2024-04-25T14:35:39.956Z

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Steve Henriss beim GZ-Interview: Der Schiedsrichter sollte die Entscheidungshoheit behalten.  Markus Sontheimer
Steve Henriss beim GZ-Interview: Der Schiedsrichter sollte die Entscheidungshoheit behalten. Markus Sontheimer
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„Schiris dürfen sich nicht hinter Köln verstecken“

Steve Henriss, Stellvertretender Obmann der Fußball-Schiedsrichtergruppe Göppingen im Interview

Interview: Steve Henriss aus Geislingen, Stellvertretender Obmann der Fußball-Schiedsrichtergruppe Göppingen, würde den Video-Beweis in der bisherigen Form etwas verändern.

Der zu Saisonbeginn in der Fußball-Bundesliga eingeführte Video-Beweis erhitzt auch nach zwölf Spieltagen noch die Gemüter. Die in Köln versammelten Überwacher vor den Bildschirmen haben ihren pfeifenden Kollegen in den Stadien nicht immer geholfen.

Eines vorab: Sind Sie ein genereller Befürworter des Video-Beweises oder standen Sie diesem Hilfsmittel von Anfang an skeptisch gegenüber?

Dass es irgendwann kommen muss, war klar. Auch andere Sportarten wie Tennis oder Eishockey bedienen sich ja dieser technischen Hilfsmittel. Nach einigen Fehlentscheidungen in den vergangenen Jahren haben die Medien und die Öffentlichkeit danach geschrien, diesem Druck musste man Tribut zollen.

Kann der Video-Beweis Schiedsrichtern helfen, Gerechtigkeit herzustellen?

In der Theorie auf jeden Fall. Ich habe seine Einführung eher als Hilfe für die Schiedsrichter empfunden denn als Belastung.

Kann er einen Unparteiischen auch dazu verleiten, sich zu sehr auf den Helfer in Köln zu verlassen? Leidet dadurch die Konzentration?

Ich sehe es positiv: Der Video-Beweis nimmt den Schiedsrichtern einiges an Druck. Der Unparteiische im Stadion weiß, dass er noch eine Rückversicherung hat, die er notfalls fragen kann.

Verlässt sich mancher Schiedsrichter zu sehr darauf?

Es hat bei manchen zumindest dazu geführt, dass sie Entscheidungen teilweise erst gar nicht getroffen haben.

Man wartet auf die Meldung aus Köln, notfalls kann man ja immer noch den Kollegen vorm Bildschirm die Schuld an Fehlentscheidungen geben?

Der DFB hat ja versucht, dem einen Riegel vorzuschieben. Es wurde nochmals klar gemacht, dass der Video-Assistent nur bei ganz klaren Fehlentscheidungen und Wahrnehmungsfehlern des Schiedsrichters eingreifen darf.

Man hatte ja teilweise den Eindruck, der Schiedsrichter hat nach einer Entscheidung gar nicht erst auf eine Reaktion aus Köln gewartet, sondern gleich von sich aus nachgefragt, um sich abzusichern.

Aus meiner Warte sollte der Schiedsrichter auf dem Platz eine Persönlichkeit bleiben. Er muss Entscheidungen treffen, dafür ist er da. Er sollte sich nicht hinter Köln verstecken. Der Video-Beweis kann ohnehin Fehler nicht komplett vermeiden. Es sind Menschen, die auf dem Platz entscheiden, und es sind Menschen, die in Köln vor dem Bildschirm sitzen. Von diesem Hilfsmittel absolute Gerechtigkeit zu erwarten, ist eine Illusion.

Die vor Einführung geäußerten Befürchtungen, der Video-Beweis mache am Stammtisch Diskussionen über vermeintliche Fehlentscheidungen hinfällig, können Sie jedenfalls zerstreuen, oder?

Ja. Gefühlt gibt es noch mehr Diskussionen als vorher. Jetzt wird nicht nur über den Schiedsrichter gestritten, sondern auch noch über den Video-Assistenten. Die Themen für den Sonntagmorgen gehen jedenfalls so schnell nicht aus.

So wie der Video-Beweis jetzt gehandhabt wird, ist er für niemanden eine Hilfe. Oder haben Sie den Eindruck, die Zahl der Fehlentscheidungen sei seit der Einführung signifikant gesunken?

