Jeder Fußballfan kennt diesen einen ganz besonderen Moment, wenn man das Stadion seines geliebten Vereins betritt und langsam, aber sicher dem Allerheiligsten immer näherkommt. Erblickt man den Rasen das erste Mal, ist es ein ehrfürchtiger Moment. Bei einem Spieler, der nur wenige Minuten später vor mehr als tausend Zuschauern spielt, ist dieses Gefühl aus Respekt noch viel stärker. Sie begeben sich in einen Tunnel, in dem es nur noch um Laufwege, Antizipation, Schwächen des Gegners und taktische Umsetzung des Trainers geht.
Bei „Exo“ Andzouana schleichen sich oft noch ganz andere Gedanken mit ein. Denn bei fast jedem Einsatz von ihm, in der Regionalliga West, kommt es zu rassistischen Beleidigungen. „Die Hautfarbe ist eben die erste Schwäche, die dein Gegenspieler auf dem Feld sieht. Wenn jemand dich beleidigen möchte, dann denkt er, mit der Hautfarbe könnte man ihn packen“, berichtet der Mittelstürmer des Sportclub Verl. Dem ist jedoch nicht mehr so. Der 26-Jährige lernte in seiner gesamten fußballerischen Karriere mit solchen Anfeindungen umzugehen.
Er lässt es nicht an sich heran. Er ignoriert es. Er lässt es abprallen. Manchmal lacht er sogar darüber. Genau das ist sein Schutzschild. Nur so erträgt er diese Anfeindungen. Nicht jeder Gegner ist gleich rassistisch, sie denken nur seine Hautfarbe wäre seine Schwäche. Das ist sie nicht. Er ist stolz auf seine Herkunft und lässt sich damit nicht provozieren. „Meiner Meinung nach macht es auch keinen Sinn zu weinen oder aus der Haut zu fahren, dann haben sie erreicht, was sie wollten. Das werde ich ihnen nicht geben“, so Andzouana. Trotzdem ist es eine emotionale Belastung für ihn. Denn Rassismus gehört nicht der Vergangenheit an, sondern ist immer noch ein Problem. Das sein Schutzschild so gut funktioniert, liegt auch an seinem Auftreten auf dem Platz. Der körperlich robuste, schnelle Außenbahnspieler oder Stürmer scheut sich nicht, auch mal dazwischen zu hauen. „Ich wirke anders auf die Leute. Ich bin ruhig und gelassen. Ich gehe damit anders um. Viele sind da sehr temperamentvoll und reagieren darauf. Ich nicht“, so der fast 1,90 Meter große Offensivspieler. Einfach ein unangenehmer Gegenspieler.
In der Saison 2013/14 spielte der im Kongo geborene Andzouana beim 1. FC Gievenbeck. Im Spiel gegen den SC Preußen Münster II gab es mehrfach rassistische Beleidigungen von einem Gegenspieler gegenüber dem damals 20-jährigen Mittelstürmer. Andzouana selbst bekam die Beleidigungen zunächst nicht mit, seine Mitspieler regten sich auf und wiesen ihn in der Halbzeit daraufhin. Im zweiten Durchgang sprach er seinen Gegenspieler darauf an - und der wiederholte die Beleidigungen. Er bat ihn, es zu lassen. Sein Gegenspieler machte einfach weiter. Der Schiedsrichter des Spiels sah und hörte nichts oder wollte es nicht. Doch Andzouana wusste sich zu wehren. „In der nächsten Situation hab ich ihn dann gefoult. Er konnte dann ein halbes Jahr nicht spielen und ich bekam eine gelbe Karte“, erinnert sich der Verler Spieler zurück. In seiner ganzen Laufbahn als Spieler bekam Andzouana nur acht gelbe Karten. Nie Gelb-Rot und niemals Rot. Früher nahm er die Anfeindungen mit nach Hause.
Mittlerweile passiert das eher seltener, denn er ist mental stärker geworden. Man könnte sogar sagen, abgehärtet oder traurigerweise abgestumpft. Das musste der 26-Jährige erst lernen. Rassismus ist seit den Minikickern für ihn trauriger Alltag. In seiner Zeit als Jugendspieler besaß Andzouana dieses Schutzschild noch nicht. Er musste erst lernen, damit umzugehen. Einfach war das nicht immer: „Einmal wurde ich von Eltern auch beleidigt, weil ich körperlich weiter war als meine Gegenspieler und gut gespielt habe. Das war schon heftig. Bei meinem kleinen Bruder (8 Jahre) passen wir auch auf, wenn er zu gut spielt, müssen wir Angst haben, dass auch er beleidigt wird“, erzählt der Sportclub-Spieler.
Einen Grund für solche Anfeindungen zu finden, ist vergebene Liebesmühe. „Man weiß niemals, warum die Menschen das machen. Ob sie es machen, um einen zu provozieren oder ob sie wirklich Rassisten sind. Spricht man sie später darauf an, dann sagen sie, es sei nichts gewesen oder sei im Spielgeschehen so passiert“, so der 26-Jährige. Manchmal kommt es auch zu subtilem „Rassismus“ von Schiedsrichtern. „Ich brauche mit meinem Körper nur einen Mitspieler zu berühren. Wenn der dann fällt, sieht es schlimmer aus, als es eigentlich war, und ich kriege eine Karte“, sagt Andzouana. Doch das ist nicht einmal das Schlimmste. Schiedsrichter verwehren ihm zum Teil Elfmeter oder haben generell etwas gegen ihn.
Auch im schönsten DFB-Pokal-Märchen des SC Verl in diesem Jahr, kam es zu unschönen Szenen. Denn im Spiel gegen Holstein Kiel saßen Andzouanas Familie und Freunde verteilt im Stadion, um ihn zu unterstützen und anzufeuern. Anstatt ihren Freund, Bruder oder Sohn lauthals anzufeuern, bekamen sie mit, wie es mehrfach zu rassistischen Beleidigungen ihm gegenüber kam. Auch im Privaten muss der 26-Jährige sich oft mit Rassismus auseinandersetzen. Er lebt in Gütersloh und hat auch in seinem Alltag mit Blicken, Tuscheleien und vielem mehr zu kämpfen. Ganz besonders schlimm ist es beim Autofahren. Von Januar bis Februar wurde er beispielsweise sieben Mal aus dem Straßenverkehr zur allgemeinen Verkehrskontrolle gezogen. Zufall? Fraglich. „Wenn ich eine Mütze aufhabe und noch Bart trage, dann will ich das gar nicht zählen, wie oft die Polizei mich rauszieht“, berichtet Andzouana. Auch am Bahnhof mit seinen kleinen Geschwistern wird er oft kontrolliert. Teilweise setzt sich im vollen Zug keiner neben ihn.
Alles kleine Nebenschauplätze, mit denen sich der SC Verl-Kicker auseinandersetzen muss. Sportlich hat es auch Auswirkungen: „Meine Mitspieler kennen sowas nicht. Ich muss viel mehr an mir selbst arbeiten und an meinem Selbstbewusstsein. Einfach, weil ich schon so viel abbekommen habe in meinem Leben“, so der SC Verl-Spieler. Auch weiterhin wird sein Schutzschild dafür sorgen, dass er auf dem Spielfeld einen kühlen Kopf bewahrt. Traurig, dass er dieses heutzutage noch braucht.
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