicht am Tabellenplatz, wahrschein­lich aber einfach nur am schönen Wetter. Wie ein Kollektiv von Zu­fallsbekanntschaften wirkt die Trup­pe jedenfalls nicht, dafür spricht auch, wie routiniert die Frotzeleien untereinander gekontert werden.

Und dass es ihnen nicht egal ist, wer am Wochenende auf dem Platz steht. Weil die erste Mannschaft mal wieder Bedarf angemeldet hat, müs­sen sie ihren zweitbesten Torjäger ab­geben. Nach dem Training sorgt das in der Kabine für ein paar kleine Wut­ausbrüche unter den Spielern. Dass niemand mich gefragt hat, ob ich aus­helfen will, hat mich nicht gewun­dert, aber bereit wäre ich natürlich, den Weg kenne ich ja.

Aufrufe: 030.4.2015, 09:52 Uhr
Sebastian Gloser (NN)Autor