Für mein Empfinden kann man nicht von mehr Fehlentscheidungen sprechen. Durch den Video-Beweis sind die Fernsehbilder einfach mehr im Fokus.

Diese Bilder gab es vorher auch. Also, was hat sich verbessert durch den Video-Beweis?

Er hat in Einzelfällen geholfen, weil ein Fehler korrigiert wurde. Aber man muss sagen, dass es Fehlentscheidungen gab, die nach Betrachten des Video-Beweises nie hätten entstehen dürfen.

Es gab ja sogar Spiele, in denen Köln eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters korrigiert und so in eine Fehlentscheidung umgewandelt hat. Zum Beispiel die unberechtigte Rote Karte des Freiburgers Söyüncü in Stuttgart.

Ich glaube, dass der Video-Assistent zu sehr eingegriffen hat in Situationen, in denen er nicht hätte eingreifen sollen.

Ist der Video-Beweis letztlich nur so gut wie die Herren, die in Köln vor dem Bildschirm sitzen?

Es sitzen dort ja schließlich ausschließlich geprüfte Schiedsrichter, die aus der Praxis kommen.

Eben. Ist die Malaise nicht sogar ein Zeichen, dass es um das Schiedsrichterwesen in Deutschland nicht mehr so gut bestellt ist wie früher?

Nein, überhaupt nicht. Die Bundesliga-Schiedsrichter sind alle auf einem Niveau, dass man über ein Qualitätsproblem überhaupt nicht zu reden braucht. Es ist Klagen auf hohem Niveau

Woran hapert’s dann?

Man muss den Video-Assistenten auch ein bisschen Zeit geben. Es ist für sie ja schließlich ziemlich ungewohnt, aus einer Fülle von Blickwinkeln auf die Schnelle den- oder diejenigen zu finden, die das fragliche Geschehen am deutlichsten aufschlüsseln. Man darf auch den Druck nicht unterschätzen, unter dem sie stehen: Millionen Menschen vorm TV erwarten eine schnelle und richtige Entscheidung.

Wenn Sie die Macht dazu hätten, was würden Sie in Sachen Video-Beweis ändern?

Ich würde die Bringschuld von den Schiedsrichtern wegnehmen. Jede Mannschaft bekommt zwei Joker, den Video-Beweis anzufordern. Der Schiedsrichter soll die Chance haben, das Spiel zu leiten. Wenn eine Mannschaft glaubt, benachteiligt worden zu sein, soll sie ein- oder zweimal pro Halbzeit den Video-Beweis anfordern können.

Wenn dem Protest stattgegeben wird, bleibt die Einspruchsmöglichkeit erhalten, wenn nicht, verfällt sie?

Genau. Insgesamt gesehen, muss man aber dieser neuen Technik auch die Chance geben, sich zu entwickeln und Kinderkrankheiten auszukurieren.

Die Oberhoheit soll aber unbedingt beim Schiedsrichter auf dem Platz bleiben?

Man muss auf jeden Fall die Schnittstellen finden, wann der Video-Assistent eingreift und wann die Entscheidung beim Schiedsrichter liegt.

Wann sollte Köln eingreifen?

Nur bei spielentscheidenden Dingen, die unmittelbar zu einem Tor führen oder eben nicht führen. Oder bei Roten Karten. Man muss den Mittelweg finden, die Entscheidungshoheit beim Schiedsrichter zu belassen und ihm gleichzeitig dort zu helfen, wo er Hilfe braucht. Ob er sie wirklich braucht, sollte er aber selbst entscheiden.

Soll er sich auf Köln verlassen oder selbst zum Bildschirm am Spielfeld­rand gehen?

Die Entscheidung sollte beim Schiedsrichter bleiben. Wenn er sich nicht sicher ist, soll er erst selbst am Bildschirm schauen. Und wenn er dann immer noch keine Klarheit hat, erst dann in Köln nachfragen, ob es dort noch andere Zeitlupen gibt, die die Szene eindeutig aufklären. Man muss jedenfalls immer das Gefühl haben, dass der Schiedsrichter die Entscheidungen trifft und nicht irgendeine anonyme Person am Bildschirm ganz weit weg.

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Aufrufe: 026.11.2017, 09:00 Uhr
NWZ / Von Thomas FriedrichAutor